Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Daumen hoch
Plädoyer fürs Trampen

Per Anhalter zu reisen ist unsicher, anstrengend und langsam. Doch es kann sich auch lohnen. Tramper treffen auf Menschen, denen sie sonst nie begegnen würden und es können interessante Gespräche auf engstem Raum entstehen. Das erweitert zuweilen den Horizont.

Von Pia Rauschenberger | 10.05.2018
    Eim junges Paar trampt im Urlaub.
    Man sollte öfter per Anhalter reisen, meint Autorin Pia Rauschenberger (imago stock&people)
    Eigentlich wollte ich das nicht mehr machen. Wildfremde Menschen an Tankstellen ansprechen und bitten, dass sie uns ein Stück mitnehmen.
    "Ich nehm keinen mit. Kaufen Sie sich doch ein Bahnticket."
    Das sind so klassische Reaktionen darauf, wenn man an der Tanke nach einer Mitfahrt fragt. Nach der ersten Absage stellt sich sofort dieses unangenehme Gefühl ein, anderen unnötig zur Last zu fallen. Und noch schlimmer, falls sich doch jemand bereit erklären sollte: Mit fremden Menschen in ein Auto zu steigen, ist nicht gerade die sicherste Variante zu reisen.
    Unsicher und nervig
    Außerdem ist es schwer, beim Trampen zu planen, feste Verabredungen sind unmöglich, wenn man trampt. Manche Tramper schaffen es in 30 Stunden von Berlin bis Barcelona, andere nur bis Basel.
    Trampen ist also unsicher, langsam, anstrengend und Nerven aufreibend. Aber: Wer trampt hat auch Vorteile. Und zwar mehr, als ein bisschen Geld zu sparen. Beim Trampen passiert es nämlich immer wieder, dass sich Menschen treffen, die sich sonst nie getroffen hätten und Gespräche entstehen, die es sonst wahrscheinlich nicht gegeben hätte.
    Mal von Anfang an. Es ist natürlich eine sehr angreifbare Position, andere nach einer Mitfahrt zu fragen. Sich in diese Situation zu begeben, ist eine lehrreiche Erfahrung. Wann passiert uns das sonst schon mal? Dass wir fremde Menschen um so einen großen Gefallen bitten? Demut ist vielleicht der falsche Ausdruck, aber es geht doch in diese Richtung. Die dankbare, offene Haltung, die man fürs Trampen braucht, führt auf jeden Fall dazu, dass man Menschen viel unvoreingenommener begegnet als sonst im Alltag.
    Intime Gesprächsatmosphäre
    Die Autotür geht zu und man wird in einen fremden Kosmos befördert. Autos haben etwas zutiefst Familiäres an sich. Das führt dazu, dass Gespräche, eingezwängt auf zwei Quadratmetern, einen anderen Weg einschlagen, als wenn man sich - zum Beispiel - in einem Café begegnen würde.
    Dieser Raum ermöglicht etwas. Eine Intimität, die wir mit Fremden sonst nie haben und die sicherlich viele auch gar nicht haben wollen. Aber: Gerade in einer Zeit von Filterbubbles und Diskussionen, wie wir rauskommen können aus unserer Blase: Trampen hilft.
    Eine Trump-Wählerin zu treffen wäre in meinem Alltag zum Beispiel unwahrscheinlich. Beim Trampen sitzen wir mehrere hundert Kilometer mit ihr im Auto. Bevor das Gespräch auf Politik kommt, hat sie uns schon Dinge aus ihrem Leben erzählt hat, die sie uns sympathisch macht. Zum Abschied eine Trump-Wählerin zu umarmen, obwohl wir uns politisch vollkommen fremd sind, das hätte ich mir vorher nicht vorstellen können.
    Das ist auch eine Frage der Einstellung. Beim Trampen fällt es viel leichter, andere zu akzeptieren als im normalen Alltag. Immerhin helfen diese Fremden jetzt gerade und erwarten keine Gegenleistung dafür - außer vielleicht ein gutes Gespräch. Beim Bus- oder Bahnfahren sind schneller die Stöpsel in den Ohren als wir zum Sitznachbarn "Hallo" sagen können. Beim Trampen geht das nicht. Beim Trampen geht es ums Zuhören.
    Ökologische Aspekte
    Auf einer Reise durch Spanien trampen wir erst mit einer Befürworterin, dann mit einem Gegner des Referendums in Katalonien. Ein Fabrikbesitzer nimmt uns mit und ein Handwerker. Ein spanisches Ehepaar gibt uns Tipps für den einsamsten Strand, ein anderes Pärchen ruft extra bei Freunden an, um für uns nach dem besten Fischrestaurant zu fragen. Dann treffen wir zwei Frauen aus Rumänien, die extra 50 Kilometer in die für sie falsche Richtung fahren, um uns dort abzusetzen. Alles Menschen, die wir auf einer normalen Spanienreise nicht kennengelernt hätten.
    Wenn diese Menschen nicht gerade so nett sind und extra 50 Kilometer in die falsche Richtung fahren, ist Trampen ja auch noch viel ökologischer, als wenn immer nur ein bis zwei Personen im Auto sitzen. Noch ein Grund dafür also, sich unabhängig vom Alter hinauszuwagen, die eigene Gemütlichkeit zurückzulassen und einfach mal freundlich zu fragen: Könnten Sie mich ein Stück mitnehmen?