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David gegen Goliath

Vier Schlepper ziehen eine gigantische Ölbohrinsel hinaus aufs offene Meer, verfolgt von einem dagegen winzig klein wirkenden . Die Bilder dieser symbolträchtigen Konfrontation gingen vor zehn Jahren um die Welt. Und sorgten, insbesondere in Deutschland für einen Aufschrei der Entrüstung und eine Welle der Solidarität mit den Umweltschützern.

Von Kay Müllges | 20.06.2005
    " Nebelhorn"

    Mit diesem Signal feierten am 20. Juni 1995 die Aktivisten auf dem Greenpeace-Schiff Soho. Soeben hatte der Shell-Konzern bekannt gegeben, dass er die Ölplattform Brent Spar nicht im Atlantik versenken werde. In der Sache ging es bei der wochenlangen Auseinandersetzung um die grundsätzliche Frage, was mit den zahlreichen ausgedienten Ölbohrplattformen in Nordsee und Nordatlantik geschehen sollte. Sollten sie in der tiefen See versenkt oder besser an Land entsorgt werden? Die Brent Spar wurde zum Symbol dieser Auseinandersetzung. Sie befand sich 190 Kilometer nordöstlich der Shetland-Inseln und diente von 1976 –1991 als Zwischenlager für Rohöl. An der Plattform legten Tankschiffe an, um das Öl zu Raffinerien an Land zu transportieren. Als Pipelines die Aufgabe des Öltransportes übernahmen, wurde die 14.500 Tonnen schwere Brent Spar überflüssig. Der britisch-holländische Ölkonzern Shell wollte sie 1995 in den Atlantik schleppen und dort in 2000 Meter Tiefe versenken. Dagegen wandten sich die Umweltaktivisten von Greenpeace. Ihr Sprecher Rüdiger Rosenthal damals:

    " Da sind nach Angaben von Shell mindestens 100 Tonnen .... Ölschlämme drauf, circa 30 Tonnen radioaktive Salze und noch jede Menge anderer Schwermetalle, Zinn, Zink, Kupfer, Chrom aber auch Asbest und Elektronikschrott."

    Am 30. April 1995 besetzten Greenpeace-Aktivisten, begleitet von Kamerateams, die Brent Spar und forderten deren Rückbau an Land. Dies war der Beginn eines Medienkrieges, in dem von beiden Seiten mit harten Bandagen gekämpft wurde. Shell bemühte Wissenschaftler, um zu belegen, dass die Versenkung im Meer die umweltverträglichste Lösung sei. Der Meeresbiologe Gordon Picken von der Aberdeen-University erklärte beispielsweise:

    "Dieser besondere Faktor führt im Falle der Brent Spar dazu, dass die Entscheidung die Plattform im offenen Meer zu versenken aus ökologischer Sicht die praktikabelste Lösung ist."

    In der europäischen, vor allem aber in der deutschen Öffentlichkeit wurde diese Argumentation allerdings als Schutzbehauptung wahrgenommen. Mit der Besetzung der Brent Spar entstand, vermittelt auch durch die Medien, das Bild hier kämpfe der David Greenpeace einen gerechten Kampf gegen den skrupellosen Goliath Shell, der allein aus Kostengründen, den ökologischen Kollaps der Meere billigend in Kauf nähme. Die Stimmung kippte endgültig als der Ölmulti am 23. Mai 1995 die Besetzer von der Brent Spar vertrieb. Nur einen Tag später rief die Junge Union in Nordrhein-Westfalen als erste deutsche Organisation zum Boykott von Shell-Tankstellen auf, ein Aufruf, der schnell von anderen Organisationen aufgegriffen und von vielen Bürgern beherzigt wurde. Quer durch alle Parteien und gesellschaftlichen Gruppierungen war man sich einig: die Brent Spar darf nicht versenkt werden. Selbst der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl, gewiss kein Ökovorkämpfer, äußerte sich in diesem Sinne:

    " Wir können nicht zum Schutz der Meere aufrufen, der Wale, wir können nicht dazu aufrufen, dass wir mit dem für die Welternährung wichtigen Fischbestand sorgsam umgehen und keinen Raubbau treiben und gleichzeitig machen wir so etwas, wie diese Bohrinsel. Ich glaube nicht, dass das gescheit ist und ich hoffe sehr (ich hab ihn gebeten, das Ganze noch mal zu überdenken, aber die erste Anfrage geht ja an die betroffene Firma, ich hoffe sehr) das die dort begreifen, das sie sich dort einen Bärendienst erweisen."

    Doch es war wohl vor allem die Abstimmung an den Zapfsäulen, die Shell schließlich zum Einlenken zwang. Auch aus der Rückschau kann man sagen, dass Greenpeace in der Sache, nämlich der Forderung nach einem Versenkungsverbot für Ölplattformen im Nordostatlantik recht hatte. 1998 wurde das übrigens auch offiziell von der OSPAR, der Organisation der Anrainerstaaten, beschlossen. Ein Schönheitsfehler allerdings bleibt: kurz vor Ende der Auseinandersetzung verstieg sich Greenpeace in Großbritannien zu der durch nichts belegten und völlig unbewiesenen Behauptung, an Bord der Brent Spar befänden sich nicht nur 100, sondern mehr als 5000 Tonnen Ölschlamm. Im September 1995 entschuldigte sich Greenpeace dafür öffentlich bei Shell. Eine schwere Niederlage für die Umweltorganisation mit langfristigen Folgen, denn in den Medien, die den vermeintlichen David in seinem Kampf bislang immer unterstützt hatten, setzte ein Prozess der Distanzierung ein. Ullrich Deppendorf von der ARD:

    "Ich glaube alle sind damals, alle Medien, auch wir, sind damals etwas zu schnell auf einen Zug aufgesprungen. Es hat doch, ich sag mal, ein Distanzloch gegeben, nicht immer waren wir so weit weg, wie wir es eigentlich als Journalisten hätten sein müssen."