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DDR-Aufarbeitung
Schwere Vorwürfe gegen Rolf Beilschmidt

Auch 25 Jahre nach dem Mauerfall sind in Ostdeutschland umstrittene Alt-SED- und Stasi-Kader noch immer in Spitzenpositionen im organisierten Sport aktiv. Neue Stasiaktenfunde belasten den Hauptgeschäftsführer des Thüringer Landessportbundes, Rolf Beilschmidt, schwer.

Von Thomas Purschke | 11.10.2014
    Rolf Beilschmidt, höchster Sportfunktionär in Thüringen, seit 2001 Hauptgeschäftsführer des Landessportbundes Thüringen mit 366.000 Mitgliedern, ist schon seit vielen Jahren umstritten. Bevor der heute 61-jährige zum Landessportbund kam, war er viele Jahre Chef des Olympiastützpunktes in Erfurt. Dort begann er ein Jahr nach der Wiedervereinigung. Jetzt belasten neue Aktenfunde in der Stasiunterlagen-Behörde den Sportfunktionär schwer. Laut Aktenlage hat Beilschmidt in der DDR weitaus länger als Zuträger für die Stasi gewirkt als bisher bekannt war. Über die neuen Erkenntnisse berichtet auch das Magazin "Der Spiegel".
    Rolf Beilschmidt gehörte Ende der 70er Jahre zu den besten Hochspringern der Welt. Er startete für den dopingverseuchten DDR-Leistungssportclub SC Motor Jena. Er galt als willfähriger SED-Spitzen-Kader, was ihm dazu verhalf erst Vize-Chef von SC Motor Jena zu werden, 1989 stieg er zum Chef des Clubs auf.
    Deckname "Paul Grün"
    Bereits als Sportler hatte er sich 1976 "per Handschlag" als Inoffizieller Mitarbeiter" der Stasi verpflichtet, Deckname "Paul Grün". Laut Akte legte er "Wert auf eine hohe Konspiration". Doch 1981 verlor die Stasi zunächst das Interesse an ihrem IM und verzichtete "wegen Unzuverlässigkeit" auf seine Mitarbeit.
    Darüber hatte auch der Deutschlandfunk in den 90er Jahren berichtet. Die damalige Akte war allerdings dünn und unvollständig, so dass Beilschmidt bisher alle Stasi-Überprüfungen und Diskussionen über Stasi-Zuträger im deutschen Sport glimpflich - und ohne Konsequenzen überstand.
    Er stieg nach dem Mauerfall auf zum einflussreichsten Sportfunktionär in Thüringen und seine Stimme hat auch beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) sportpolitisches Gewicht.
    Doch nun belegen die aufgetauchten Stasi-Dokumente, dass Beilschmidt nach einer Auszeit und nach dem Ende seiner Athletenkarriere, auch in den 80er Jahren bis in das Mauerfalljahr 1989 hinein, ein williger Informant des DDR-Geheimdienstes war.
    So informierte er 1983 die Stasi in einem handschriftlichen Bericht, unterzeichnet mit seinem Klarnamen, dass die Frau eines Schulfreundes die Besuchserlaubnis in der BRD überschritten hatte. Beilschmidt räumt ein, mit dem Stasi-Offizier damals über den Fall gesprochen zu haben. Auch das privateste Intimleben von Club-Kollegen ließ er laut Akten nicht dabei aus: Die Stasi notierte, dass eine Kollegin laut seinen Aussagen "wieder auf der Suche nach einem Mann ist. Zudem besitzt sie ein übersteigertes Konsumdenken. Weiterhin hat sie eine größere Anzahl von Gegenständen in ihrer Wohnung, welche nicht mit der Währung der DDR käuflich sind."
    Ein Profiteur gestern und heute
    Für DDR-Bürger konnten solche Informationen sehr schädlich sein. Manche brachten sie ins Gefängnis. Beilschmidt sagt aktuell dazu, an solche Berichte könne er sich nicht erinnern. In den vergangenen mehr als 20 Jahren haben in den neuen Bundesländern viele frühere Stasi-Zuträger mit vergleichbarer Aktenlage ihren Job verloren. Die ehemalige Weltklasse-Sprinterin vom SC Motor Jena und heutige Vorsitzende des Doping-Opfer-Hilfe-Vereins, kritisiert:
    "Rolf Beilschmidt war zu Zeiten der DDR Profiteur des Systems und das ist ja das erstaunliche, wieso Leute mit diesen Belastungen dann eben auch immer wieder in die obere Leitungsebene vorstoßen - also er ist auch Profiteur heute und ja, an einer bestimmten Stelle ist man dann auch mal bedient, also wenn man aus den Akten herausliest, wie er bis ins Intimste hinein geschnüffelt hat und heute ist er völlig ohne Kratzer LSB-Chef in Thüringen. Also ich hab da doch noch ein paar Fragen."
    Ines Geipel war früher in Jena eine Club-Kameradin von Beilschmidt und wurde einst auch von ihm bespitzelt. Die aufgetauchten Stasi-Akten zu Beilschmidt sind auch in anderer Hinsicht brisant. Er ist ein guter Freund von Roland Jahn, dem Bundesbeauftragten für Stasi-Unterlagen (BStU). Jahn hatte jüngst in seinem neuen Buch "Wir Angepassten" um Verständnis für das Verhalten Beilschmidts geworben, obwohl er von den Aktenfunden wusste, die Beilschmidt nun belasten. Der heutige Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, war als Jugendlicher in Jena mit Beilschmidt um die Häuser gezogen. Nun fordert er einen "differenzierten Blick" auf die Stasi-Mitarbeiter: Beilschmidt sei zwar eine "Stütze des Systems" gewesen. Aber Beilschmidt habe Jahn 1976 wiederum auch vor der Stasi gewarnt.
    Allerdings berichtete Beilschmidt später der Stasi mehrfach private Details über seinen Freund. Die heutige Professorin für deutsche Verssprache Ines Geipel hält die Haltung des Stasiunterlagen-Behörden-Chefs für unerträglich: "Als Chef der Stasi-Unterlagen-Behörde, wär doch völlig okay, er würde sagen, 'ich bin befangen, das müssen Historiker beurteilen.' Aber hier er an der Stelle entschuldet er die Täter und das ist natürlich schwer hinzunehmen. Denn wenn wir so Aufarbeitung betreiben, dann wird sie zur Willkür."
    Verharmlost und verhöhnt
    Und dabei geht es Geipel nicht nur allein um das Verhalten zu DDR-Zeiten. Geipel sieht starke Parallelen, wie biegsam sich der Thüringer Spitzenfunktionär Beilschmidt früher in der DDR-Diktatur arrangierte und wie er im neuen System agiert- etwa indem er die brutale Seite des Stasi- und Doping-Sports der DDR jahrelang verharmloste und Opfer sogar mehrfach verhöhnte. Im Jahr 2005 versuchte Beilschmidt zudem gemeinsam mit dem LSB-Präsidenten Peter Gösel das Mitglied der sogenannten "unabhängigen Stasi-Kommission des Thüringer Sports", den couragierten Hochschulsportlehrer Henner Misersky, zu attackieren und einzuschüchtern, woraufhin Misersky umgehend zurücktrat.
    Außerdem protegierte Beilschmidt etliche stasi- und doping-belastete Personen innerhalb der Strukturen des von ihm verantworteten Thüringer Sports. Darunter war auch der 1990 nach Thüringen gewechselte frühere Leichtathletik-Bundestrainer Heinz-Jochen Spilker, der für seine Beteiligung am Doping im Westen strafrechtlich im Jahr 1994 vom Amtsgericht Hamm verurteilt wurde. Dennoch wirkte Spilker danach viele Jahre in Thüringen im hohen Ehrenamt als Vize-Präsident des Landessportbundes.
    Für Ines Geipel steht deshalb fest: "Es ist keine Person, die sich entschuldigt hat, bei denen, die er bespitzelt hat. Es ist auch keine Person, die nun den Thüringer Sport auf die Beine gestellt hat und solche Dinge wie Stasi und Doping geklärt hätte - kann er auch gar nicht. Insofern ist er die denkbar ungeeignetste Person, einen neuen, unbelasteten Sport in Thüringen aufzubauen."