Donnerstag, 25. April 2024

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"De-Heimatize Belonging"
Hinter dem Vaterlandsbegriff

Andere Zugehörigkeiten denken als "Heimat", solche, die nicht ausschließen: In seinem Herbstsalon will das Berliner Maxim Gorki Theater das aus seiner Sicht gewaltsame Potential des Heimatbegriffs offen legen - mit Ausstellungen, Theater und Diskussionen.

Von Jutta Schwengsbier | 28.10.2019
09.08.2018, Berlin: Handwerker befestigen die Buchstaben für das Wort "Heimat" am Eingang zum Dienstgebäude des "Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat"
Neuer Schriftzug an Bundesinnenministerium (Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dpa)
Frauen, missbraucht als Sexroboter. Frauen, die von mächtigen Männern beliebig an ihren Geschlechtsteilen angefasst werden. Frauen, die sexuell versklavt werden.
Die Auftaktperformance "Jedem das Seine" am Maxim Gorki Theater wirkt wie eine moderne Inszenierung orwellscher Sprachverwirrung. Scheindebatten über Volk und Vaterland lenken ab von sexueller Gewalt gegen Frauen.
"De-Heimatize Belonging: Bringt den politischen Diskurs über Zugehörigkeit wieder zurück zu seinem eigentlichen Kern!", fordert Shermin Langhoff, Intendantin vom Maxim Gorki Theater.
Antirassismus- statt Heimat-Ministerium
"Vom Heimat-Ministerium bis zu durchaus linken Alternativen, die sich auch um Heimat bemühen. Wir glauben, dass das nicht das politische Konzept der Zugehörigkeit ist, das dieses Land, diese Republik braucht, in der tagtäglich Rechtsextremismus, Angriffe von rechts, Ermordungen von Menschen, die anders aussehen und denken, uns beschäftigen. Also, wo wir rechtsextremistischen Terror haben, bekommen wir kein Antirassismus-Ministerium sondern wir bekommen ein Heimat-Ministerium."
Gehören Muslime oder Juden zu Deutschland? Gehören Menschen, die nicht weiß sind, zu Deutschland? Schon solche Fragen seien grundlegend falsch, sagt Naika Foroutan, Professorin für Integrationsforschung an der Humboldt Universität Berlin.
"Wenn wir das Wort "Volk" im Deutschen benutzen, dann ist das sehr oft ein Begriff, der für die meisten Menschen als eine ethnische Vorstellung von Gemeinschaft klingt. Dabei hat sich der Begriff schon lange auch in den Debatten der Staatstheorie erneuert und ist sehr viel stärker mit der Vorstellung von Citizenship, Bürgerschaft und Staatsangehörigkeit verbunden."
Heimatdebatten sind Ablenkungsmanöver
Wer deutsch ist, regelt die Verfassung. Punkt. Geisteswissenschaftliche Debatten sollen parallel zu den kulturellen Veranstaltungen den derzeit viel diskutierten Heimatbegriff als das entlarven, was er ist: ein Ablenkungsmanöver - nicht nur in Deutschland, auch in Europa. Bilgin Ayata ist Professorin für Soziologie an der Universität Basel.
"Dass jetzt auch das "Ressort Migration" in den "Schutz unserer europäischen Lebensweise" umgewandelt werden soll, ist natürlich ein sehr prägnantes Beispiel, wie diese Heimatpolitik weit über die Grenzen hinaus nun zu einem Aushängeschild europäischer Migrationspolitik werden soll."
Die meisten Videoinstallationen, Performances und Kunstwerke blicken aus einer feministischen Perspektive auf die Welt. Es geht um mehr als um Sprachkritik. Bei diesem Festival arbeiten Frauen daran, multikulturell und vielstimmig den mit der Herrschaft der "alten weißen Männer" verbundenen Rassismus wieder in den Vordergrund zu stellen.
Feministische Sicht
Langhoff: "Die Weißen haben kolonisiert. Die Weißen haben versklavt. Die Weißen haben ausgebeutet. Insofern ist das natürlich eine Kritik, von der sich diese mächtigen Männer durchaus angesprochen fühlen können."
Das von Shermin Langhoff inszenierte Fest der Frauen ist sicher nicht das Ende der Heimatdebatte. Eher ein erster fulminanter, künstlerischer Gegenentwurf zur rechtspopulistischen Deutschtümelei.