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De Maizière muss Bundeswehrreform in Ordnung bringen

Dem ehemaligen Verteidigungsminister wird vorgeworfen, in Sachen Bundeswehrreform schlechte Arbeit gemacht zu haben. Nach Ansicht des Verteidigungsexperten Walther Stützle müsse sich aber auch die gesamte politische Elite des Landes fragen lassen, warum sie ihre Aufsichtspflicht nicht hinreichend wahrgenommen habe.

Walther Stützle im Gespräch mit Dirk Müller | 18.05.2011
    Dirk Müller: Acht Milliarden Euro für den Rotstift, das war der Auftrag des Finanzministers an den Verteidigungsminister, von Wolfgang Schäuble an Karl-Theodor zu Guttenberg. Milliarden-Kürzungen bei der Bundeswehr mit schwerwiegenden Folgen: eine Truppe, die kleiner wird, eine Wehrpflicht, die abgeschafft wird, und Kasernenstandorte, die geschlossen werden.

    Jetzt ist das alles offenbar nicht mehr ganz so schlimm; der neue, Thomas de Maizière, hat Zugeständnisse erreicht bei der Kanzlerin wie auch beim Finanzminister. Heute stellt der Verteidigungsminister seine Pläne vor.

    Bei uns am Telefon ist nun der Verteidigungsexperte, frühere Staatssekretär und Publizist Walther Stützle. Guten Tag nach Berlin.

    Walther Stützle: Guten Tag, Herr Müller!

    Müller: Herr Stützle, sind die deutschen Soldaten zur Verschiebemasse geworden?

    Stützle: Jedenfalls hat die Aufgabe der Landesverteidigung, die im Grundgesetz verankert ist, nicht die politische Aufmerksamkeit erlangt, die ihr gebührt, und das Ergebnis ist das, ist der Schlamassel, den Herr von und zu Guttenberg hinterlassen hat und den Thomas de Maizière nun geerbt hat.

    Müller: Wer ist dafür verantwortlich, dass es nicht gereicht hat?

    Stützle: Also verantwortlich in einem Lande ist immer die Regierung. Die ist frei gewählt und hat sich ja auch bemüht, in dieses Amt zu kommen. Und es bleibt zu fragen, was hat eigentlich die Regierungschefin gewusst von den Versuchen des Herrn von und zu Guttenberg, die Bundeswehr zu reformieren, wann hat sie sich erkundigt, wie die Reformpläne stehen, und dann wird man wahrscheinlich feststellen, dass da keine Aufsicht stattgefunden hat, und infolgedessen haben wir die Situation geerbt, über die wir jetzt reden und die Thomas de Maizière nun in Ordnung bringen muss. Dafür ist er ja nicht zu beneiden.

    Müller: Herr Stützle, wir reden immer von Reform, das tun die Medien, das tun die Politiker, das tun auch die Experten. Eine Reform suggeriert ja zumindest, wir machen irgendetwas und danach wird es besser. Ist das hier nahezu ausgeschlossen?

    Stützle: Nein, das ist nicht ausgeschlossen, aber man muss natürlich richtig rangehen an das Thema, und das Thema hat mehrere Facetten. Die erste Frage ist, welche Aufgaben soll die Bundeswehr denn eigentlich erfüllen; da steht im Grundgesetz etwas von der Landesverteidigung. Überdies steht etwas im Grundgesetz über Krisenhilfe, Nothilfe durch die Bundeswehr bei großen Naturkatastrophen, wenn die Länder überfordert sind. Dann haben wir Verpflichtungen im atlantischen Bündnis, wir haben Verpflichtungen in der Europäischen Union, Verpflichtungen gegenüber den Vereinten Nationen. All das muss auf Leisten geschlagen werden und muss dann gemessen werden an den sicherheitspolitischen und außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik, und daraus muss sich unterm Strich ein Fähigkeitsprofil ergeben, das von der Bundesrepublik erfüllt werden muss, wenn sie ihre Interessen richtig wahrnehmen muss. Das ist alles leider nicht geschehen und muss jetzt erfolgen!

    Müller: Herr Stützle, das wird aber viele Hörer auch überraschen und auch andere, die sich enger mit dem Thema befassen. Warum muss jetzt geklärt werden, welche Aufgaben die Bundeswehr hat? Sie haben ja die ganzen Facetten aufgezählt. Ist das nicht im Grunde klar?

    Stützle: Im Grunde genommen ist es klar. Es klingt ja alles so einleuchtend und so selbstverständlich. Umso erstaunlicher ist, dass es nicht geschehen ist, und umso erstaunlicher ist es, dass es dem früheren Verteidigungsminister Guttenberg erlaubt worden ist, öffentlich zu sagen, er werde den Kabinettskollegen zeigen, wie mit den Sparbeschlüssen sinnvoll umgegangen werden kann, ungeachtet dieser Aufgabenfülle und ungeachtet schwierigster Einsätze, zum Beispiel in Afghanistan, zum Beispiel am Horn von Afrika zur Bekämpfung von Piraten, zum Beispiel vor der Küste des Libanon mit Marinestreitkräften und immer noch auch mit über 1000 Leuten im Kosovo. Es ist höchst erstaunlich, dass die politische Elite des Landes, die politischen Führungsgremien des Landes, Regierung und Parlament – beide sind hier zu nennen -, diese Aufsichtspflicht nicht hinreichend wahrgenommen haben.

    Müller: Aber alles, was Sie jetzt aufgezählt haben, Herr Stützle, das war ja auch schon unter Rot-Grün der Fall. Auch dort waren die Auslandseinsätze immer mehr in den Fokus geraten, es mussten immer mehr Soldaten bereitgestellt werden, spätestens ja seit dem 11. September 2001. Hat Rot-Grün auch geschlafen?

    Stützle: Rot-Grün hat den großen Fehler gemacht, den von der Weizsäcker-Kommission im Jahre 2000 vorgelegten Bericht nicht so umzusetzen, wie die Weizsäcker-Kommission es damals vorgelegt hat. Das bleibt ein Versäumnis, da ist überhaupt nichts dran zu beschönigen. Aber das rechtfertigt ja nicht, einen von Rot-Grün gemachten Fehler dann durch Schwarz-Gelb wiederholen zu lassen.

    Müller: Kann man sich denn auf diese Linie einigen, wenn ich jetzt Sie direkt frage? Wenn wir das alles richtig verstanden haben, ist die Qualität gerade in der Zukunft viel, viel wichtiger als die Quantität.

    Stützle: Die Qualität ist ausschlaggebend, aber ohne Quantität wird es nicht gehen, und das deutsche Parlament wird sich fragen lassen müssen, ob es bereit ist – und das ist eine Frage vor allen Dingen an die Fraktions- und Parteivorsitzenden -, ob es bereit ist, der Bundeswehr einen Umstieg auf die neuen Aufgaben möglich zu machen, und dafür braucht es im Grunde genommen einen Doppelhaushalt, nämlich einen Haushalt, einmal einen Haushalt, um die alten, nicht mehr fortzusetzenden Aufgaben abzuwickeln – dazu gehört zum Beispiel die Reduzierung des Personals; man kann ja die Leute nicht einfach entlassen -, und zum anderen einen Haushalt, der es möglich macht, für die Ausbildung und vor allen Dingen für die Ausrüstung der Bundeswehr jetzt aufgabengerecht zu entscheiden. Wenn die Fraktionsvorsitzenden im Deutschen Bundestag, insbesondere die Regierungsfraktionen und die Parteivorsitzenden diese Aufgabe nicht schultern, dann wird auch die neue Reform nicht klappen.

    Müller: Auch da noch mal nachgefragt. Wir reden jetzt, wenn wir die Zahlen richtig eingeordnet und auch verstanden haben, von 170.000 Berufs- und Zeitsoldaten. Jetzt sind 5000 Freiwillige eingeplant. Also in Zukunft, wenn das funktioniert mit den Freiwilligen, ungefähr 175.000 Soldaten. Wir hatten mal 280.000, dann haben wir 240.000, 230.000. Jetzt sagen ja alle, die sich die Zahlen betrachten und nicht so im Thema drinstecken wie Sie, wenn wir 60.-, 70.000 weniger Soldaten haben, dann können wir doch auch Milliarden einsparen.

    Stützle: Das ist die Frage, welche außen- und sicherheitspolitische Rolle die Bundesrepublik spielen will. Wenn sie auf die jetzt in der Diskussion befindliche und in wenigen Minuten von Thomas de Maizière öffentlich zu machende Zahl abschmelzen will, muss sie sich klar sein, dass sie hinter Frankreich, hinter Großbritannien und übrigens auch hinter Italien die vierte Geige spielt. Das wird ihren Einfluss in der Europäischen Union und in der Atlantischen Allianz nicht stärken, um es milde auszudrücken, und schon heute gibt es sehr, sehr kritische Stimmen, international kritische Stimmen, die sagen, was ist eigentlich los in einem Land, das die stärkste Wirtschaftskraft in der Europäischen Union ist und das sich unter den führenden Ländern den schwächsten Verteidigungsbeitrag leisten will. Diese Frage muss außen- und sicherheitspolitisch beantwortet werden, das ist eine Frage an die Regierungschefin, an den Außenminister, aber natürlich auch an den Verteidigungs- und Finanzminister.

    Müller: Um die Zahl noch einmal zu wiederholen: 175.000. Das ist das, was wir jetzt wissen. Das ist die Zielperspektive, die Zielvorgabe. Halten Sie diese Zahl für zu wenig?

    Stützle: Der Generalinspekteur der Bundeswehr sagt, es würde ausreichen, um die Verpflichtungen gegenüber NATO und Europäischer Union zu erfüllen. Ich persönlich halte die Zahl aus den genannten außen- und sicherheitspolitischen Gründen für zu gering. Aber wenn die politische Führung des Landes nicht bereit ist, mehr Geld für eine umfangreichere Bundeswehr zur Verfügung zu stellen, wird der Bundeswehr nichts übrig bleiben, als mit dieser geringeren Zahl auszukommen.

    Müller: Bleiben wir bei den Zahlen. 10.000 sind ungefähr im Auslandseinsatz beziehungsweise mit diesem Auslandseinsatz in der Vorbereitung und so weiter verbunden. Dann haben wir 170.000, 10.000 werden im Ausland gebraucht. Warum ist das zu wenig?

    Stützle: 10.000 im Einsatz heißt, sie haben 10.000 im Einsatz, sie haben 10.000, die aus dem Einsatz gerade kommen, und sie haben 10.000, die sich auf den Einsatz vorbereiten. Wenn der Einsatz ein halbes Jahr dauert, müssen sie das ganze mal zwei nehmen, dann sind sie schon bei 60.000. Das heißt, es ist eine relativ hoch klingende Zahl, aber angesichts der internationalen Herausforderungen, die insbesondere an eine, sich außenpolitisch ehrgeizig ergebende Bundesrepublik ja gestellt werden, die ja gerne einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen haben will, scheint es eher eine bescheidene Kapazität zu sein.

    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk der Verteidigungsexperte und Publizist Walther Stützle. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Stützle: Ich danke Ihnen, Herr Müller.