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Debatte in der Koalition
SPD will Betreuungsgeld in Kitas investieren

Die SPD will die freiwerdenden Mittel aus dem gekippten Betreuungsgeld in die Verbesserungen von Kindertagesstätten investieren. In der Familienpolitik seien Investitionen in die Infrastruktur am sinnvollsten, sagte Carola Reimann, Vize-Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, im DLF. Der Koalitionspartner sieht das jedoch anders.

Carola Reimann im Gespräch mit Mario Dobovisek | 02.09.2015
    Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Carola Reimann.
    Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Carola Reimann. (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    "Wir wollen, dass das Geld den Familien nicht entzogen wird. Die Mittel des Betreuungsgeldes sollten da bleiben, wo sie eingesetzt werden sollten - bei den Familien", sagte Reimann im Interview mit dem Deutschlandfunk. Dabei gebe es in mehreren Bereichen Handlungsbedarf: Reimann nannte die Gruppengrößen, die Sprachförderung, flexible Betreuungszeiten für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie gesunde Ernährung.
    Union will das Geld im allgemeinen Haushalt verwenden
    Damit nehmen Reimann und die SPD-Fraktion eine Gegenposition zum Koalitionspartner Union ein. Das DLF-Hauptstadtstudio berichtet, dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) gegen eine Verwendung der Mittel aus dem vom Bundesverfassungsgericht gekippten Betreuungsgeld für zusätzliche Familienleistungen ist. Die Milliardensumme solle stattdessen in den allgemeinen Haushalt fließen.
    Schäubles Parlamentarischer Staatssekretär Jens Spahn (CDU) kündigte laut Süddeutscher Zeitung bei der Haushaltsklausur der Bundestagsfraktionen von SPD und Union in Berlin an, dass das Geld gebraucht werde, um "ungeplante Mehrausgaben" beim Elterngeld sowie bei Hartz-IV-Leistungen zu decken. Das Bundesverfassungsgericht hatte das Betreuungsgeldgesetz im Juli für verfassungswidrig erklärt, weil dem Bund die Gesetzgebungskompetenz für die familienpolitische Leistung fehle.

    Das Interview in voller Länge:
    Mario Dobovisek: Es geht um eine Milliarde Euro jedes Jahr. So viel war nämlich für das Betreuungsgeld im Bundeshaushalt eingeplant. Gekippt vom Bundesverfassungsgericht, werden die Mittel jetzt wieder frei, und noch ehe der Bär so richtig erlegt war, stritten sich alle Ressorts bereits um sein Fell. Am naheliegendsten war da vielleicht noch der Vorschlag, das Geld in die Qualität und den Ausbau der Kitas zu stecken, oder zumindest in die Familienförderung. Doch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble will die Milliarde offenbar lieber dem allgemeinen Haushalt zuführen.
    Am Telefon begrüße ich Carola Reimann, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag und dort zuständig unter anderem für Familien. Guten Tag, Frau Reimann.
    Carola Reimann: Guten Tag! Ich grüße Sie.
    Dobovisek: Ist er wieder da, der Koalitionskrach, den wir vor der Sommerpause vertagen durften?
    Reimann: Na ja. Es muss geklärt werden, was mit diesen frei werdenden Mitteln, die für das Betreuungsgeld hier eingestellt waren, gemacht wird, und da wollen wir natürlich möglichst schnell eine Klärung und wir wollen, dass das Geld für die Unterstützung von Familien bleibt, dass es dort eingesetzt wird und den Familien nicht entzogen wird, um dem allgemeinen Haushalt zugeführt zu werden, wie Sie das formuliert haben, und im Haushalt dann des Bundesfinanzministers eingespart wird. Das wollen wir nicht.
    Dobovisek: Wir haben eine Milliarde im Haushalt übrig und gleichzeitig einen erheblichen Mehrbedarf unter anderem für die Aufnahme von Flüchtlingen. Wir haben das ganz deutlich gehört. Sehen Sie da einen Zusammenhang?
    Verknüpfung mit Flüchtlingen ist unfair
    Reimann: Ich sehe auch, dass wir eine große Herausforderung bei den Flüchtlingen haben. Aber ich finde, das miteinander zu verknüpfen ist sehr unfair. Das muss geregelt werden und das ist natürlich auch etwas, was im Koalitionsausschuss jetzt sicher mit großem Vorrang behandelt wird am Sonntag. Aber wir haben eine Situation, dass die Steuereinnahmen ja sehr, sehr erfreulich sind, und da glaube ich schon, dass diese Mittel des Betreuungsgeldes dann auch da verbleiben sollten, wo sie für eingesetzt werden sollten, nämlich für die Familien.
    Dobovisek: In welcher Form?
    Reimann: Wir würden bevorzugen, dass man das für Kita-Qualität ausgibt. Alle Fachleute wissen, dass die sinnvollste Familienleistung eine in der Infrastruktur ist, und wir haben ganz erhebliche Anstrengungen dort unternommen. Die Kommunen sind da wirklich sehr, sehr initiativ gewesen. Das muss man klar sagen. Wir haben viele Plätze. Aber Qualität ist etwas, wo wir noch eine Herausforderung haben. Wir haben gerade vor ein paar Tagen von der Bertelsmann-Stiftung noch mal eine Untersuchung gehabt, die sehr fundiert zeigt, dass wir sehr große Unterschiede noch im Land haben. Das war eine Untersuchung zur frühkindlichen Bildung. Und wir wollen natürlich, dass wir gute und gleiche Bildungschancen für alle Kinder in unserem Land bekommen, und da sehen wir schon noch Handlungsbedarf.
    Gruppengrößen und Öffnungszeiten ändern
    Dobovisek: Aber wie genau könnte dieser Handlungsbedarf aussehen? Das ist ja relativ konkret, was wir haben. Wir haben eine Milliarde Euro in der Hand. Was wollen Sie damit tun?
    Reimann: Die Milliarde, das will ich mal sagen, haben wir nicht sofort, weil wir haben natürlich zugesagt, dass alle die, die jetzt Betreuungsgeld erhalten, da einen Vertrauensschutz haben und auch dies weiter bekommen für ihr Kind. In zwei Jahren sind es eine Milliarde, jetzt sind es noch weniger Mittel. Aber ich sehr vier große Handlungsfelder. Das eine ist die Gruppengröße, der Personalschlüssel. Das zweite ist Sprachförderung, das wird immer wichtiger, und flexible Betreuungszeiten, Randzeiten, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf noch zu erleichtern. Und nicht zuletzt gesunde Ernährung, um Gesundheitskompetenz auch bei Kindern so früh wie irgend möglich aufzubauen, weil eine gute Gesundheit ist die Voraussetzung für ihr ganzes Leben.
    Dobovisek: Das zahlen ja ohnehin schon die Eltern mit Sonderbeiträgen für die gesunde Ernährung.
    Reimann: Ja, aber das sind Dinge, die als Qualitätsmerkmale sicher eine Rolle spielen, und das sind die Punkte, die wir sehen. Und das ist unterschiedlich in den Ländern. Die Bertelsmann-Untersuchung zeigt das ja auch sehr deutlich, dass es Länder gibt, die haben einen guten Betreuungsschlüssel, andere halt nicht. Da wäre erst mal die Qualität auszubauen im Sinne von kleineren Gruppengrößen. Andere haben kleine Gruppengrößen, haben aber vielleicht nicht die flexiblen Randzeiten, die Eltern bräuchten, um wirklich gut vereinbaren zu können ihren Job mit der Familie.
    Mittel sollen in Kita-Qualität und Kinderbetreuung investiert werden
    Dobovisek: Wenn wir über Gruppen und Personal reden, müssen wir auch über Streiks reden, die möglicherweise wieder anstehen in den Kitas. Was, wenn die Erzieher und die Gewerkschaften sich am Ende durchsetzen mit ihren Gehaltsforderungen von bis zu zehn Prozent mehr? Wäre der Bund am Ende bereit, die Kommunen dabei finanziell zu unterstützen?
    Reimann: Das ist jetzt alles ein bisschen Kaffeesatzleserei. Keiner kann sagen, wie letztendlich eine Vereinbarung zwischen den Tarifpartnern aussieht.
    Dobovisek: Aber wenn Sie jetzt vom Bund aus sagen, das wäre eine Möglichkeit, fiele es den Kommunen sicherlich leichter, Ja zu sagen.
    Reimann: Wenn wir die Möglichkeit erhalten, diese Mittel in Kita-Qualität und in Kitas und Kinderbetreuung zu stecken, ist das vielleicht auch eines der Dinge, die mit erörtert werden müssen.
    Dobovisek: Das heißt?
    Reimann: Wir kennen den Abschluss ja noch nicht. Dann kann man auch erst dann sagen, wie die zusätzlichen Erfordernisse in den Kommunen sind. Aber wir sind natürlich schon bereit, die Kommunen stärker zu unterstützen bei dem Ausbau und bei der Qualität der Kita-Betreuung.
    Dobovisek: Dann kommen wir noch einmal zurück zu dem, was Wolfgang Schäuble angeblich vorhat, und auch zu dem, was sein Staatssekretär Jens Spahn gesagt haben soll. Damit wird er jedenfalls zitiert. Das Geld werde gebraucht, um unter anderem ungeplante Mehrausgaben, wie er sagt, unter anderem beim Elterngeld zu decken. Davon profitieren doch am Ende auch Familien.
    Das Elterngeld plus ist ein Erfolg und keine böse Überraschung
    Reimann: Ja, aber das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Wir haben im Koalitionsvertrag eine Verbesserung des Elterngeldes beschlossen und die Ministerin hat das auch umgesetzt. Das Elterngeld plus hat ja eine verbesserte Leistung und vor allen Dingen ermöglicht es, unterstützt es die partnerschaftliche Teilung dieser Elternzeiten. Und das Elterngeld plus ist ein Erfolg und keine böse Überraschung, wie Sie das in Ihrem Bericht so hatten, und solide Haushälter müssen dann auch einen Aufwuchs der Mittel über die Zeit in entsprechender Höhe einpreisen und einplanen. Jetzt geht es ja um das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das so hat keiner vorhersehen können, und diese Mittel, über die reden wir jetzt. Das sind in zwei Jahren eine Milliarde, jetzt sind es mehrere hundert Millionen, und da würden wir die gerne in gute und bessere Betreuung unserer Kinder investieren.
    Reimann: Aber wenn Sie sagen, Familien müssen gefördert werden, auch mit dieser Milliarde, die dann übrig bleiben wird, dann gehört doch das Elterngeld genauso dazu.
    Reimann: Ja. Das Elterngeld ist aber eine Leistung - das ist ja eine gesetzliche Leistung, die wir schon hatten -, die wir verbessert haben, und wenn wir die verbessern, dann ist für alle Haushälter auch klar, dass das natürlich damit einher geht, dass wir mehr Geld brauchen, weil die Leistung besser wurde und weil wir natürlich abgesehen haben (das wollten wir alle und deswegen ist es keine böse Überraschung, sondern ein Erfolg), dass mehr Eltern, mehr Mütter, aber auch vor allen Dingen mehr Väter Elterngeld in Anspruch nehmen.
    Dobovisek: Carola Reimann, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, über den Zwist um die frei werdenden Mittel des gekippten Betreuungsgeldes. Ich danke Ihnen.
    Reimann: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.