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Debatte nach Chemnitz
Was ist dran an der "Hetzjagd"?

Verfassungsschutzpräsident Maaßen zieht ein Video in Zweifel, das für viele Beobachter als Beleg für eine Hetzjagd auf Ausländer in Chemnitz gilt. Mehrere Journalisten kommen zu einem anderen Schluss. Ein Überblick.

07.09.2018
    Ausschreitungen in Chemnitz (27. 8.2018).
    Ausschreitungen in Chemnitz am 27.8.2018. (dpa- news / AP / Jens Meyer )
    Eine neue Ausgabe des Tagesschau-"Faktenfinders" sowie das Portal t-online.de sind der Frage nachgegangen, ob Videoaufnahmen von Übergriffen aus Chemnitz als authentisch eingeschätzt werden können oder nicht. Tagesschau-Autor Patrick Gensing schreibt, die üblichen Kriterien Ort, Zeit oder auch Wetterverhältnisse stimmten mit anderen Aufnahmen exakt überein. Auch seien die Vorgänge von anderen Quellen bestätigt worden. "Für ein Fake liegen keine Indizien vor."
    t-online-Redakteur Lars Wienand zieht das Fazit, sollte das Video eine Fälschung sein, hätten die Szenen innerhalb eines sehr engen Korridors gestellt worden sein müssen. Die einzige andere Möglichkeit wäre, dass das Video schon im Vorfeld produziert worden sei. "Beides ist schwer vorstellbar."
    Verfassungsschutzpräsident Maaßen hatte sich in der "Bild"-Zeitung über ein Video geäußert, das zeigt, wie ein Mann in Chemnitz auf einen Migranten losgeht. Es lägen keine Belege dafür vor, dass das im Internet kursierende Video zu diesem angeblichen Vorfall authentisch sei, erklärte Maaßen. Es sprächen gute Gründe dafür, "dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken".
    Anzeige erstattet
    Auf welches Video er sich konkret bezog, sagte Maaßen nicht. Gensing geht davon aus, dass es sich um Aufnahmen von der Chemnitzer Bahnhofsstraße an der Johanniskirche vom 26. August handeln muss, die schon mehr als 370.000 Mal abgerufen wurden:
    Dem Magazin "Zett" zufolge ist der verfolgte Mann im Video ein 22-jähriger Afghane. Er habe am 29. August wegen des Vorfalls bei der Polizei Anzeige erstattet.
    Allerdings weiß über den Twitter-Account, der das Video ins Netz gestellt hat, wenig. Offenbar handelt es sich um eine Antifa-Gruppe, die schon etwas länger die rechte Szene beobachtet. Der Account nennt sich "Antifa Zeckenbiss". Wienand zufolge ist er mit ähnlichen anderen Accounts vernetzt, denen wiederum die Person, die hinter "Antifa Zeckenbiss" stehe, persönlich bekannt sei.
    Neben dem einen, nun im Fokus stehenden Video, gab es unmittelbar nach den Demonstrationen und Ausschreitungen von Chemnitz auch viele andere Berichte von Übergriffen - außer auf (vermeintliche) Migranten auch auf Medienvertreter.
    Die Staatsanwaltschaft äußert sich
    Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden widersprach Verfassungsschutzpräsident Maaßen. Es gebe keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das Video ein Fake sein könne, sagte Oberstaatsanwalt Klein dem Portal "Zeit Online". Daher werde es für Ermittlungen genutzt. Zuvor hatte ein Sprecher erklärt, die Videoaufnahmen der Ausschreitungen in Chemnitz Ende August dokumentierten zahlreiche Straftaten, darunter Landfriedensbruch, Körperverletzung und Beleidigungen. Anhaltspunkte für sogenannte Hetzjagden habe man bei der Auswertung aber bisher nicht gefunden. Bei Hetzjagden stelle man sich vor, dass Menschen durch die Straßen gejagt und verprügelt würden. Das habe man nicht gesehen.
    Auch Bundeskanzlerin Merkel hatte nach den Vorfällen zunächst von "Hetzjagden" gesprochen, was ihr Kritik seitens der AfD einbrachte. Später wies sie die Kritik zurück und verurteilte die Ausschreitungen in Chemnitz erneut, allerdings ohne den umstrittenen Begriff zu wiederholen. Sie sagte, es habe Bilder gegeben, die Hass und damit auch die Verfolgung unschuldiger Menschen gezeigt hätten. Davon müsse man sich distanzieren. Regierungssprecherin Demmer betonte, an den Ausschreitungen in Chemnitz gebe es nichts kleinzureden.
    Versöhnliches von Kretschmer
    Sachsens Ministerpräsident Kretschmer hatte dagegen im sächsischen Landtag betont, es habe keine Hetzjagden auf Ausländer gegeben, und damit indirekt auch Kritik an der Berichterstattung über die fremdenfeindlichen Demonstrationen geübt. Nun erklärte er, man solle nicht weiter über Begriffe streiten: "Das Entscheidende ist, dass wir für unsere Demokratie eintreten, dass wir die zur Verantwortung ziehen, die sich straffällig gemacht haben und das ist eine große Aufgabe."
    (riv)