Freitag, 19. April 2024

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Debatte über Russlandsanktionen
"Russland und Europa müssen zusammenarbeiten"

Die Freie Wähler-Politikerin Antje Hermenau hat ein Umdenken in der Sanktionspolitik gegenüber Russland gefordert. Da werde mit zweierlei Maß gemessen, sagte Hermenau im Dlf. Mittelfristig brauche Deutschland eine deutsch-russische Perspektive. Andernfalls drohe eine Isolation in Europa.

Antje Hermenau im Gespräch mit Martin Zagatta | 11.06.2019
Russland Präsident Putin spricht auf einem Wirtschaftsforum in Wladiwostock.
Russland Präsident Putin (dpa/picture-alliance/Alexei Druzhinin)
Martin Zagatta: Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hat mit seiner Forderung, Schluss zu machen mit den Sanktionen gegen Russland, eine heftige Kontroverse ausgelöst. Den Vorstoß hat der CDU-Politiker bei einem Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg unternommen, wo er auch Präsident Putin getroffen hat. Kritik auch aus den Reihen der Union, aber auch Zuspruch haben nicht lange auf sich warten lassen.
Sollen die Russland-Sanktionen aufgehoben werden, insbesondere im Interesse der ostdeutschen Länder? Ticken die Ostdeutschen tatsächlich anders, was den Umgang mit Wladimir Putin angeht? Das kann ich jetzt Antje Hermenau fragen, die frühere Grünen-Politikerin. Sie hat ihrer Partei nach langen Jahren den Rücken gekehrt, ist jetzt für die Freien Wähler in Sachsen aktiv und für die Wirtschaft als Beauftragte des Bundesverbands der mittelständischen Wirtschaft in Sachsen. Guten Tag, Frau Hermenau!
Antje Hermenau: Guten Tag! Ich grüße Sie, Herr Zagatta.
Zagatta: Frau Hermenau, die Sanktionen der EU sind ja eine Reaktion darauf, dass Russland völkerrechtswidrig die Krim annektiert hat, dass Russland im Osten der Ukraine einen kriegerischen Konflikt am Laufen hält. Wie können Sie, auch wenn Sie jetzt die Wirtschaft vertreten, da die Aufhebung der Sanktionen unterstützen?
"Unsere Mittelständler haben sehr gelitten"
Hermenau: Ich kann das erstens unterstützen, weil unsere Mittelständler insbesondere im Chemnitzer Raum sehr gelitten haben, insbesondere Maschinenbau und Fahrzeugbau, weil die natürlich ihre Märkte zum Teil auch in Russland haben.
Zagatta: Darf ich da gleich nachfragen?
Hermenau: Ja, bitte.
Zagatta: Da ist Wirtschaft wichtiger als Moral?
Hermenau: Die Frage könnte ich ja an die Bayern zurückwerfen, die zum Beispiel weiter fleißig in der Türkei investieren, obwohl Herr Erdogan ein Staatsgebiet Syriens besetzt hält.
"Das ist zweierlei Maß"
Zagatta: Da gibt es aber entsprechende Beschlüsse der EU noch nicht. Die Bayern verstoßen da jetzt nicht gegen EU-Vorgaben.
Hermenau: Nee! Aber das ist doch zweierlei Maß. Bleiben wir doch mal ehrlich. Es kann ja nicht sein, dass Herr Erdogan, weil er NATO-Mitglied ist und einen Teil Syriens besetzt hält, nicht angezählt wird, und Herr Putin wird angezählt wegen der Krim.
Ich meine, ich habe das damals skandalös gefunden, das ist völkerrechtlich völlig daneben. Auf der anderen Seite machen wir trotzdem als Deutschland immer Geschäfte mit vielen Leuten, die nicht alle absolut reinrassig oder rein sind sozusagen. Ich finde das nicht in Ordnung, dass man zweierlei Maß nimmt. Das geht nicht.
Zagatta: Frau Hermenau, da müssten wir ja ganz weit ausholen. Wir haben aber die Europäische Union, wir einigen uns da auf eine gemeinsame Politik. Das stellen Sie damit in Frage. Sie fallen mit dieser Haltung der Bundesregierung in den Rücken.
"Es wird massiv beeinflusst, wie in Europa gedacht wird"
Hermenau: Nein, das tue ich nicht. Es gibt immer verschiedene Meinungen zu den Sanktionen. Gucken Sie sich die Frage mit dem Iran an; das war auch eine schwierige Meinungsfindung in Brüssel. Das ist auch jetzt wieder hier eine schwierige Meinungsfindung. Auch die Sanktionen für Syrien werden eine schwierige Meinungsfindung sein. Man muss nur mal überlegen, ob man es als Europa sich leisten kann, sich von seinem ganzen Umfeld mit Sanktionen abzugrenzen.
Ich persönlich nehme das so wahr, dass vor allen Dingen Frankreich und Großbritannien massiv beeinflussen, auch die USA, wie in Europa da gedacht wird. Ich kann nicht erkennen, worin der Vorteil für Europa strategisch liegen soll, sich auf Dauer zu Russland, zur Türkei, zu Syrien abzuschotten. Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen.
Die Unternehmerin und ehemalige Grünen-Politikerin Antje Hermenau
Die Unternehmerin und ehemalige Grünen-Politikerin Antje Hermenau (Imago/ Horst Galuschka)
Zagatta: Da müssten wir jetzt vielleicht eine ganz andere Debatte noch führen. Aber wenn wir bei dem Thema bleiben: Da sind Wirtschaftsinteressen letztendlich für Sie ausschlaggebend. Sie haben ja, wenn ich das recht gelesen habe, auch Interesse, mit dem Assad-System oder mit dem Assad-Regime wieder zusammenzuarbeiten.
Hermenau: Ich arbeite nicht mit dem Assad-Regime zusammen, sondern mit Syrern.
"Sachsen hat in Syrien einen guten Ruf"
Zagatta: Wenn das wirtschaftliche Vorteile bringt für Unternehmen in Sachsen, dann sagen Sie, dann können wir auch mit syrischen Unternehmen zusammenarbeiten?
Hermenau: Das hat ein bisschen andere Ursachen. Das ist jetzt ein bisschen tendenziös, wie Sie das darstellen.
Zagatta: Ich frage Sie einfach! Ich stelle da nichts her.
Hermenau: Ja, gut. Dann nehmen wir es als Frage. Als Frage kann ich dazu sagen: Die Menschen in Syrien brauchen eine Perspektive. Dazu gehören Arbeitsplätze und Essen und Trinken. Die kann man nur haben, wenn man die Wirtschaft aufbaut. Wir versuchen, da den Mittelstand anzuheben, damit aus eigener Kraft dort Wirtschaftskraft entsteht, damit die Leute eine Perspektive haben, beruflich und auch materiell. Das ist wichtig in so einem Kriegsland. Der Krieg geht zu Ende. Es ist wichtig, was aufzubauen. Da haben wir ganz alte Beziehungen, aus Sachsen sowieso. Sachsen hat in Syrien einen guten Ruf. Wir haben damals noch zu DDR-Zeiten viele Leute ausgebildet. Sie haben hier gelernt, Techniker und andere Berufe, Ingenieure, und da knüpfen wir an eine lange Geschichte an.
Der Krieg ist fast vorbei. Wie gesagt, das NATO-Mitglied Türkei sitzt auf syrischem Territorium. Das ist schon etwas befremdlich. Und wir schauen jetzt mal, dass wir in Syrien vorankommen mit dem Aufbau nach dem Krieg. Das gilt dann auch für den Irak. Wir sind das gewöhnt, Aufbauleistungen zu machen. Uns fällt das nicht schwer. Deswegen ist es wichtig, da voranzukommen. Wissen Sie, die politischen Verhältnisse ändern sich nie, wenn die materiellen Verhältnisse nicht besser werden.
Zagatta: Und da muss man dann über einiges hinwegsehen? Da habe ich Sie recht verstanden?
Hermenau: Na ja, das tut doch die Bundesregierung auch. Das tut auch Brüssel, das ist doch ganz normal. Das machen alle! Das machen die Briten, die Franzosen. Warum machen denn das die Deutschen nicht?
Der russische Präsident Wladimir Putin (rechts) spricht beim Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg mit Ministerpräsident von Sachsen.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), spricht beim Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg mit dem russischen Präsident Wladimir Putin (dpa-Bildfunk / AP / Pool Sputnik Kremlin / Alexei Nikolsky)
Zagatta: Haben da die Ostdeutschen eine andere Einstellung? Ministerpräsident Kretschmer sagt das ja, das sei wieder eine Debatte, da würde der Westen völlig falsch auf den Osten schauen. Die Ostdeutschen hätten da eine andere Einstellung zu Russland. Stimmt das tatsächlich? Nehmen Sie das auch so wahr?
"Den russischen Bären nicht am Schwanz ziehen"
Hermenau: Es gibt gewiss bei den Älteren auch persönliche Beziehungen. Die haben dort zum Beispiel gearbeitet oder studiert. Das ist noch mal eine ganz andere Situation. Viele sprechen ja auch noch ein paar Brocken russisch. Man hat hier eine andere Beziehung, das ist richtig. Aber Sie dürfen folgendes nicht übersehen: Ich rede jetzt strategisch. Wir sind ja als Deutsche Mitteleuropäer, keine Westeuropäer. Die Franzosen und die Briten haben über Jahrhunderte immer skeptisch auf Russland geschaut, weil sie das für eine Konkurrenz hielten. Aber die Mitteleuropäer mussten immer gucken, dass sie den russischen Bären nicht am Schwanz ziehen und ordentlich davonkommen als Gruppe von kleineren Ländern. Die Polen, Tschechen, Slowaken und Ungarn wissen das auch. Mittelfristig müssen Russland und Europa aber doch zusammenarbeiten. Ich sehe keine Alternative dazu.
Zagatta: Das würde man im Westen wahrscheinlich auch sagen. Jetzt haben aber die Ostdeutschen ganz besonders gelitten unter der Politik Moskaus nach dem Krieg. Da wurde ihnen eine Diktatur aufgezwungen.
Hermenau: Richtig!
Zagatta: Die Opposition wurde unterdrückt. Hat das keine nachhaltigen Spuren hinterlassen?
Hermenau: Natürlich hat das Verletzungen hinterlassen. Fragen Sie auch mal die Polen oder die Tschechen. Die sehen das auch alles so.
Zagatta: Das wollte ich Sie gerade fragen!
Hermenau: Natürlich gab es Verletzungen! Natürlich ist das so! Aber das heißt ja nicht, dass man deswegen dumm wird und sich abgrenzt.
Zagatta: Das wollte ich Sie aber gerade fragen, wo Sie sagen, fragen Sie mal die Polen. Die sehen ja Russland besonders kritisch.
Hermenau: Die haben ja allen Grund dazu. Es gab ja mal eine deutsch-russische Grenze. Ich kann das aus polnischer Sicht verstehen.
"Politik ist ein hartes Geschäft"
Zagatta: Die sind noch näher dran. Haben Sie dafür Verständnis?
Hermenau: Ich verstehe das völlig, dass die Polen da skeptisch sind. Auch den Balten ging ganz schön die Muffe, als die Sache mit der Krim aufgekommen ist. Das darf man nicht verfehlen und nicht übersehen.
Zagatta: Aber das sind ja Länder, die für die Sanktionen sind. Fallen Sie diesen Ländern, zum Beispiel Ihrem Nachbarn, fallen Sie Warschau da nicht in den Rücken?
Hermenau: Nein, das sehe ich überhaupt nicht so. Ich bin der Meinung, dass wir uns jetzt auf den Weg machen müssen, mittelfristig wieder zu einer stabilen Beziehung zu kommen. Wie die genau aussehen wird, muss noch verhandelt werden. Ich weiß ja, dass sowohl Frankreich als auch Deutschland weiter mit Russland verhandelt. Die reden ja auch miteinander. So ist es ja nun nicht! Und es kommen auch manchmal hohe Delegierte ins Kanzleramt, die eigentlich wegen der Sanktionen gar nicht einreisen dürften, und man führt trotzdem die Gespräche. Man soll nicht immer, finde ich, mehr etepetete tun als es wirklich ist.
Politik ist ein hartes Geschäft. Sie können sich immer nicht aussuchen, ob Sie die besondere moralische Perle kriegen, oder ob Sie mit anderen Leuten arbeiten müssen. Aber Sie müssen Ergebnisse produzieren. Das ist der entscheidende Punkt, und die wollen wir produzieren.
"Diese harte Haltung kann man nur durchziehen, wenn sie für alle gilt"
Zagatta: Frau Hermenau, die AfD fordert diesen Kurs ja schon lange. Läuft man denen jetzt hinterher, oder war da die AfD einfach weitsichtiger als die anderen Parteien?
Hermenau: Ich weiß nicht, ob die AfD da weitsichtiger war. Aber es ist sicherlich richtig, dass wir hier schon seit Jahren über diese Russlandsanktionen im Osten diskutieren, in Sachsen insbesondere. Ich habe auf die schweren Schädigungen im Bereich Maschinenbau und Fahrzeugbau hingewiesen. Das war richtig gravierend. Das sind ja immer sehr teure Geschichten, die dann auf Halde stehen und nicht geliefert werden können.
Ich glaube, dass man da zur Normalität zurückkehren muss, auf welche Art und Weise man das auch immer schafft. Ich glaube, diese harte Haltung kann man nur durchziehen, wenn sie für alle gilt, und dann müsste man meiner Meinung nach auch die Türkei mal in den Fokus nehmen, und ich glaube, das würde überhaupt keiner machen, weil der Freistaat Bayern nämlich sehr viel in der Türkei investiert hat und nicht möchte, dass das den Bach runtergeht. So ist das Leben.
"Es gab immer über die letzten Jahre Kontakte"
Zagatta: Bleiben wir jetzt mal beim deutsch-russischen Verhältnis. Da klagte jetzt Die Linke in Sachsen, diese Politik, die Herr Kretschmer jetzt fordert, die Sie ja vehement offenbar mittragen, die hätte man schon lange machen können. Die hätten Kretschmer und sein Vorgänger Tillich jahrelang zurückgewiesen und jetzt gibt es vor der Landtagswahl ausgerechnet dieses Umdenken.
Hermenau: Der Zufall ist natürlich kein Zufall. Das ist völlig richtig erkannt. Da hat Die Linke die Spürnase gehabt. Aber das reicht noch nicht. Es gab immer über die letzten Jahre Kontakte, die man auch gepflegt hat. Zum Beispiel gab es das sächsisch-russische Rohstoff-Forum, es gab Foren für junge Führungskräfte. Da hat es immer Kontakte gegeben und die wurden auch weitergeführt.
Wir haben uns da als Sachsen das nie nehmen lassen, egal wie da gerade auf anderer Seite drüber diskutiert worden ist. Wir haben die Kontakte immer aufrecht erhalten. Wir haben immer die Gesprächsfähigkeit erhalten, egal wie wir zu verschiedenen Fragen politisch gedacht haben. Das hat uns ja auch nicht alles gepasst, so ist das ja nicht.
Zagatta: Jetzt hat Herr Kretschmer den Kreml-Chef Putin eingeladen, er solle mal auch nach Dresden kommen. Putin hat ja selbst als KGB-Offizier an der Überwachung von DDR-Bürgern, an der Unterdrückung mitgewirkt. Wären Sie da mit in der ersten Reihe, wenn der demnächst nach Dresden kommt, und würden ihm da zujubeln?
"Es geht darum, dass man politikfähig bleibt"
Hermenau: Ich habe keine große landespolitische Bedeutung mehr, dass ich da in den ersten Reihen stehen würde.
Zagatta: Aber in der zweiten Reihe würden Sie mitjubeln, oder?
Hermenau: Ich würde auch nicht jubeln, aber ich würde den Gesprächen nicht ausweichen. Das ist der entscheidende Punkt, den man bitte unterscheiden muss. Es geht ja nicht darum, ob man sich moralisch in die Brust wirft und sagt, ich rede mit bestimmten Leuten nicht, sondern es geht darum, dass man politikfähig bleibt. Das ist ein Lernprozess, der in Deutschland offensichtlich in vielen Fragen ansteht.
Zagatta: Aber wenn Sie da so wirtschaftlich argumentieren, haben Sie Vertrauen in Putin? Ich will da nur aus Sicht der Wirtschaft mal sagen: Die Turbinen, die Siemens nach Russland geliefert hat und die dann auf die Krim weitertransportiert wurden, da hat ja Putin offenbar ganz glatt sein Versprechen gebrochen. Sie haben Vertrauen in den Mann?
Hermenau: Ich persönlich kenne ihn doch gar nicht. Wie kann ich dann Vertrauen zu ihm haben? Ich bin der Meinung, wir müssen die Politikfähigkeit aufrecht erhalten und wir müssen eventuell Verträge abschließen. Das ist alles richtig. Mittelfristig braucht Deutschland eine deutsch-russische Perspektive und wer das ignoriert, der isoliert Deutschland weiter in Europa.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.