Freitag, 19. April 2024

Archiv

Debatte um Abschiebung von Sami A.
"Es gibt nach wie vor Folter in Tunesien"

Wird in Tunesien gefoltert oder nicht? Die Abschiebung des mutmaßlichen Islamisten Sami A. aus Deutschland hat diese Frage wieder in den Fokus gerückt. Und auch sieben Jahre nach der Revolution im nordafrikanischen Land wird klar: Das Thema Folter bleibt heikel.

Von Jens Borchers | 17.07.2018
    Polizisten stehen in einer Straße und bewachen die Umgebung.
    Immer noch wird tunesischen Sicherheitskräften Folter vorgeworfen (Mohamed Messara, picture alliance / dpa)
    Auf dem Papier ist Tunesien weit vorn, wenn es um die Bekämpfung von Folter und Misshandlungen geht. Die Gesetze sind da. Nach der Revolution wurde eine unabhängige "Nationale Instanz für Folter-Prävention" geschaffen. Diese Instanz soll für Aufklärung, für Sensibilisierung und Information zu dem Thema sorgen. Vor kurzem legte das Gremium die Ergebnisse einer Umfrage unter mehr als 3.000 Tunesiern vor. Über 3 Prozent der Befragten gaben an, selbst Folter und Misshandlungen durch Sicherheitskräfte erlebt zu haben.
    Radhia Nasraoui, vielleicht die prominenteste Menschenrechtsanwältin Tunesiens, konstatierte nach der Vorstellung dieser Umfrage:
    "Es gibt nach wie vor Folter in Tunesien. Auch nach der Revolution gegen den Diktator Ben Ali sind in Tunesien Menschen durch Folter gestorben."
    Zwar Fortschritte seit der Revolution - aber ...
    Niemand bestreitet, dass sich die Situation seit der Revolution dennoch deutlich verbessert hat: Ob Amnesty International, die "Organisation gegen Folter in Tunesien" oder die Vereinten Nationen – sie alle sprechen von großen Fortschritten. Systematische Folter gibt es in Tunesien demnach nicht mehr. Aber Menschenrechtsorganisationen haben Fälle dokumentiert, in denen Opfer von Folterungen durch die Sicherheitskräfte berichten.
    Tunesiens Regierung bestreitet nicht rundheraus, dass so etwas vorkommen könne. Aber sie verweist selbstverständlich immer auf die Anstrengungen, die angeblich unternommen werden, um Folter und Gewalttätigkeiten durch Sicherheitskräfte zu unterbinden.
    Als Tunesien 2015 von gleich drei schweren Terroranschlägen erschüttert wurde, registrierten die Menschenrechtsorganisationen einen Anstieg der Beschwerden über Misshandlungen und Gewalt im Polizeigewahrsam. Gabriele Reiter, Büroleiterin der Welt-Organisation gegen Folter OMCT in Tunis, vermutete, der nach den Attentaten verhängte Ausnahmezustand habe eventuell zu einem Anstieg der Gewalt beigetragen. Und auf die durchaus schizophrene Haltung in der Bevölkerung in Sachen Polizeigewalt:
    "Die Menschen wollen, dass die Ordnungskräfte mehr Macht bekommen. Damit es mehr Stabilität und Sicherheit gibt. Aber sie verschließen ein bisschen die Augen vor dem Missbrauch dieser Macht. Sie denken nicht daran, dass sie das auch selbst treffen kann."
    Bislang keine Hinweise auf Fehlverhalten tunesischer Behörden
    Die OMCT betreibt drei Büros in Tunesien, in denen Opfern von Polizeigewalt Hilfe angeboten wird. Im vergangenen Jahr suchten 52 Menschen dort Hilfe.
    Jetzt wird die Frage nach Folter und Verhörmethoden durch die umstrittene Abschiebung von Sami A. nach Tunesien wieder akut. Der mutmaßliche Islamist sitzt in Tunis in Haft und wird wegen Terrorismusverdacht verhört. Der Sprecher der zuständigen Staatsanwaltschaft in Tunis lässt sich mit den Worten zitieren:
    "Folter ist für uns eine rote Linie!"
    Tunesische Medien berichten, die Regierung habe den Deutschen bereits im Mai versichert, dass Folter und menschenunwürdige Verhörmethoden nicht angewendet würden. Die in Tunesien dokumentierten Fälle von Polizeigewalt und Misshandlungen stellen diese Haltung teilweise in Zweifel.
    Im aktuellen Fall des abgeschobenen Sami A. gibt es bisher keinerlei Hinweis auf ein Fehverhalten – jedenfalls nicht bei den tunesischen Behörden.