Freitag, 19. April 2024

Archiv

Debatte um Haushaltsentwurf
"Investitionen können auch gute Investitionen sein"

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis hat mehr Investitionen durch die öffentlichen Haushalte gefordert. Mattheis sagte im Deutschlandfunk, in der aktuellen Niedrigzinsphase seien Investitionen in gute Infrastruktur zukunftsträchtiger als die Schwarze Null. Zuvor hatte das Kabinett den Bundeshaushalt 2017 beschlossen.

Hilde Mattheis im Gespräch mit Marion Dobovisek | 06.07.2016
    Die Vorsitzende des Forums Demokratische Linke, Hilde Mattheis (SPD), spricht am 04.07.2014 in Berlin vor dem Bundestag.
    Die Vorsitzende des Forums Demokratische Linke, Hilde Mattheis (SPD). (dpa / picture alliance / Soeren Stache)
    Als Beispiel nannte Mattheis Krankenhäuser, den Wohnungsbau und den Bildungsbereich. Es sei an der Zeit, diese Monstranz der schwarzen Null nicht weiter vor sich herzutragen, sagte sie.
    Das Bundeskabinett hatte am Vormittag den Entwurf für den Bundeshaushalt 2017 verabschiedet. Er sieht Ausgaben von gut 328 Milliarden Euro vor. Das sind 3,7 Prozent mehr als in diesem Jahr. Bis 2020 sollen die Ausgaben auf knapp 350 Milliarden Euro steigen. Trotz zusätzlicher Ausgaben zur Betreuung von Flüchtlingen und weiterer Investionen will Bundesfinanzminister Schäuble auf neue Schulden verzichten.

    Das Interview in voller Länge:
    Mario Dobovisek: Das Kabinett winkt den neuen Haushalt durch - am Telefon begrüße ich Hilde Mattheis. Sie ist Bundestagsabgeordnete der SPD und aktiv im linken Flügel ihrer Partei. Guten Tag, Frau Mattheis.
    Hilde Mattheis: Ja, guten Tag.
    Dobovisek: Da ist sie also wieder, die schwarze Null von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, und sie wird bleiben, auch weil die Haushälter Ihrer Fraktion sie mittragen. Ein Fehler, Frau Mattheis?
    Mattheis: Ich glaube, dass man die Diskussion von einer anderen Seite aufzäumen muss. Ich glaube, es ist wichtig zu artikulieren, was will ich meinen Enkelkindern hinterlassen. Will ich ihnen gute Schulen hinterlassen, eine gute Infrastruktur, was die Krankenversorgung anbelangt, also Kliniken nicht in ausschließlich privater Hand, will ich ihnen gute Straßen hinterlassen, will ich ihnen eine zukunftsfeste Infrastruktur hinterlassen,…
    Dobovisek: Ich will meinen Kindern und Enkelkindern, Frau Mattheis, keine Schulden hinterlassen.
    "Eine gute Investition in Infrastruktur ist wesentlich zukunftsträchtiger"
    Mattheis: …, oder möchte ich sagen, guckt her, auf dem Sparbuch ist zwar nichts, aber ich habe auch keine Schulden. Und da bin ich schon für eine Diskussion zu sagen, wann lohnen sich Investitionen durchaus auch über einen Kredit und wann lohnen sie sich nicht. Diese Diskussion müssen wir, glaube ich, wieder führen. Und in einer Zeit, in einer Niedrigzins-Phase wie der jetzigen, glaube ich, ist eine gute Investition in Infrastruktur wesentlich zukunftsträchtiger für unsere Enkelkinder als etwas, was man als Schuldenbremse vor sich herträgt. Ich glaube fest daran, dass die Gesellschaft auch unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten mehr davon hat, wenn die Zugänge zu guter Bildung, wenn die Zugänge zu einer Krankenversorgung, wenn auch die Zugänge zu anderen Beratungsstrukturen für alle gleichermaßen da sind. Denn klar ist auch: Wenn diese Investitionen nicht getätigt werden, dann verengt sich der Zugang so, dass es auch hier, was die öffentliche Infrastruktur anbelangt, eine klare Spaltung der Gesellschaft gibt. Diese Gesellschaft möchte ich nicht; deswegen glaube ich, dass es an der Zeit ist, diese Monstranz der schwarzen Null nicht weiter vor sich herzutragen.
    Dobovisek: Auf der anderen Seite: Der Sozialstaat Deutschland ist nicht gerade zusammengebrochen in den letzten Jahren und Schulden sind eine erdrückende Last, auch eine erdrückende Last für die künftigen Generationen. Wieweit wollen Sie denn noch Schulden aufnehmen?
    "Ungerechtigkeiten zeigen sich nicht nur in finanziellen Unterstützungen"
    Mattheis: Der Sozialstaat ist nicht zusammengebrochen, aber er hat die Ungerechtigkeit nicht behoben. Das ist der Punkt. Ungerechtigkeiten zeigen sich nicht nur in finanziellen Unterstützungen, sondern zeigen sich auch darin, ob jemand eine Wohnung sich leisten kann, und zwar eine, die so ein Stück weit Lebensqualität bedeutet, dass sich im Prinzip Alleinerziehende, die oftmals ja stärker betroffen sind von einem Armutsrisiko, ob sie für ihre Kinder so was wie eine Bildungsperspektive aufbauen können. Alles das gehört dazu und das darf man nicht getrennt voneinander sehen, und da glaube ich, dass wir gerade - das sagen uns ja nicht nur OECD - in unserer Gesellschaft, wo das Auseinanderdriften so eklatant wird, dass wir gerade auch den Blick auf Infrastruktur richten müssen. Denn auch das bedeutet eine Teilung der Gesellschaft, wenn ich da nicht dafür sorge, dass Kliniken vor Ort alle gut behandeln können, dass alle vor Ort eine gute Wohnsituation haben, dass alle Bildungszugänge haben. Das hat schon etwas damit zu tun, ob wir Gerechtigkeit durchdeklinieren.
    Dobovisek: Wolfgang Schäuble will nicht mehr Schulden, sondern er will mehr Wachstum. Hören wir uns an, was er dazu sagt:
    O-Ton Wolfgang Schäuble: "Wir haben ja nicht einen Mangel an Schulden, auch nicht in Griechenland, nun beim besten Willen nicht, auch nicht in anderen europäischen Ländern, sondern wir haben einen Mangel an Wirtschaftswachstum, an Wettbewerbsfähigkeit, an Strukturreformen, auch an Verwaltungskapazität im Übrigen, und das muss entsprechend aufgebaut werden."
    Dobovisek: Da sprechen wir, Frau Mattheis, nicht mehr allein über Deutschland, wir sprechen auch über ganz Europa. Das Schuldenproblem ist überall das gleiche, mal mehr, mal weniger. Aber die Lösung, so Schäuble, ist nicht, mehr Schulden aufzunehmen, sondern Wachstum zu fördern. Das könnte in Deutschland ja genauso gut funktionieren.
    "Schulden sind nicht unbedingt wachstumshemmend"
    Mattheis: Ja, da hat er sicherlich auch eine Kommentierung von Herrn Fratzscher gehört, der genau an dem Punkt ansetzt, dass nämlich auch Ungleichheit nicht zu Wachstum führt, sondern wachstumshemmend ist. Ich glaube, das ist ein Aspekt, den müssten sich sämtliche Ökonomen dieser Welt einfach auch mal angucken, dass nur, wenn ich im Prinzip auch eine breite Bevölkerungsschicht in die Lage versetze in gesellschaftlichem Gesichtspunkt auch teilhaben zu können, auch für Konsum zu sorgen, dann bedeutet das natürlich auch Wachstum. Dieser Aspekt, der wird im Moment, glaube ich, viel zu sehr unterschätzt.
    Dobovisek: Die deutsche Industrie, zum Beispiel der Deutsche Industrie- und Handelskammertag, sieht das genau anders herum. Der sagt, Wachstum, dadurch mehr Steuern, dadurch mehr Investitionen. Klingt vernünftig.
    Mattheis: Ja! Der Industrie- und Handelskammertag hat ja auch gesagt, dass die schwarze Null nicht unbedingt als Monstranz vor sich hergeschoben werden sollte. Das hat er auch gesagt. Damit befindet er sich durchaus auch in der Linie zu sagen, Investitionen können auch gute Investitionen sein und die damit verbundenen Schulden sind nicht unbedingt wachstumshemmend, sondern wachstumsfördernd.
    Dobovisek: … sagt die SPD-Politikerin Hilde Mattheis. Vielen Dank für das Interview, Frau Mattheis.
    Mattheis: Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.