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Debatte um Karenzzeit
Geißler: Pofalla wechselt nur in andere öffentliche Aufgabe

Die Debatte über einen möglichen Wechsel von Ronald Pofalla in den Bahn-Vorstand bezeichnet der ehemalige Generalsekretär der CDU, Heiner Geißler, als eine künstliche Aufregung. Als politischer Kopf werde Pofalla Privatisierungstendenzen verhindern, so Geißler im DLF-Interview.

Heiner Geißler im Gespräch mit Friedbert Meurer | 07.01.2014
    Friedbert Meurer: In den USA mögen Wechsel von der Wirtschaft in die Politik und umgekehrt gang und gäbe sein – die Deutschen sind da deutlich sensibler. Von Politikern wird erwartet, dass sie sich in den Dienst der Allgemeinheit stellen. Wer ein politisches Amt anstrebt oder es innehat, soll nicht anschließend sein erworbenes Wissen versilbern oder gar verschachern, so heißt es immer wieder. Andererseits wird entgegengehalten, im Bundestag sollen nicht nur Beamte und Juristen sitzen, sondern auch Unternehmer oder Manager – sie würden mit ihrer Expertise gebraucht. Oder verhält es sich mit Ronald Pofalla ganz anders. Der Mann braucht eine Anschlussverwendung, und dafür wird dann das Unternehmen Deutsche Bahn missbraucht, das zu 100 Prozent der öffentlichen Hand gehört.
    Heiner Geißler ist lang gedienter, erfahrener CDU-Politiker, er hat zuletzt bei Stuttgart 21 für die Deutsche Bahn mit geschlichtet. Guten Morgen, Herr Geißler!
    Heiner Geißler: Guten Morgen, Herr Meurer!
    Meurer: Würden Sie Ja sagen, wenn die Deutsche Bahn Sie als Schlichter für die Bestallung von Ronald Pofalla haben will?
    Geißler: Nein, mit Sicherheit nicht. Und zwar ganz einfach deswegen, ich schlichte keine künstliche Aufregung. Was da abläuft, geht an der Sache vorbei. Sie haben das völlig zu Recht geschildert, Übergang Politik in Wirtschaftsunternehmen, private Wirtschaftsunternehmen, aber die Deutsche Bahn ist kein privates Wirtschaftsunternehmen, sondern es ist ein staatliches Unternehmen, allerdings privatrechtlich organisiert. 100 Prozent der Aktien gehören dem deutschen Volk, und die Bahn hat eine öffentliche Aufgabe, die natürlich auch privatrechtlich durchgeführt werden kann, aber deswegen doch nicht zur Privatangelegenheit des Vorstandes wird. Das heißt, warum soll ein Bundesminister, der bisher eine öffentliche Aufgabe erfüllt hat, nicht wechseln in eine andere öffentliche Aufgabe? Das wird ja in der Diskussion völlig durcheinander gebracht.
    Meurer: Sie haben gerade gesagt, das ist nicht die Privatangelegenheit des Vorstands. Ist das eine Kritik am Vorstandsvorsitzenden Grube, dass er das nicht am Aufsichtsrat vorbei machen soll?
    Geißler: Nein, aber es ist die Gefahr vorhanden, dass durch den Aufsichtsrat eben wieder ein Rückfall erfolgt in die Ära von Mehdorn, der aus der Deutschen Bahn einen internationalen Logistikkonzern machen wollte. Und solche Vorstellungen sind auch im Aufsichtsrat vertreten. Und der Pofalla, das ist ein sehr guter Mann, muss als politischer Kopf im Vorstand den neuen Kurs von Grube unterstützen, der sich darauf konzentriert, dass sich die Bahn auf die eigentliche Aufgabe besinnt, nämlich den Transport von Personen, der Bevölkerung, und von Waren pünktlich und schnell zu organisieren, und dafür auch die Investitionen einzusetzen. Anstatt in Saudi-Arabien Bahngleise zu verlegen oder gar nach Wladiwostok, wie das Mehdorn wollte, müssen Strecken bei uns elektrifiziert werden.
    Meurer: Und dafür braucht man unbedingt Ronald Pofalla im Vorstand?
    Geißler: Ich glaube, dass es nicht schlecht ist, ich wiederhole das noch einmal, wenn ein politischer Kopf vorhanden ist, der diesen Kurs im Sinne der Bevölkerung, darum geht es, zur Sicherung dieser öffentlichen Aufgabe auch durchsetzt. Und das, was jetzt der Kurs der Bahn ist, auch gesichert wird. Das scheint mir eine ganz wichtige Aufgabe im Moment zu sein, weil nach wie vor Bestrebungen vorhanden sind, wieder diese Privatisierungstendenzen zu verstärken. Und dann haben wir Situationen wie in England oder in anderen Ländern.
    Meurer: Also Ihnen geht es um die Bahn, Herr Geißler. Auf der anderen Seite wird gesagt: Da wird jetzt eigens im Vorstand ein neuer Posten kreiert mit 1,3 bis 1,6 oder 1,8 Millionen im Jahr dotiert, das zahlen die Bahnkunden und der Steuerzahler. Riecht das alles doch nicht nach Versorgung eines altgedienten Politikers?
    Geißler: Ja gut, das kann man natürlich so missdeuten. Das ist absolut richtig. Aber ich nehme mal an, dass der Übergang von Pofalla zur Deutschen Bahn durchaus auch im Einvernehmen mit dem jetzigen Bahnvorstand, auch mit Grube, erfolgt. Und wenn die der Auffassung sind, dass der Kurs unterstützt werden sollte durch eine Person wie Pofalla, dann kommt es auf die ein oder zwei Millionen doch nicht an. Das ist doch eine lächerliche Diskussion.
    Meurer: Das sagen Sie mal den Lokführern und denen, die in den Gleisanlagestellen arbeiten, dass das eine lächerliche Summe sei.
    Geißler: Ich kenne die Lokführer sehr gut, ich kenne auch den Herrn Weselsky sehr gut. Ich habe zusammen mit Kurt Biedenkopf im Jahr 2007 den Lokführerstreik geschlichtet. Die Lokführer sind vollauf dafür, dass diese politische Ausrichtung erhalten bleibt. Denn die Tendenz, weiter zu privatisieren, führt ja nur dazu, dass gespart werden muss. Wo? Am Personal und an der Sicherheit, an den Weichen, an den Stellwerken, das haben wir ja in Mainz erlebt, nicht wahr. Das ist eine völlig unmögliche Situation, wegen Personalmangel ein großer Bahnhof überhaupt nicht mehr für den Fernverkehr benutzt werden kann. Dass die Toiletten nicht funktionieren, die Klimaanlagen ausfallen. Die Lokführer, die sind natürlich nicht daran interessiert, dass aus der Bahn ein internationaler Logistikkonzern wird, weil das zu ihren Lasten geht und zu den Personalentlassungen führt, wie das bei Mehdorn der Fall gewesen ist.
    Meurer: Wir reden jetzt über die Situation bei der Bahn, die Sie gerade schildern. Herr Geißler, die Öffentlichkeit redet über Moral. Und da hat Ronald Pofalla gerade vor etlichen Jahren selbst dem Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder vorgeworfen, dass er sich in die Dienste von Gazprom stellt. Und hören wir mal ganz kurz das an, was Pofalla damals über Gerhard Schröder gesagt hat.
    Ronald Pofalla: Die Menschen müssen den Eindruck haben, dass es Gerhard Schröder nicht um Gas geht, sondern ausschließlich um Kohle.
    Meurer: Wenn man das jetzt mal überträgt, Herr Geißler, würde Pofalla jetzt sagen, es geht Pofalla nicht um die Bahn, sondern um die Kohle, die er verdient.
    Geißler: Also ich hoffe, Herr Meurer, dass Sie das nur zitieren, und das nicht Ihre eigene Meinung ist, soweit. Ein Defizit ...
    Meurer: Das war ein wörtliches Zitat von Ronald Pofalla, 2005.
    Heiner Geißler
    Geboren 1930 in Oberndorf am Neckar, Baden-Württemberg. Der CDU-Politiker studierte zunächst Philosophie und im Anschluss Rechtswissenschaften, die er 1962 mit dem zweiten Staatsexamen abschloss. Er promovierte und war zunächst als Richter tätig. Geißler ist Gründungsmitglied des Kreiverbandes Rottweil der CDU im Jahr 1956. Er gehörte der Bundesregierung an und bekleidete viele politische Ämter in der Partei und in Bundes- und Landesregierungen. Seit 1997 vermittelt er regelmäßig in Tarifkonflikten und war als Schlichter für Stuttgart 21 tätig.
    Geißler: Ja, da hat er ja auch völlig recht. Es ist doch ein absolutes Defizit an Differenzierungsfähigkeit, wenn ich die Deutsche Bahn in einen Topf werfe mit Gazprom. Der Übergang eines Bundesministers von einer öffentlichen Aufgabe als Bundesminister zu einer anderen öffentlichen Aufgabe, das ist ja immer klar, die Leute denken immer, die Bahn ist ein Privatunternehmen. Ist sie aber nicht. Sie hat eine öffentliche Aufgabe. (* Anmerkung der Onlineredaktion)
    Meurer: Okay. Ihre Partei kritisiert aber auch, dass Joschka Fischer für BMW Werbung macht.
    Geißler: Bitte?
    Meurer: Es gibt aber auch Kritik zum Beispiel aus Ihrer Partei, dass Joschka Fischer Werbung für BMW macht.
    Geißler: Wer macht ...?
    Meurer: Gegen BMW ist ja nichts zu sagen.
    Geißler: Moment! Das sind Spenden, die die Partei bekommt, aber doch nicht die Regierung. Es ist doch etwas völlig anderes. Die SPD kriegt auch Spenden von was weiß ich, BMW oder Daimler oder was weiß ich. Es geht doch um die Regierung, um Regierungsämter, um die Realisierung von öffentlichen Aufgaben, und da kann ich kein Problem darin sehen, dass ein Bundesminister eine andere öffentliche Aufgabe übernimmt. Die Frage ist, ob das Knall auf Fall, von heute auf morgen sein muss. Das ist aber mehr eine psychologische Frage.
    Meurer: Wenn das so absolut sauber ist, warum sollte das dann unter der Decke gehalten werden?
    Geißler: Es ist ja nicht unter der Decke gehalten worden, sondern es ist, bevor die Sache überhaupt spruchreif geworden ist im Aufsichtsrat, durchgestochen worden. Also, das ist ja der eigentliche Vorgang. Es stammte ja gar nicht von Pofalla.
    Meurer: Da wollte also offenbar jemand verhindern, dass Pofalla den Job bekommt.
    Geißler: Ja, das ist eine schöne Methode. Was da mitspielt, nicht wahr, in einem solchen Fall, das erleben wir in der öffentlichen Diskussion. Die Unfähigkeit, zu differenzieren, auch aus parteipolitischen Gründen. Und der Neidfaktor spielt eine riesige Rolle. Warum soll ein guter Mann nicht eine neue, gute Aufgabe erfüllen, die im öffentlichen Interesse sich befindet.
    Meurer: Haben Sie eine Ahnung, wer da durchgestochen hat?
    Geißler: Das weiß ich nicht.
    Meurer: Aufsichtsrat oder Partei?
    Geißler: Da ist – Ihrer Fantasie setze ich da keine Grenzen.
    Meurer: Heiner Geißler, der langjährige CDU-Politiker und Schlichter bei Stuttgart 21, bei der Bahn, zum Fall Ronald Pofalla. Er sagt, es sei in Ordnung und sauber, wenn ein ehemaliger Kanzleramtsminister in das Staatsunternehmen Bahn wechselt. Herr Geißler, ich danke Ihnen, und auf Wiederhören!
    Geißler: Ja, bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    * Anmerkung der Onlineredaktion: Das Landgericht Hamburg hat eine hier ursprünglich nachlesbare Aussage Heiner Geißlers zum Sachverhalt Gerhard Schröder /Gazprom für unzulässig erklärt. Wir haben den entsprechenden Satz gelöscht.