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Debatte um Maas
"Konzeptionelle Abstinenz der Bundeskanzlerin"

Die Kritik an Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) sei "klein-klein" und lenke von wichtigen Fragen ab, sagte SPD-Außenpolitiker Karsten Voigt im Dlf. Zugleich sieht er "Fehler" beim deutschen Chef-Diplomaten. Vor allem aber sei Kanzlerin Angela Merkel eine "Leerstelle" in der Außenpolitik.

Karsten Voigt im Gespräch mit Dirk Müller | 06.11.2019
Außenminister Heiko Maas spricht mit Journalisten
Der ehemalige Justizminister Heiko Maas ist seit Frühjahr 2018 deutscher Außenminister (dpa/Monika Skolimowska)
Dirk Müller: Ein Fauxpas jagt offenbar den anderen bei Heiko Maas, sagen jedenfalls die Kritiker. Die FDP fordert nun, dass der deutsche Außenminister eine Rüge kassiert, ganz offiziell vom Bundestag. Norbert Röttgen spricht vom historischen Fehltritt. Annegret Kramp-Karrenbauer ist ohnehin massiv verärgert, nachdem sie von Heiko Maas in der Türkei bloßgestellt worden ist. Internationale Amtskollegen schütteln immer häufiger süffisant mit dem Kopf, wenn sie auf den deutschen Außenminister angesprochen werden. Jüngst der Affront nun gegenüber den USA. Heiko Maas spricht vielen Akteuren seinen Dank aus für den Mauerfall vor 30 Jahren, vergisst dabei jedoch, die Amerikaner zu erwähnen. Der Druck auf den SPD-Politiker aus dem Saarland wächst.
Heftige Kritik von der Union, wir haben das gehört, heftige Kritik von der Opposition allemal, aber auch in der eigenen Partei, in der SPD mehrt sich die Unzufriedenheit mit der Arbeit des Außenministers. Über Heiko Maas sprechen wir jetzt mit Karsten Voigt, viele Jahre lang einer der führenden Außenpolitiker bei den Sozialdemokraten und Regierungsbeauftragter für die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Guten Tag nach Berlin.
Karsten Voigt: Guten Tag, Herr Müller!
Müller: Herr Voigt, ist das alles eine Nummer zu groß für Heiko Maas?
Voigt: Nein. Die Debatte ist typisch deutsch, klein-klein, und sie greift zu kurz. Die Europäer haben Angst vor deutschen Alleingängen, aber sie sehnen sich nach deutschen Initiativen in der Europapolitik, in der Sicherheitspolitik und in der Ostpolitik. Wenn ich an den sicherheitspolitischen Alleingang, der außerdem noch nicht mal durchdacht war, von Frau Kramp-Karrenbauer denke, oder an die europapolitische konzeptionelle Abstinenz der Bundeskanzlerin, dann muss man feststellen, dass aus der Außensicht gesehen Deutschland in der Europapolitik und in der Außenpolitik und in der Sicherheitspolitik häufig schlicht und ergreifend nicht stattfindet.
Müller: Weil Heiko Maas der Außenminister ist?
Voigt: Nicht wegen Heiko Maas, sondern weil insgesamt die Debatte so wie jetzt über Heiko Maas in Deutschland klein-klein ist.
Der SPD-Politiker Karsten Voigt
Der SPD-Politiker Karsten Voigt (imago stock&people)
Müller: Wieso ist das klein-klein? Das verstehe ich nicht.
Voigt: Weil es klein-klein ist. Ich sage Ihnen das auch ganz genau.
Müller: Ja, bitte!
Voigt: Hat einer von den Kritikern irgendeinen Beitrag geleistet zu der Sicherheitspolitik und der europapolitischen Diskussion in Deutschland, oder zu der Ostpolitik, die mit Putin ja auch neu formuliert werden muss?
Müller: Aber dafür haben wir ja einen Außenminister.
Voigt: Dafür haben wir erst mal eine Bundeskanzlerin und dafür haben wir eine Bundeskanzlerin, die in dieser Frage eine Leerstelle ist - nicht, weil sie wahrscheinlich Schlechtes will, sondern einfach, weil sie konzeptionell sich nicht äußert und nicht debattiert. Und wir haben eine Verteidigungsministerin, die eine legitime Debatte über die deutsche sicherheitspolitische Rolle am falschen Objekt führt und dann sie außerdem noch parteipolitisch führt, indem sie sich nicht vorher in der Koalition abstimmt. Und dann haben wir allerdings auch bestimmte Dinge, die Heiko Maas macht, die ich etwas anders gemacht hätte. Ich hätte zum Beispiel in der Türkei die durchaus richtige Kritik, in der Sache richtige Kritik an der Frau Kramp-Karrenbauer nicht in der Türkei geäußert, sondern hätte sie zuhause in Berlin geäußert.
"Luftnummer" von Kramp-Karrenbauer
Müller: Das war ein politischer Fehler, dass er das dort gemacht hat?
Voigt: Das war ein formaler Fehler, der aber an der Substanz nichts ändert, dass die Diskussion darüber sein muss, dass die deutsche Rolle in Syrien mit dem Vorschlag von der Frau Kramp-Karrenbauer ja überhaupt nicht richtig debattiert worden ist. Sie hat ja etwas eingeführt, einen Vorschlag über eine sicherheitspolitische Rolle Deutschlands, als inzwischen die Russen und die Türken das schon lange unter sich aufgeteilt haben. Das heißt, wir waren hinterher! Sie hat hinterher was gebracht und deshalb war ihr Vorschlag eine Luftnummer.
Wie jetzt die Diskussion über Heiko Maas läuft, das empfinde ich als etwas: Wo kommt denn jetzt der konzeptionelle Vorschlag? Wo ist der Beitrag zur Außenpolitik? In Wirklichkeit ist das klein-klein und koalitionsinternes Hin und Hergewirre.
Müller: Aber ich gehe davon aus, Herr Voigt, weil Sie waren ja immer konzeptionell mit Außenpolitik beschäftigt, viele, viele Jahre im Bundestag - ich habe das auch erwähnt in der Moderation: als Koordinator der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Sie haben da immer auf Inhalte, auch auf Sachlichkeit, auf Kooperation, auf Zusammenarbeit gesetzt. Wenn Sie jetzt diese Frage stellen, wo ist die deutsche Außenpolitik, wo ist das deutsche außenpolitische Konzept, dann muss das doch auch zwangsläufig eine Frage genau an die Adresse sein, über die wir uns unterhalten: an Heiko Mas.
Voigt: Wissen Sie, dann ist das eine Debatte nicht nur über Heiko Maas; dann ist es eine Debatte vor allem über die Bundeskanzlerin. Es ist aber nicht nur eine Debatte, aber auch eine Debatte über die Verteidigungsministerin, und es ist eine Debatte an diejenigen, die jetzt sich kritisch äußern, aber selber in der Sache keinen Beitrag zu dieser Diskussion geleistet haben.
Müller: Ich verstehe das aber jetzt nicht, warum der Außenminister nicht an erster Stelle kommt in Ihrer Aufzählung.
Voigt: Ja. Wissen Sie, das liegt einfach daran, weil die Gesamtkompetenz, die Koordinierungskompetenz in dieser Frage erst mal bei der Bundeskanzlerin liegt. Und zweitens, weil ich die Art solcher Debatten ja kenne. Man konzentriert sich auf die Person und dann kommt darüber, der eine CDU-Mann kritisiert den SPD-Mann, der SPD-Mann kritisiert den CDU-Mann, die FDP kritisiert als Opposition alle. Aber das Ausland wartet weiter auf deutsche konzeptionelle Initiativen in der Europapolitik, in der Sicherheitspolitik, in der Ostpolitik.
Müller: Reden wir noch mal über Heiko Maas, den Namensartikel, der erwähnt worden ist von unserem Korrespondenten Frank Capellan: Danke an viele internationale Akteure mit Blick auf den Mauerfall. Vergessen hat er die Amerikaner. Kennt er die Geschichte nicht?
Voigt: Ich nehme an, dass er sie kennt, und ich bin mir sicher, dass er sie kennt.
Müller: Muss Sie doch getroffen haben, so ein bisschen im Magen, wo Sie gedacht haben, wie kann er das machen.
Voigt: Ich war ja deutsch-amerikanischer Koordinator und ich bin der Meinung, dass die Amerikaner in der Phase der deutschen Vereinigung eine entscheidende Rolle, wahrscheinlich sogar die entscheidende Rolle geleistet haben, neben Russland oder der Sowjetunion und Gorbatschow. Aber ich glaube nicht, dass er deshalb die Amerikaner geringachtet. Ich glaube auch nicht, dass er die Amerikaner vergessen hat. Er hat sie nicht erwähnt, okay. Fehler, aber kein dramatischer Fehler.
Müller: Den Unterschied verstehe ich nicht. Nicht vergessen und nicht erwähnt? Dann hat er sie vergessen.
Voigt: Ja, das passiert! Das passiert! Ich bedauere das, dass es passiert ist, aber das bedeutet doch nicht, dass er die Rolle der Amerikaner geringschätzt.
"Sinnloser Quatsch"
Müller: Ist er zu ideologisch?
Voigt: Wenn er jetzt in einem Beitrag sagen würde, ich habe das gemacht, nicht aus Zufall, sondern weil ich es vergessen habe, sondern ich habe es gemacht, weil ich die Rolle der Amerikaner geringschätze, dann würde ich mich aufregen. Aber so ist das für mich wie ein Sturm im Wasserglas, denn es geht ja gar nicht darum, dass irgendeiner in der SPD und erst recht nicht der Bundesaußenminister die Rolle der Amerikaner geringschätzt. Er hat sie nicht erwähnt. Fehler, gut! Das war’s!
Müller: Aber vielleicht meint er das auch so. Vielleicht denkt er gar nicht an die Amerikaner.
Voigt: Das unterstelle ich ihm nicht und aus dem, so wie ich ihn kenne, ist das auf keinen Fall der Fall. Ich glaube übrigens, dass gerade die Leute in der SPD, die Trump heute sehr kritisieren, mit großer Sehnsucht an Bush Senior denken und mit großer Sehnsucht an Obama denken, aber auch an den Republikaner Bush Senior.
Müller: Sogar teilweise ja an Ronald Reagan, der damals zumindest gesagt hat, dass die Mauer …
Voigt: Da denke ich allerdings weniger dran.
Müller: Aber zumindest wir beide reden jetzt wieder darüber. Aber dennoch ist es ja doch für viele jetzt fraglich und fragwürdig, wie Heiko Maas das vergessen konnte. Sie sagen, das war ein Fehler. Gut, haben wir jetzt auch akzeptiert. Kann es sein - und das sind ja Unterstellungen beziehungsweise Spekulationen, Interpretationen, die jetzt auch schon zu lesen sind, die zu hören sind -, dass Heiko Maas in seiner Anti-Trump-Attitüde und Haltung so befangen ist, dass er von den Amerikanern nichts mehr wissen will?
Voigt: Dies ist sinnloser Quatsch und das ist nur ein Beitrag zu der innerdeutschen Debatte über Klein-Klein. Ich sage noch mal: Man wird im Ausland nicht auf diese Dinge gucken, sondern man guckt darauf, was kommt aus Berlin Konstruktives. Und es kommt zu wenig Konstruktives in der Außen- und Sicherheitspolitik und in der Europapolitik. Das bedauere ich und da gibt es die Verantwortung nicht nur von einer Person, sondern von mehreren Personen, aufgrund ihrer herausragenden Rolle vor allen Dingen der Bundeskanzlerin.
Müller: Sie sagen immer, die Bundeskanzlerin. Haben Sie denn eine Idee beziehungsweise eine Vorstellung davon, was der Außenminister will? Hat er schon Ideen ventiliert, die Sie überzeugt haben?
Voigt: Ich gehöre nicht zum engsten Beraterkreis um den Bundesaußenminister. Aber ich habe den Eindruck, wenn ich mit Leuten spreche, die ich im Auswärtigen Amt kenne und die ich auch schätze, dass im Auswärtigen Amt über diese Fragen durchaus diskutiert wird.
Müller: Dass er endlich liefern soll, oder dass er geliefert hat?
Voigt: Ich glaube, dass über ihn, mit ihm Ideen diskutiert werden über Europapolitik, über Sicherheitspolitik, über Amerikapolitik und über Ostpolitik.
Müller: Warum kennen Sie die nicht und wir kennen das nicht? Warum werden die nicht artikuliert? Wieso kennen wir das denn nicht?
Voigt: Es ist ein Fehler - ich sage das nochmals -, ein Fehler. Sie konzentrieren das wieder auf Heiko Maas und wollen damit die Debatte heute begleiten. Ich sage, die Debatte heute ist Klein-Klein über Heiko Maas. Der Sache nach aber geht es wirklich darum, dass die deutsche Politik - und da sind mehrere Verantwortliche in den Ministerien, nämlich Verteidigung, Außen und Kanzleramt und Kanzleramt vor allen Dingen -, dass die in dieser Frage sich so verhalten, dass sie sich nicht im wechselseitigen Gehechele dieser Koalition verbeißen, sondern dass sie selber was zu einer Diskussion in der Europäischen Union, in der NATO, in der Nahostpolitik beitragen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.