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Debatte um Milliardenüberschüsse
Steuersenkung versus Investition in Bildung und Ökologie

Die öffentlichen Kassen verzeichnen Milliardenüberschüsse - und die Politik diskutiert darüber, was mit dem Geld geschehen soll. Teile der Union machen sich für Steuersenkungen stark, stoßen aber auf Widerstand beim Koalitionspartner SPD und bei der Opposition, die lieber investieren wollen. Alte Fronten tun sich auf - auch in der Sendung "Kontrovers" im DLF.

29.08.2016
    Zahlreiche verschiedene Geldscheine.
    Das Statistische Bundesamt hat erneut bekannt gegeben, dass Bund, Länder, Gemeinden und Sozialkassen mehr Geld eingenommen als ausgegeben haben: ein Überschuss von 18,5 Milliarden Euro - alleine im ersten Halbjahr 2016. (dpa/picture-alliance/Daniel Reinhardt)
    Bei aller Kritik, die er sich in der Sendung "Kontrovers" im Deutschlandfunk anhören muss, freut CDU-Politiker Mathias Middelberg doch eines: "Dass wir in eine Diskussion kommen, wo wir darüber nachdenken, den Bürger zu entlasten." Tatsächlich hat die Debatte über Steuererleichterungen gerade erst wieder Fahrt aufgenommen. Denn das Statistische Bundesamt hat erneut bekannt gegeben, dass Bund, Länder, Gemeinden und Sozialkassen mehr Geld eingenommen als ausgegeben haben: ein Überschuss von 18,5 Milliarden Euro - alleine im ersten Halbjahr 2016. Die Mittelstandsvereinigung (MIT) der Union, deren stellvertretender Vorsitzender Middelberg ist, nahm bereits Mitte des Jahres ähnliche Zahlen zum Anlass, Steuererleichterungen zu fordern. Damals bremste die CDU-Spitze die MIT noch aus, es sei noch "viel zu früh für Festlegungen", hieß es.
    Ist jetzt, gut drei Monate später und ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl, der richtige Zeitpunkt gekommen? Führende CDU-Politiker machen sich für Steuerentlastungen stark, Unionsfraktionschef Volker Kauder hält sogar 15 Milliarden Euro jährlich für möglich.
    Die Gering- und Normalverdiener mit Familie seien in den letzten Jahren stärker belastet worden, erinnert MIT-Vize Middelberg im Deutschlandfunk."Den Leuten geht schleichend Geld verloren." Deshalb sei es eine Frage der Gerechtigkeit, "den Bürgern etwas zurückzugeben" - in Form von Steuererleichterungen.
    SPD: Neuer Spitzensteuersatz
    Auch Regierungspartner SPD will etwas tun. Es gebe eine "Unwucht in Deutschland", stellte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Carsten Schneider fest. Deshalb werde seine Partei "im nächsten halben Jahr" entscheiden, ob sie für eine Entlastung bei Steuern oder Sozialabgaben ist. Aber schon jetzt ist für ihn klar: Bei sozial Schwächeren kommen Steuererleichterungen nicht an, deshalb seien Entlastungen bei den Sozialabgaben erforderlich.
    SPD-Bundestags-Mitglied Carsten Schneider diskutiert während eines Streitgesprächs.
    SPD-Vizefraktionschef Carsten Schneider (imago/Christian Schroth)
    Schulden zu tilgen, wie es Hörer während der Sendung fordern, mache "ökonomisch keinen Sinn" - eine "Stärkung der Binnenkaufkraft dagegen schon". Schneider will Investitionen gestärkt sehen, "vor allem auf Straßen, Schienen und in der Bildung". Die private Wirtschaft, die Middelberg von der CDU gerne stärken würde, mag Schneider dagegen nicht subventionieren. Die Unternehmen müssten ihren Erfolg schon "selbst wuppen".
    Und der Spitzensteuersatz? Hier sieht Schneider den "wirklichen Unterschied zwischen Union und SPD". Seine Partei fordere "Entlastung im unteren Bereich, aber auch Gegenfinanzierung im höheren" - also beim Spitzensteuersatz, betont der Fraktionsvize.
    Grüne: Mehr Investitionen
    Kerstin Andreae, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, macht - anders als ihre politischen Gegenüber in der Debatte - einen hohen Investitionsbedarf in Deutschland aus. Neue Infrastruktur müsse geschaffen, bei alter "dringend Geld in die Hand genommen werden". So müsste vor allem in die Bereiche Bildung, Digitalisierung und Ökologie mehr Geld fließen. Wie Carsten Schneider plädiert auch die Grünen-Finanzexpertin dafür, "im Bereich der Sozialabgaben in den unteren Einkommen nachzujustieren".
    Die Grünen-Politikerin Kerstin Andreae.
    Kerstin Andreae: "Dringend Geld in die Hand nehmen" (imago stock&people)
    Für Steuerentlastungen sehe sie noch keinen Spielraum. "Was machen sie, wenn die Konjunktur eintrübt? Erhöhen Sie dann wieder die Steuern?" In der Diskussionssendung sehen das viele Anrufer ähnlich. Für Steuersenkungen sprechen sich dort die wenigsten aus.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte am Wochenende in der ARD zur Steuersenkungs-Debatte erklärt: Zunächst stünden schwierige Haushaltsberatungen im Bundestag bevor - "mit einer Menge von Erwartungen noch, was alles gemacht werden könnte. Und wenn wir dann nächstes Jahr im Frühjahr ein sattes Polster haben, soll mich das sehr ermutigen."
    (bor/nin)