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Debatte um The Buzzard
Rechtsradikale Propaganda ist keine Meinung

Das journalistische Start-up The Buzzard will mit einer Art Presseschau "Menschen aus Filterblasen holen". Eine gute Absicht, findet unsere Kolumnistin Marina Weisband. Dennoch müsse die Plattform gut überlegen, welche Inhalte verbreitet werden sollen und dürfen.

Von Marina Weisband | 18.12.2019
Ein Galapagosbussard sitzt auf einem Grenzstein, Bussard
"Buzz" heißt so viel wie Gerede oder Gemurmel - "Buzzard" ganz eindeutig: Bussard, dieser hier, ein Galapagosbussard, sitzt auf einem Grenzstein in Ecuador (imago images / blickwinkel)
Anfang November kontaktierte mich das Startup Buzzard mit der Bitte um Unterstützung ihrer Crowdfunding-Kampagne. Seine Idee: durch ein neuartiges Online-Medium den vergifteten Diskurs in Deutschland reparieren. Damit die Leute miteinander, statt übereinander sprechen. Zu jeder Frage sollen Pro- und Kontra-Artikel dargestellt werden, um die eigene Perspektive erweitern zu können. So weit, so interessant.
Ich sehe, dass Journalismus neue Wege gehen muss und bin gern bereit, jedes Ausprobieren zu unterstützen. Allerdings war ich im November so überarbeitet, dass ich es gerade mal geschafft habe, den Hinweis auf die Kampagne zu retweeten. Ich hatte nicht genug Zeit, mich so weit einzuarbeiten, dass ich das gewünschte Testimonial-Statement hätte abgeben können. Im Nachhinein – zum Glück.
Erstmals misstrauisch wurde ich, als ich in einem völlig anderen Kontext auf Twitter von einem Nazi angepöbelt wurde. Um zu sehen, ob ich ihn direkt blocken kann, schaute ich kurz in sein Profil. Sein oben angehefteter Tweet: ein Aufruf für das Buzzard-Crowdfunding. Hm. Es ist nie ein gutes Zeichen, wenn Nazis Werbung für deine Sache machen. Also doch ein genauerer Blick auf den Prototyp der Plattform.
Was ist das für ein Diskurs?
Zu jeder Frage gibt es Pro-Positionen – umrahmt in Grün – und Kontra-Positionen – umrahmt in Rot. Wenn eine Frage so gestellt ist wie: "Ist Marie Le Pen eine gute französische Präsidentin?", dann taucht der positiv-grün markierte Artikel des rechtsradikalen Blogs PI-News auf. Andere Artikel, die ebefalls mit dem positiv konnotierten Grün unterlegt sind, stammen beispielsweise von RIA.ru, also den russischen Propagandamedien.
Und selbst wenn später in der fertigen Buzzard-App diese Farben weggelassen werden, stellt sich die grundsätzliche Frage: Was ist das für ein Diskurs, in dem rechtsradikale Blogs gleichgewichtet werden mit kuratierten und faktengecheckten Artikeln großer Medienhäuser? Und damit geht Buzzard sogar zwecks Medienpädagogik an Schulen. Sind die Macher von Buzzard also eine Nazi-Truppe, die einfach nur Propaganda streuen will?
Marina Weisband wurde 1987 in der Ukraine geboren und kam 1994 als Kontingentflüchtling nach Deutschland. Von 2011 bis 2012 war sie politische Geschäftsführerin der Piratenpartei. Die Schwerpunkte der Autorin und Diplompsychologin sind Partizipation und Bildung. In ihrem Buch "Wir nennen es Politik" schildert sie Möglichkeiten neuer politischer Partizipation durch das Internet. Seit 2014 leitet sie bei politik-digital.de das aula-Projekt zur Demokratisierung von Schulen.
Aus Talkshows bekannter Trugschluss
Ich glaube nicht. Ich glaube, Buzzard hat gute Absichten, ist ehrlich interessiert daran, sich zu verbessern und Menschen zusammenzubringen. Allerdings sind das nicht einfach kosmetische Fehler. Dem Konzept von Buzzard liegt ein etwas naiver Trugschluss zugrunde. Den kennen wir auch aus Talkshows. Nämlich, dass eine ausgewogene Debatte die Darstellung der möglichst gegensätzlichsten Positionen beinhaltet.
Zwei möglichst weit voneinander entfernte Meinungen balancieren einen Diskurs nicht aus. Ihre Wertigkeit ergibt sich aus dem Kontext, aus dem zugrundeliegenden Menschenbild, aus Interessen und Hintergründen der Quellen.
Kuratierung: journalistisch anspruchsvolle Aufgabe
Deshalb ist die Kuratierung einer solchen Plattform eine journalistisch höchst anspruchsvolle Aufgabe. Buzzard muss jetzt nicht nur seine Farbgebung überdenken und scharf überlegen, welche Medien verbreitet werden sollen und dürfen – sondern sich generell grundlegend Gedanken darüber machen, auf welche Weise man die Spannweite einer Debatte darstellen kann, ohne aus dem Auge zu verlieren, dass nicht alles nur Meinung ist.
Positionen müssen nicht nur gegenübergestellt, sondern auch gewichtet werden. Also eigentlich das, was gute Journalisten optimalerweise schon innerhalb ihrer Artikel tun sollten. Das Wiedergeben von rechtsradikaler Propaganda wird die Debattenkultur in Deutschland jedenfalls nicht heilen.