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Debütalbum von Sophia Kennedy
Popmusik als Psychotherapie

Von "The Velvet Underground & Nico" über Judy Garland bis hin zu Frank Sinatra: Die musikalischen Reverenzen von Sophia Kennedy sind breit gestreut. Mit ihren erst 27 Jahren gelingt der Wahl-Hamburgerin ein reifes Songwriter-Debüt - dafür hatte sie prominente Unterstützer.

Von Andi Hörmann | 13.05.2017
    Sophia Kennedy und Mense Reents vor dem Studio der goldenen Zitronen.
    Sophia Kennedy und Mense Reents vor dem Studio der goldenen Zitronen. (Deutschlandradio / Andi Hörmann)
    "Ich bin kein Pessimist oder ein hoffnungsloser Mensch, der an nichts mehr glaubt."
    Zitter, Zauder, Zorn im heftigen Staccato des Cello-Samples. Ein Schauer läuft einem dabei über den Rücken. Doch in der Stimme steckt Offenherzigkeit: "Ich bin Sophia Ken... Soll ich einfach so?"
    Staccato also auch im Lachen. Wie charmant. Es verwischt den Zweifel in der eigenen Vorstellung. Und dann diese Inbrunst im Gesang.
    Kaum zu glauben: So reif, so ausgewachsen, so smart. Sophia Kennedy, 27 Jahre jung, legt ein selbstbetiteltes Album-Debüt vor, das nur so strotzt vor Souveränität und Selbstbewusstsein - so sehr, dass es fast schon verdächtig ist. "Wenn irgendwas mit einem nicht stimmt, heißt das ja nicht, dass das wahr ist. Es kann ja auch sein, dass mit dir dann was nicht stimmt - vielleicht siehst du das ja auch falsch."
    Immer alles eine Frage der Perspektive - und der Interpretation. Befindlichkeit als Pop-Chamäleon, das die Farbe je nach Umgebung ändert. Das Bewusstsein wird zum Spiegelbild der Realität. In den Songs von Sophia Kennedy herrscht schillernde Ratlosigkeit.
    Ein ungleiches Paar
    Hamburg, Nähe Fischmarkt. Backsteinbau, Hinterhof. Eine vergitterte Tür zum düster staubigen Kellerstudio der "Goldenen Zitronen": Hier hat Sophia Kennedy fast ein Jahr an ihrem Album gebastelt - nicht alleine:
    "Ich bin Mense Reents und ich habe mit Sophia das Album zusammen aufgenommen. Und ansonsten spiele ich auch noch bei anderen Bands, zum Beispiel bei den 'Goldenen Zitronen' und bei den 'Vögeln'."
    Und da sitzen sie nun vor dem Mischpult, die Songwriterin und der Produzent. Das Album ist fertig und auf dem Label "Pampa Records" von DJ Koze veröffentlicht: Zeit für Interviews. Mense im schluffigen Leinenhemd, Sophia in knittrigen Trenchcoat. Er nippt am Wasser, sie dreht sich eine Kippe. Ein ungleiches Paar, das sich blind versteht und gerne über seine Musik spricht:
    Sophia Kennedy: "Ich habe musikalisch eine Idee und der Text wächst dann so parallel mit. Und wenn der sich dann beißt, wenn es musikalisch vielleicht harmonischer ist und der Text vielleicht. Das muss man alles rausschneiden, das muss man alles rausschneiden? Jetzt fummle da nicht so rum!"
    Mense Reents: "Ja, ich höre ja schon auf." Sophia Kennedy: "Dann ist das weniger beabsichtig, oder eher unterbewusst."
    Und so steckt auch ganz viel Unterbewusstsein im Debüt-Album von Sophia Kennedy. Unbewusstes wird laut, wenn sie etwa von einem Ungeziefer singt und wir sofort Kafkas "Verwandlung" vor Augen haben - musikalisch unterlegt mit fiebriger Elektronik.
    Und in "William by the windowsill" verabreicht uns Sophia Kennedy dann die Medizin in Form einer blauen Tablette.
    Spielen mit der Stimme
    Dieser verspielte Kitsch, dieser bröckelnde Pathos im aufrichtigen, aber schattigen Gesang - das macht Sophia Kennedy zu einer großartigen Performerin. Mit ihren erst 27 Jahren mimt sie dabei den ganz großen Crooner.
    "Frank Sinatra hat für mich auch was Abgründiges, weil er so eine zuckrige Welt darstellt, aber eigentlich ist das so eine totale Fassade. Und eigentlich nur..."
    Mense Reents: "Das ist natürlich manipulatives Spielen mit der Stimme und dem Mikrofon. Aber das ist natürlich wahnsinnig aufregend, was da passiert."
    Im kleinen Aufnahmeraum des Studios proben Sophia Kennedy und Mense Reents gerade für die Live-Umsetzung des Albums: Hüfthoher Tisch mit Laptop, Controller, Sequencer und ein altes Bar-Piano.
    Heilsame Kompositionen
    Hämmernde Piano-Akkorde treffen auf Metaphorik der Architektur. Das Haus als Sinnbild für die menschliche Psyche? Könnte sein: In den Texten von Sophia Kennedy ist alles möglich. Die Abgründe stecken zwischen den Tönen. Es ist die Komposition, die heilsam ist. Machen wir uns also mal keine Sorgen um die Künstlerin Sophia Kennedy: Popmusik ist auch Psychotherapie.
    Mense Reents: "Eine Offenbarung versuchst du aus Sophia rauszubekommen: Ja, ich war drei Jahre schizophren eingewiesen."
    Sophia Kennedy: "Wenn es denn so wäre. Ich habe ja tatsächlich schon Therapien gehabt. So ist es nicht. Aber ich habe gar nicht das Bedürfnis, das 1:1. Das hat ja jeder heute. Hallo, machst Du jetzt bitte nicht meine Besonderheit gerade kaputt. Halt dich mal da raus! Ja, ich würde jetzt nicht sagen, dass es so was Ungewöhnliches ist, sondern ich würde eher sagen, das man den Menschen auch sagen könnte: Es ist gar nicht so schlimm, wenn es einem nicht so gut geht."