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Deckarm, Valérien und Turnvater Jahn

Vor fünf Jahren gründete sich die Stiftung Deutsche Sporthilfe die virtuelle "Hall of Fame des deutschen Sports" im Internet. Seither hat sie, wenig verwunderlich angesichts der wechselvollen deutschen Sporthistorie, für geschichtspolitische Debatten gesorgt.

Von Erik Eggers | 11.05.2013
    Am 31. Mai wird nun in Berlin die Aufnahme des Handballers Joachim Deckarm, des Sportjournalisten Harry Valérien sowie des Turnvaters Friedrich Ludwig Jahn gefeiert. Zwei von ihnen sind aus sporthistorischer Sicht extrem diskussionswürdig.
    Allein Deckarm, der in der Kategorie "Besondere Kämpfer" ausgewählt wurde und nach Bernhard Kempa und Heiner Brand als dritter Handballer aufgenommen wird, ist nicht diskutabel. Die Art und Weise, wie sich der Rückraumstar des VfL Gummersbach nach seinem schweren Sturz 1979 in Tatabanya und dem monatelangen Koma ins Leben zurückgekämpft hat, ist ohne Beispiel. Die Sporthilfe hatte Deckarm, der das westdeutsche Team 1978 zur Weltmeisterschaft geführt hatte, bereits durch ein Buch unterstützt.
    Bei Valérien verhält sich der Fall schon anders. Gewählt für die Kategorie "Werte des Sports", argumentiert die Sporthilfe hier, der 2012 verstorbene Sportjournalist habe sich "in seinen TV-Sendungen früh als Doping-Gegner positioniert". Berühmt ist in der Tat eine von Valérien moderierte Diskussion im ZDF-Sportstudio 1977, als die Dopinggegnerin Brigitte Berendonk dem Freiburger Sportmediziner Joseph Keul das Geständnis abrang, gesunden Athleten Anabolika verabreicht zu haben:
    "Berendonk: "Eine Frage haben Sie mir noch nicht beantwortet, Herr Dr. Keul: Haben sie Sportlern, die gesund waren, Anabolika verschrieben? Oder nicht?""

    "Keul: "Das ist eine Frage, die man nicht mit ja und mit nein beantworten kann.""

    "Berendonk: "Doch, ja oder nein.""

    "Valérien: "Können Sie die nennen?""

    "Keul: "Deca-Durabolin mit Handelsname: Nandrolondecanoat.""

    "Valérien: "Ist das kein Anabolika?""

    "Keul: "Das ist ein anaboles Hormon, das im Stoffwechsel in der Leber ganz anders abgebaut wird.""

    "Berendonk: "Das genügt mir schon.""
    Aber das geschah eben erst 1977, als bereits eine große Dopingdebatte in der Bundesrepublik tobte. Pioniere in der Dopingberichterstattung waren andere. Der freie Journalist Robert Hartmann etwa, der 1971 in der FAZ die ersten kritischen Texte zum Anabolika-Missbrauch im Sport verfasste. Oder Manfred Steffny, der 1975 auf die Dopingpraktiken einer deutschen Kugelstoßerin und deren Trainer hinwies. Eben jener Redakteur des Sportinformationsdienstes wurde übrigens damals öffentlich als "ausgeflippter und pubertärer Besserwisser" verunglimpft – und zwar von einem Hall-of-Fame-Mitglied: Dem damaligen Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees Willi Daume.
    Die Aufnahme Turnvater Jahns erfolgte in der Kategorie "Ideengeber des Sports". Die Ideen, die Jahn hatte, sind indes aus geschichtspolitischer Sicht keineswegs vorbildlich. Schließlich entwickelte Jahn 1811 das Deutsche Turnen vor allem aus paramilitärischen Motiven: Es galt, die Franzosen aus dem deutschen Feld zu schlagen. Und das antisemitische Gedankengut Jahns haben Sporthistoriker schon vor Jahrzehnten herausgearbeitet. Kurzum: Der Geist Jahns hat mit edlen Werten des Sports rein gar nichts zu tun.
    Wenn es um Impulse in der frühen deutschen Sportgeschichte geht, taugen andere Pioniere viel besser als Vorbild. Etwa der Leichtathlet und Sportpublizist Kurt Doerry (1874-1947). Oder auch Walther Bensemann (1873-1934): "Der Mann, der den Fußball nach Deutschland brachte", um den Titel der famosen Biographie zu zitieren, die Bernd Beyer vor Jahren über den Gründer des Kicker publizierte.