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Deepwater Horizon
"Das Öl war überall"

Am 20. April 2010 nahm die Katastrophe ihren Anfang: Die Bohrplattform Deepwater Horizon explodierte. In den folgenden drei Monaten strömten fast 800 Millionen Liter Öl und 500.000 Tonnen Gas in den Golf von Mexiko. Fünf Jahre sind seitdem vergangen. Doch was ist geblieben vom größten Ölunfall der Geschichte?

Von Monika Seynsche | 20.04.2015
    Ein ölverschmierter toter Vogel liegt am Strand.
    Auch viele Seevögel fielen der Ölpest zum Opfer. (imago/UPI Photo)
    John Marquez steht am Strand von Pascagoula und blickt hinaus auf den Golf von Mexiko, der hier in sanften Wellen an die Küste schwappt. Der hochgewachsene Mann im weißen Hemd ist Vorsitzender der Coastal Conservation Association in Mississippi, einer Vereinigung von Sportfischern.
    "Ich war zu Hause und sah die Nachrichten über das Feuer. Anfangs war ich einfach interessiert und dachte nicht, dass das außer Kontrolle geraten könnte, dass wir diese katastrophale Ölpest bekommen würden. Wir schauten immer weiter fern in den nächsten Tagen und langsam stieg der Horror in uns auf, als wir merkten, was dort in der Tiefsee vor sich ging, und dass sie es vielleicht nicht in den Griff bekommen würden."
    87 Tage lang lief Öl aus dem Bohrloch am Meeresboden. Neun Millionen Liter pro Tag, erinnert sich der Ölpestforscher Ed Overton von der Louisiana State University in Baton Rouge.
    "Das Öl war überall. Die Vögel waren ölverschmiert. Man konnte ganz leicht erkennen, wo es überall Schaden anrichtete."
    Und dann war der Spuk plötzlich vorbei
    Das Öl verseuchte fast 2.000 Kilometer Küstenlinie. Auf dem Ozean trieb monatelang ein Ölteppich von der anderthalbfachen Größe des Saarlands. Hunderttausende von Vögeln und Fischen starben, Hunderte von Meeressäugern, unzählige Krabben, Garnelen, Insekten und Kleinstlebewesen. Und dann war der Spuk plötzlich vorbei, sagt der Fischer John Marquez. Innerhalb kürzester Zeit verschwand das Öl fast komplett von der Bildfläche.
    "Direkt nach dem Ölunfall hatten wir einige sehr gute Fangjahre. Es ist schwer zu sagen, wie das kam. Die Fischerei war 2010 ja komplett eingestellt worden. Es gab also keinen Jagddruck auf die Tiere. Wir dachten, vielleicht gab es deshalb in den folgenden Jahren mehr Fische. Aber dann kam das Jahr 2014 und das war eines der schlechtesten Fangjahre für gefleckte Meerforellen und das schlechteste Krabbenjahr seit fast 50 Jahren. Nun sind wir sehr beunruhigt. Sind das Folgen des Ölunfalls, die jetzt erst auftreten? Wir beobachten die Umwelt sehr genau und hoffen, dass es einfach nur Zufall ist, oder eine saisonale Erscheinung und nicht etwas viel Katastrophaleres, das vom Ölunfall kommt."
    Ölunfälle können Langzeitfolgen haben. Das weiß man, seit in Alaska einige Jahre nach dem Ölunfall der Exxon Valdez im Jahr 1989 die Heringsschwärme wie aus heiterem Himmel zusammen brachen. Bis heute haben sie sich nicht erholt. Ähnliches befürchten viele Menschen im Golf von Mexiko.
    Große Sorge um Delfine
    Etwa 70 Kilometer östlich von Pascagoula läuft Ruth Carmichael über einen hölzernen Steg vor dem Meeresforschungslabor von Dauphin Island, an der Küste Alabamas. Die Meeresbiologin schaut auf das kristallklare Wasser, das hier in der Mobile Bay ans Ufer plätschert. In der Ferne wiegt sich grünes Seegras, Krabben buddeln im Sand und Vögel tauchen ins Wasser, auf der Suche nach Fischen.
    "Einer der wichtigsten Teile unseres Monitorings während des Ölunfalls und bis heute ist es, etwa alle zwei Wochen an verschiedene Stellen in der Mobile Bay und entlang der Küste Alabamas Wasserproben zu nehmen. So bekommen wir ein Verständnis der physikalischen und chemischen Bedingungen in diesem Lebensraum."
    Es ist der Lebensraum der Rundschwanzseekühe und der Großen Tümmler, einer Gattung von Delfinen. Um sie macht sich Ruth Carmichael große Sorgen.
    "Wir wissen, dass während der Ölkatastrophe mehr Große Tümmler gestrandet sind als in den Jahren zuvor. Und einige aktuelle Studien von uns und anderen Arbeitsgruppen konnten zeigen, dass diese Zunahme an Strandungen sowohl zeitlich als auch räumlich mit dem Ölunfall überlappt."
    Seit 2010 sind an der Nordküste des Golfs von Mexiko etwa 1.000 tote Große Tümmler gestrandet – doppelt so viele wie in den Jahren zuvor. In den vom Ölunfall besonders betroffenen Regionen sind es sogar viermal so viele Tiere. Und dieser Trend hält bis heute an. Im Jahr 2013 untersuchten Wissenschaftler der Nationalen Ozean- und Atmosphärenforschungsbehörde der USA den Gesundheitszustand Großer Tümmler in der Barataria Bay in Louisiana. In diese Bucht sei besonders viel Öl gelangt, erzählt Ryan Fikes von der Umweltorganisation National Wildlife Federation.
    "Sie schauten sich die Delfinpopulationen in dieser Bucht an und entdeckten zahlreiche Symptome, die auf eine Ölvergiftung schließen lassen. Darunter waren krankhafte Veränderungen der Lunge, Probleme der Nebenniere und Zahnverlust. Fast die Hälfte der untersuchten Tiere litt an einem oder mehreren dieser Symptome. Die Forscher gingen davon aus, dass 17 Prozent der Tiere dieser Population nicht überleben würden."
    Und auch an den Menschen ist der Ölunfall nicht spurlos vorübergegangen. Die Medizinerin Dale Sandler vom Nationalen Instituts für Umweltmedizin der USA untersucht zurzeit in einer groß angelegten Studie, welche Folgen der Ölunfall für die Gesundheit der Menschen an der Küste hatte.
    "Unsere Daten deuten darauf hin, dass diejenigen, die an den Aufräumarbeiten beteiligt waren und auch jene, die an den betroffenen Küsten wohnten, öfter über eine ganze Reihe von Symptomen klagten, etwa über Husten, pfeifende Atemgeräusche, Schwindel und Übelkeit. Und das über Jahre hinweg. Aber wir wissen noch nicht, ob diese Symptome durch das Öl selbst ausgelöst wurden, durch die Lebensbedingungen in den Gemeinden oder durch die traumatische Erfahrung des Ölunfalls."
    Fünf Jahre sind seit dem Ölunfall der Deepwater Horizon vergangen. Aber es wird noch viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, bis alle Fragen beantwortet und alle Folgen offensichtlich sind.