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Dem öffentlichen Raum ein neues Gesicht geben

Die arabische Revolution begann mit Graffiti. Noch bevor die Menschen in Tunesien und Ägypten auf die Straße gingen, tauchten Slogans an den Hauswänden auf. Im Rahmen der Tutanchamun-Ausstellung in Frankfurt sind jetzt ägyptische Street Art und arabische Graffiti zu sehen.

Von Kersten Knipp | 13.04.2012
    Sie sind müde. Ein Jahr lang sind sie auf den Tahrir-Platz marschiert, haben für ein neues System, eine neue Gesellschaft, die Achtung der Menschenrechte protestiert. Ein Jahr und ein paar Monate inzwischen – das macht müde, erklärt Mohamed "Ganzeer" Fahmy, einer der bekanntesten ägyptischen Graffiti-Künstler. Gerade darum ist es aber sinnvoll, auf Kunst zu setzen.

    "Die herkömmliche Protestform, wo man mit einem Schild auf einem Platz steht, ist an ihre Grenzen gekommen. Denn als dergleichen in Ägypten zum ersten Mal geschah, war es noch neu. Inzwischen ist es aber völlig normal. Darum muss man neue Protestformen finden. Darum sind die Graffitis so wichtig, denn sie haben genau jene Ausdruckskraft, nach der die Leute suchen."

    Das sieht auch Aya Tarek so, auch sie eine Graffiti-Künstlerin. Ihre Bilder haben einen cartoonhaften Strich und lassen sich nicht immer auf den ersten Blick entschlüsseln. Aber sie haben eine starke Ausstrahlung, setzen neue Akzente auf die langweiligen Mauern und Wände, auf denen sie prangen. Dem öffentlichen Raum ein neues Gesicht zu geben: Das, meint sie, reizt immer mehr junge Menschen.

    "Ich komme aus Alexandria und lebe auch dort. In Alexandria ist die Kunst des Mosaik seit Langem bekannt, und die Leute lieben sie. Jetzt aber hat diese Kunst durch Graffiti eine neue Rolle bekommen. Es handelt sich um "street art" mit politischer Bedeutung.
    Ich selbst arbeite seit dem Jahr 2008 mit Graffiti. Am Anfang war es unpolitische Kunst, aber nachher wurde sie immer politischer. So setze ich mich etwa mit Fragen zur Stellung der Frau auseinander. Während der Revolution interessierten sich immer mehr Leute für Graffiti und begannen sich über sie auszudrücken."

    Wer sich öffentlich artikuliert, nimmt Risiken auf sich. Mohamed "Ganzeer" Fahmy setzte sich für den Geschmack mancher Landsleute etwas zu kritisch mit der politischen Führung des Landes auseinander. Das hatte Folgen.

    "Es ging vor allem um ein kritisches Bild, in dem ich das Militär kritisierte. Das war im letzten Mai. Damals waren die Leute an eine solche starke Bildersprache noch nicht gewohnt. Damals glaubten die Leute noch, das Militär unterstütze die Revolution. So versammelten sich sehr viele Leute vor meinen Bildern, um gegen sie zu protestieren. Das führte dann dazu, dass das Militär mich verhaftete. Aber dann setzten sich viele Leute für meine Freilassung ein."

    Auch in Tunesien hat die Street Art durch die Revolution neuen Schwung gewonnen. Einen eigenen Stil hat "El Seed" entwickelt. Seine Arbeit basiert auf einer der ältesten arabischen Kunstformen überhaupt: der Kalligraphie.

    "Dem Lexikon nach bedeutet Kalligraphie die Schrift zu verschönern. Die arabische Kalligraphie hat eine großartige Tradition entwickelt. Zu der kann ich mich nicht rechnen, da ich ihre Regeln nicht respektiere. Eher handelt es sich um etwas, das man als Kalligraffiti bezeichnen könnte. Denn ich setze die Kalligraphie in Form eines 'wild style' um, die fast nicht mehr zu entziffern ist."

    Auch in Tunesien sind Graffiti Teil der öffentlichen Kommunikation geworden, eines Austauschs von Bildern und Ideen mit diskreten Spielregeln, die man kennen muss.

    "Ich arbeite sehr viel mit der Farbe Lila. Das hatte ich auch in Tunesien getan, in einem Graffiti zur Revolution. Da kamen dann Leute und sagten, ich sollte das lassen, denn Lila sei ein Symbol für Präsident Ali. Wie kann eine Person auf eine Farbe setzen und sie zu seinem Eigentum erklären?"