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Demenz
Wie die alternde Gesellschaft Kliniken herausfordert

Zehn Prozent aller Menschen im Krankenhaus leiden unter einer Demenz. Für sie ist der Klinikaufenthalt Gift, weil hier nichts vertraut ist. Das überlastete Personal behilft sich oft mit Psychopharmaka, was die Verwirrtheit erst recht befördert. Die demographische Entwicklung bringt Krankenhäuser an ihre Grenzen.

Von Katharina Nickoleit | 22.12.2019
Heike Jakobi vom ehrenamtlichen Kranken-Lotsendienst schiebt einen Patienten zur Therapie im Albertinen-Haus in Hamburg.
"Ich bin jetzt fertig hier, ich gehe nach Hause." Wenn demente Patienten die "Eigeninitiative" ergreifen, stehen Kliniken vor gravierenden Problemen. (dpa / Christian Charisius)
Im Februar verschwand die Mutter von Vera Hesse das erste Mal.
"Da sagte die Zimmernachbarin, nee, die wäre gegangen. Sie meinte, sie wäre fertig hier und müsste jetzt nach Hause."
Dass sie zur Beobachtung eine Nacht in der Klinik bleiben sollte, hatte die alte Dame einfach vergessen. Der Gerontologe Winfried Teschauer:
"Menschen mit Demenz können sich natürlich im Krankenhaus verirren. Wenn sie dann nicht sofort gefunden werden und wirklich komplett orientierungslos sind, dann begeben sie sich möglicherweise an Ort, wo man sie nicht vermutet und deswegen auch nicht findet. Mir ist mindestens ein Fall bekannt, wo das so passiert ist, dass tatsächlich ein Patient im Keller tot aufgefunden worden ist."
Wie kann es sein, dass Menschen im Krankenhaus verloren gehen? Zumal wenn bekannt ist, dass sie dement sind, wie es bei der alten Dame in Wuppertal der Fall war? Vera Hesse ist meine Nachbarin und Freundin. Mit enormem Aufwand hat sie ihre Mutter so lange es irgend ging zu Hause gepflegt und es geschafft, dass sie nicht einmal alleine durch die Gegend irrte. Ausgerechnet im Krankenhaus passierte es dann. Veras Mutter kann nicht entscheiden, ob sie ihren Namen im Radio hören will, nennen wir sie deshalb Helga. Beim ersten Mal ging die Sache für Helga gut aus. Sie fand vor dem Krankenhaus ein Taxi, der Fahrer schaute im Personalausweis nach der Adresse und brachte sie nach Hause.
Demenz-Problem betrifft Millionen von Klinikpatienten
"Es gibt eine Studie, die im Jahr 2016 veröffentlich wurde, die tatsächlich gezeigt hat, dass 40 Prozent der über 65jährigen im Krankenhaus eine kognitive Veränderung, also im Sinne von Verschlechterung, aufweisen. Und davon sind tatsächlich 20 Prozent an einer schweren Demenzerkrankung leidend."
Dr. Winfried Teschauer ist Gerontologe und Vorstandsmitglied der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. Demenz im Krankenhaus, so sagt er, sei ein Problem, das sowohl von den Kliniken als auch von der Gesellschaft dramatisch unterschätzt werde:
"Das ist eine gewaltige Zahl, bei etwa 17, 18 Millionen Behandlungsfällen im Jahr sprechen wir also über Millionen von Patienten und nicht über ein paar hundert oder ein paar tausend. Von daher gesehen ein wirklich großes Thema, was für die Krankenhäuser auch ein großes Thema sein sollte."
Krankenhaussituation ist Gift für Demente
Wer möchte, muss sich im Bekanntenkreis nur einmal umhören und wird von ähnlichen Fällen hören. Die verwirrte Mutter bekommt in der fremden Umgebung Angstzustände, der Onkel versucht, den Nachbarpatienten aus dem Bett zu vertreiben, das er für seines hält, und wird mit Psychopharmaka ruhiggestellt, die er nicht verträgt. Krankenhäuser sind für Demente Gift, für ihre Angehörigen Stress. Und das Personal arbeitet sowieso schon an der Belastungsgrenze.
Auch im St. Franziskus Krankenhaus in Münster erinnert sich Dr. Simone Gurlit noch gut an den Fall eines Patienten: Ein älterer Nichtsesshafter mit Alkoholvorgeschichte und großem Bewegungsdrang wurde mit einem gebrochenen Arm eingeliefert:
"Der hat in der Folge, weil er eben das Bett verlassen wollte, unruhig war, ihm Medikamente gegeben wurden in dieser Situation, hat er in der Folge diverse Komplikationen entwickelt, wo man zumindest von außen das Gefühl hatte: Vielleicht wäre zumindest ein Teil davon so nicht passiert, wenn wir jemanden gehabt hätten, der kommunikativ auf ihn hätte eingehen können, der verstanden hätte, was er möchte in dem Moment, und der einfach auch die Möglichkeit gehabt hätte, auch in unserem Krankenhaus diese Bewegung durchzuführen."
Patienten vergessen Anweisungen der Ärzte
Ganz gleich, ob sie an einer Alzheimererkrankung leiden oder durch Schmerzen vorübergehend verwirrt sind – Patienten mit kognitiven Einschränkungen stellen die Krankenhäuser vor Probleme. Sie vergessen, warum sie im Krankenhaus sind, wissen nicht mehr, warum sie eine Infusion bekommen und ziehen die Nadel heraus. Die vielen Untersuchungen und verschiedenen Gesichter verwirren sie, es entstehen Ängste und Stress, was die Heilung verzögert. Oft können sich Demenzpatienten auch Anweisungen der Ärzte nicht merken. Gurlit:
"Typisches Beispiel: Der Patient bricht sich den Knochen, es gibt eine Versorgung, die bedeutet aber vielleicht, dass er für vier Wochen nicht auftreten darf. Oder nur mit einem Teil seines Körpergewichts. Das versteht der Patient nicht, das kann der nicht umsetzen. Er belastet voll und der Knochen ist noch mal gebrochen und er geht wieder in den OP."
Spezialstationen reichen nur für Bruchteil der Patienten
All diese Komplikationen sind auch teuer. Für die Nebendiagnose "Demenz" kann das Krankenhaus in der Regel keinen Cent extra abrechnen. Und selbst dann, wenn ein Patient das Bett doppelt so lange belegt wie vorgesehen, gibt es keine zusätzliche Bezahlung.
Wie also sollen sich Krankenhäuser auf die stetig wachsende Zahl von dementen Patienten einstellen? Einige Kliniken haben eigene Stationen eingerichtet. Die Abteilungen sind geschlossen, ähnlich bunt gestaltet wie Kinderstationen und mit speziell geschultem Personal ausgestattet. Doch Wilfried Teschauer von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft ist skeptisch, ob das der richtige Weg ist: 40 Prozent aller über 65jährigen Patienten dement – das sind 10 Prozent aller Klinik-Patienten:
"Wenn sie das noch mal überdenken, was ich vorher gesagt hatte, diese zehn Prozent aller Patienten. Wenn Sie jetzt ein Krankenhaus mit 2000 Betten haben, dann müssen sie eine Spezialstation mit 200 Betten haben. Und das halte ich für vollkommen unrealistisch. Diese Spezialstationen haben eine Dimension zwischen acht und zwölf, vielleicht 14 Patienten. Das heißt, man kann immer nur einen Bruchteil der Patienten mit Demenz unterbringen, und das kann die Lösung ja nicht sein."
"Demenzsensibles Krankenhaus"
Stattdessen plädiert die Deutsche Alzheimer Gesellschaft dafür, dass sich das ganze Krankenhaus auf Menschen mit Demenz einrichtet. So, wie das im St. Franziskus-Krankenhaus in Münster inzwischen passiert. Für die Klinikleitung gab der Fall des Nichtsesshaften mit dem gebrochenen Arm den Ausschlag: 2001 gründete sie das "Kompetenzzentrum demenzsensibles Krankenhaus", das die Oberärztin Gurlitt heute leitet.
Neben der Geburtshilfe ist die Kinderstation die einzige, in der es keine Demenzpatienten gibt. Hier muss vorbei, wer das Dienstzimmer des Kompetenzzentrums sucht. Von hier schwärmen fünf Altenpflegerinnen aus. Sie kümmern sich um die im ganzen Haus verteilt liegenden Patienten mit kognitiven Einschränkungen. Vor allem um die, die operiert werden müssen. Eine von ihnen ist Renate Sasse:
"Der entscheidende Grund, warum hier Altenpflegerinnen und nicht Krankenschwestern eingestellt worden sind, ist die speziellere Schulung von Altenpflegern auf alte Patienten und vor allem eben auch auf Demenz."
Altenpflegerinnen statt Krankenschwestern
Was kann sie, was eine Krankenschwester nicht kann? Renate Sasse muss nicht lange überlegen:
"Wenn der Patient glaubt, dass er was sieht, dann kann ich ihm sagen ‚nein, das ist da nicht‘. Aber wenn der Patient es doch sieht, hilft es ja nicht, es zerstört lediglich die Kommunikation, die Vertrauensbasis zwischen uns."
Um gut auf den Patienten eingehen zu können, versuchen die Altenpflegerinnen von den Angehörigen so viel wie möglich über ihn zu erfahren.
"Frau Kamp, was für uns auch immer sehr interessant ist: welchen Beruf hatte denn Ihre Mutter?"
"Ja, sie war ganztägig zu Hause, sie hat vier Kinder zur Welt gebracht, alles Töchter …"
"Was ganz wichtig wäre, wenn sie mir die Namen von den Töchtern sagen könnten, denn es passiert wirklich ganz häufig, dass die Patienten rufen, und dann ist es für uns einfacher die Antwort zu geben, ach ja, das ist ihre Tochter, die kommt gleich wieder."
Übernachtungsmöglichkeit für Angehörige
Renate Sasse hat noch viele Fragen. Was die Mutter gerne isst. Ob sie Tiere mag. Wie der Kater heißt. Sie bittet darum, Bilder und ein Lieblingskissen mitzubringen. Alles, was eine vertraute Umgebung schafft, ist hilfreich. Am besten ist es natürlich, wenn ein Familienmitglied ins Krankenhaus mitkommt.
"Es gibt hier im Krankenhaus auch die Möglichkeit, gerade für Patienten mit einer dementiellen Erkrankung, dass Angehörige in dem Zimmer mit übernachten können." – " Ja, das müsste ich mal zu Hause absprechen …"
Die Tochter zögert. Was wäre denn ihre Aufgabe? Sasse:
"Da sein. Das ist die entscheidende Aufgabe. Und Antwort geben, wenn Mutter sagt, wo bin ich denn jetzt, was habt ihr mit mir gemacht. Gerade die Nächte sind immer das schwierige Thema, es ist dunkel, es ist keiner da … Manchmal reicht es wirklich, dass die ersten zwei Nächte jemand da ist. Bis der Patient sich eben auch in dieser neuen Situation zu Recht gefunden hat. In der neuen Situation Krankenhaus."
Intensivstation für Demente "denkbar ungünstig"
Um Demenzpatienten besser unter Beobachtung zu haben, quartieren viele Kliniken sie in der Intensivstation ein. Dort gibt es mehr Personal und Überwachungsmonitore. Doch das hält Oberärztin Simone Gurlit für keine gute Idee:
"Der Alltag auf der Intensivstation ist denkbar ungünstig für Menschen mit Demenz. Krankenhaus ist ohnehin schon schwierig. Wenn man jetzt noch auf die Intensivstation kommt, wo die Prozesses ganz anders sind als auf einer normalen Station, wo die Geräuschkulisse eine andere ist, wo das Licht ein anderes ist, da ist es total schwierig sich zurecht zu finden."
Bei 600 Betten liegen im St. Franziskus Krankenhaus immer rund 60 Patienten mit kognitiven Einschränkungen. Die Angehörigen können nicht immer da sein. Kaum vorstellbar, dass die fünf Altenpflegerinnen ausreichen, um alle dementen Patienten zu betreuen. Wie lässt sich das lösen?
"Meine Vorschläge gehen dahin, dass man sagt, die Normalstation, die muss gestärkt werden, damit der Überwachungsbedarf dort auch abgedeckt werden kann."
Demenz-Fortbildung für alle Krankenhaus-Mitarbeiter
Seit 2004 sorgt Simone Gurlit deshalb dafür, dass alle Mitarbeiter des Krankenhauses regelmäßig eine Fortbildung in Sachen Demenz erhalten:
"Über diese lange Zeit, in der wir das jetzt schon machen, und über viele Schulungsmaßnahmen, einfach auch, weil sich viel zum Wissenstand Demenzmanagement verändert hat - gerade auch in der Pflege gibt es da ganz, ganz viele Bemühungen, das im Alltag auch zu leben -, würde ich wirklich sagen, dass wir da in der Klinik inzwischen ein sehr hohes Maß an Aufmerksamkeit für dieses Thema haben, eine hohe Sensibilität für mögliche Probleme . Und das war zu unseren Anfängen eben nicht so."

Wenn es an dieser Sensibilität fehlt, gehen Demenzpatienten schnell unter – selbst dann, wenn alle Mitarbeiter auf der Station vorgewarnt sind. Vera Hesse:
"Ich habe in der Station mehrfach jedem einzelnen, also sowohl dem Arzt, als auch der Pflegerin, der Schwester, der Schwesternhelferin, also wirklich allen, die da rumhutzelten, denen habe ich gesagt, passt bitte auf, die ist nicht gerne im Krankenhaus, die sucht gerne auch das Weite."
In einem westlichen Vorort von Tokio, Japan, werden Senioren mit Demenz mit einem QR-Code markiert, damit sie nicht verloren gehen.
QR-Code auf dem Daumen statt Personalausweis - eine Idee, um "verloren gegangenen" Dementen schnell helfen zu können (AFP PHOTO / Toshifumi KITAMURA)
Patienten-"Ausflug" trotz Vorwarnung an das Personal
Um sie besser im Blick zu haben, wurde Helga, als sie zum zweiten Mal – diesmal zur Abklärung ihrer Demenz - stationär aufgenommen wurde, extra neben dem Dienstzimmer untergebracht. Doch als Vera Hesse feststellte, dass ihre Mutter aus ihrem Zimmer verschwunden war, war es bereits einige Stunden her, dass jemand nach ihr gesehen hatte:
"Wann war ich da – 14 Uhr? Dann habe ich gefragt, wann sie das letzte Mal gesehen worden wäre. Ja, so gegen 11. Das war dann schon mal drei Stunden her. Dann hab ich gefragt, hat sie denn wenigstens Mittagessen gehabt, um das mal so ein bisschen einzugrenzen. Das wusste keiner."
Diesmal ging es nicht so glimpflich aus.
"Meine Mutter war mindestens sechs, sieben Stunden verirrt in Wuppertal unterwegs, alleine. Allein die Entkräftung, durch dieses Herumirren. Ich weiß auch nicht, was sie erlebt hat. Sie erzählte dann nur, die Gruppe, mit der sie unterwegs war, die wäre wirklich nicht nett zu ihr gewesen. Ich weiß nicht, was da passiert ist, aber das tat ihr nicht gut."
"Ständige Überwachung aller Patienten unmöglich"
Das Bethesda-Krankenhaus in Wuppertal besteht darauf, bei der Betreuung der alten Dame alles richtig gemacht zu haben. In einem offenen Haus sei es einfach unmöglich, ständig alle Patienten zu überwachen. Man habe das Thema Demenz aber sehr wohl im Blick. Seit 2017 gibt es mit Clementine Sikora eine Beauftragte, die etwa Schulungen organisiert und spezielle Angebote für die Patienten auf den Weg bringt:
"Wir haben kontrastreiches Geschirr angeschafft. Es ist klar, dass ein dementiell erkrankter Patient nicht mehr so gut sehen kann und erkennt oft die Mahlzeiten auf dem Tablett nicht. Wir haben auch kleine Beschäftigungsangebote eingeführt, Malbücher für Erwachsene, entsprechend dicke Stifte für Patienten, wo die Motorik nicht mehr so gegeben ist …"
…zählt Clementine Sikora ein paar der Neuerungen auf. Doch für zusätzliches Personal, das darauf achtet, dass der Patient auch wirklich isst und ausreichend trinkt oder mit ihm gemeinsam die Malbücher ausmalt, ist im Krankenhausbudget bislang kein Etat vorgesehen.

"Wir setzen momentan auf Ehrenamtliche, auf Gewinnung vor allem von Ehrenamtlichen, wir sind gerade dabei, welche zu gewinnen, entwickeln Konzepte auch, diesbezüglich, das geschieht erst mal im Herbst, da sind wir gerade in Entwicklung eines Flyers."
Ein Buch für Demenzkranke vom SingLiesel-Verlag.
Wie einst als Kind: Demenzkranke brauchen spezielle Lese- oder Malbücher (dpa / picture alliance / Ronald Wittek)
Demenz-Betreuung durch Ehrenamtliche Helfer
Die Kreisklinik im bayrischen Roth ist da schon weiter.
"Grüß Gott Ihr Lieben! Jetzt ist die schon wieder da… Wir waren doch schon beinander heute"
Immer dienstags und donnerstags kommt Helga Schauster in die Klinik und besucht Patienten mit Demenz. Um den richtige Umgang mit ihnen zu lernen, hat sie eine dreitägige Schulung der Deutschen Alzheimer Gesellschaft besucht:
"Wenn manchmal ein Mensch was nicht mehr weiß, und ich sag, das war doch jetzt so, dann wird der Mensch immer schmäler und denkt sich, oh, der meint, ich bin a wenig blöd, dann sag ich nichts mehr. Dann werden die immer stiller. Das habe ich auch gelernt und das habe ich schon in der Erfahrung gehabt. Und wenn mancher Patient meint, ich bin die Tochter – dann bin ich es für 10 Minuten. Ich bin einfach die Tochter. Und dann wird’s mich drücken und sagen ‚mei Guate‘".
Helfer müssen auch Agressionen aushalten können
Helga Schauster geht mit den Patienten in die Krankenhauscafeteria, dreht eine Runde durch das Außengelände oder fährt mit ihnen in eine Kapelle. Sie liest Geschichten vor, sagt alte Gedichte auf oder hält einfach die Hand. Oft sind das auch für die 75jährige Ehrenamtliche schöne Stunden. Aber nicht immer:
"Du musst auch was einstecken. Ich bin schon angespuckt worden, bin schon gehauen worden. Aber der Mensch kann nichts dafür, dass er krank ist."
"Und Wasser hab ich auch gebracht. Da füllen wir gleich den Becher noch ein bisschen auf. Das ist frisch …"
Bei ihren Besuchen übernimmt Helga Schauster auch Aufgaben, die die Pflege entlasten:
"Und wenn ich geh, dann sag ich, ich hab um elf Uhr geschaut, dass der Patient das trinkt, das Becherle, das steht dort, ich hab aufgepasst, dass er es trinkt. Man hat ja auch schon gesehen, dass die Patienten die Tabletten unters Bett schmeißen."
Verfügbarkeiten der Ehrenamtlichen gut organisiert
Für Bettina Honeiser von der Pflegedienstleitung der Kreisklinik Roth, ist die Arbeit der Ehrenamtlichen unersetzlich:
"Wenn wir auf den Stationen Patienten haben, die herausforderndes Verhalten zeigen, ruft die Station bei mir oder den Betreuungskräften an, sagt, wir bräuchten jemanden, der den Herrn oder die Frau beschäftigt. In der Regel, innerhalb von einer halben Stunde, sind die Leute da."
Dieser Einsatz ist gut organisiert. Derzeit gibt es 14 Ehrenamtliche, die auf einer Liste vermerkt haben, wann sie kurzfristig zur Verfügung stehen. Ihre Einsatzzeiten sind so über die Woche verteilt, dass fast immer jemand ansprechbar ist – selbst nachts ist jemand in Bereitschaft. Vor allem nachmittags, wenn keine Untersuchungen stattfinden, wird bei der Betreuung der Demenzpatienten Hilfe gebraucht. Honeiser:
"Andere Patienten können sich sehr gut beschäftigen, die können in den Garten gehen, die können lesen, die können fernsehen, aber unsere dementiell Erkrankten können sich nicht mehr so selbst beschäftigen. Und wenn sie sich mit sich selbst beschäftigen, ist es häufig so, dass sie dann den Schrank ausräumen, sich in die Betten der Nachbarn legen …"
Psychopharmaka als Notlösung bei nächtlicher Unruhe
Noch schwieriger wird es, wenn die Patienten den Nachmittag über vor sich hin dösen und dann abends nicht schlafen können. Wenn sie nachts durch die Station geistern, für Unruhe sorgen und Zimmernachbarn wecken. Wilfried Teschauer von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft:
"Das ist die Fragestellung, wie viele Patienten betreut denn eine Nachtschwester? Das können auch mal 30 oder 40 sein. Der Standardmechanismus ist dann, den diensthabenden Arzt zu informieren, der sich das Ganze anguckt und meistens dann eben zu Neuroleptika greifen muss – es sind schon schwierige Strukturen."
Doch solche Psychopharmaka haben schwere Nebenwirkungen. Zum einen erhöhen sie die Sturzgefahr.
"Und sie führen natürlich auch dazu, dass die Patienten in so einen somnolenten Zustand, also einen schläfrigen Zustand kommen und ihre Umgebung gar nicht mehr wahrnehmen."
Das wiederum kann die Verwirrtheit noch weiter verstärken. Obwohl Experten davon abraten, Demenzpatienten mit Psychopharmaka ruhig zu stellen, ist das angesichts des Personalmangels gängige Praxis.
Beschäftigung am Nachmittag ist wichtig
Die Kreisklinik Roth geht neue Wege. Sie setzt alles daran, Demenzpatienten nachmittags so gut zu beschäftigen, dass sie abends einfach müde sind und schlafen. Dazu hat sie zwei ausgebildete Demenzbetreuerinnen fest angestellt. Die Mittel dafür kommen vom Förderverein. Sie betreuen nicht nur einzelne Kranke individuell, sondern laden jeden Nachmittag alle Patienten mit kognitiven Störungen in die Plauderstube ein. Es ist ein ehemaliges Raucherzimmer, das wie eine Wohnküche aus den 1960ern eingerichtet ist – mit gestreifter Tapete, Blümchengeschirr und einer alten, aber funktionierenden Uhr. Bettina Honeiser:
"Eine Uhr ist ganz, ganz wichtig, einfach zur zeitlichen Orientierung. Und schon kommen unsere zwei Betreuungskräfte zur Tür herein..."
Eine Pflegekraft reicht der dementen Eleonore Mayer einen Roboter in einem Robbenfell, der sich bewegt und Geräusche macht
Puppen oder Hilfsmittel wie der Robben-Roboter sollen die emotionale Ebene von Demenzkranken im Kleinkindstadium erreichen (picture alliance / dpa)
Therapiepuppe für Patienten im Kleinkindstadium
Langsam füllt sich die Stube. Tatjana Freudenreich hält ein Stofftier mit einer grünen Hose in der Hand, mit dem sie jedem Neuankömmling zunickt. Fritz führt durch die Plauderstunde.
"Das ist unser Fritz, das ist letztendlich eine Therapiepuppe, die setzen wir ein, wenn zum Beispiel Demenz schon sehr, sehr fortgeschritten ist, wenn ein Patient sozusagen im Kleinkindstadium schon wieder ist. Dann kommunizieren wir über den Fritz. Weil an mich können sie sich nicht erinnern, aber das ist etwas, was sie an die Kindheit erinnert, und da haben wir unseren Fritz dabei."
"Heute haben wir Singen. Volkslieder von A bis Z. Also ich hoffe natürlich auf Unterstützung von Ihnen. Am Brunnen vor dem Tore, wie sieht’s aus? Das kennt man, oder? Eins, zwei, drei…"
Augenmerk auf die Delirprävention
Wer Demente im Krankenhaus gut betreuen will, muss ein besonderes Augenmerk auf die Delirprävention legen. Mit "Delir" ist hier nicht der körperliche Zustand gemeint, der bei einem Alkohol- oder Medikamentenentzug auftritt. Simone Gurlit, Oberärztin in Münster:
"Von Delir sprechen wir, wenn neue Aufmerksamkeits- und Bewusstseinsstörungen bei einem Patienten auftreten, die vorher in dieser Form nicht vorgelegen haben. Das ist in der Abgrenzung zu einer Demenz etwas Akutes. Also wir sprechen von einem akuten Organversagen, die Hirnfunktion ändert sich in einem kurzen Zeitfenster, während bei einer Demenz ein chronischer Abbauprozess über einen längeren Zeitraum sich hinzieht."
Es gibt eine ganze Reihe Risikofaktoren für ein Delir. Gurlit:
"Im Wesentlichen ist das ein hohes Lebensalter, das gleichzeitige Vorliegen weiterer Erkrankungen, wir nennen das Multimorbidität, und entsprechend viele Medikamente, die genommen werden müssen, und eben kognitive Einschränkungen."
Operation kann akute Verschlechterung auslösen
Bei Patienten über 65 Jahren wird am St. Franziskus Krankenhaus deshalb immer ganz genau hingeschaut, ob es sich um einen Risikokandidaten handelt, denn auch wenn Patienten zu Hause, in ihrer vertrauten Umgebung, noch recht gut klar kommen, kann sich das in der Klinik plötzlich ändern. Schmerzen, ein Sturz oder ganz einfach die Umstellung, plötzlich im Krankenhaus zu sein, können ein Delir auslösen. Gurlit:
"Das Schlimmste, was man tun kann, das ist die Operation."
Das heißt nicht, dass gefährdete Patienten auf die Operation verzichten sollen. Nach einem Unfall ginge das gar nicht und auch geplante OPs, wie etwa eine neue Hüfte, sollen natürlich gemacht werden. Doch die Rahmenbedingungen für solche Eingriffe wurden im St. Franziskus Krankenhaus angepasst.
"Wir versuchen all die Eingriffe, die man auch mit einer Teilnarkose versorgen kann, auch so durchzuführen, unter der Idee, möglichst wenig in das Bewusstsein der Patienten einzugreifen. Das heißt aber auch, der Patient ist wach und ansprechbar, und dann muss man irgendwie eine Angstlösung bieten. Früher haben wir dafür Medikamente genutzt. Das ist sicher, dass die nicht hilfreich sind, insbesondere, was die Langzeitergebnisse für diese Patienten angeht. Sondern man muss eine andere Möglichkeit finden."
Intensive Betreuung vor, während und nach der OP
Diese andere Möglichkeit heißt in Münster Perioperative Altersmedizin. Das bedeutet, dass Altenpflegerinnen gefährdete Patienten von der Station über den Einleitungsraum, den OP-Saal, den Aufwachraum bis zurück auf die Station begleiten. Renate Sasse:
"Das sind wechselnde Teams, immer fremde Gesichter, und der Patient hält sich, manchmal im wahrsten Sinne des Wortes, klammert sich, an die Person, die er schon kennengelernt hat, die schon einen Bezug zu ihm aufgebaut hat, und die ihn durchgeleitet, durch die gesamte OP und alles drum herum."
Wenn Renate Sasse Patienten im OP betreut, trägt alleine schon ihre Anwesenheit dazu bei, dass sie sich sicher fühlen und die Operation in Teilnarkose gelassener über sich ergehen lassen. Bei Demenzpatienten muss die Altenpflegerin auch immer wieder dieselben Dinge erklären:
"Da kommt die Frage, wo bin ich denn hier, was mach ich denn hier, was machen die hier mit mir. Dann zu erklären‚ Sie sind doch gestürzt‘ ‚Ach ja‘. Das kann durchaus in einer Operation auch zehn, 20, 30 Mal, immer das gleiche Thema sein."
Brille und Hörgerät auch bei der OP
Damit die Patienten möglichst gut orientiert sind, behalten sie in Münster Hilfsmittel wie Brille oder Hörgerät in der Regel bei sich. In vielen Kliniken bleiben die grundsätzlich auf der Station, schon, damit sie nicht verloren gehen. Sasse:
"Wenn man sich jetzt aber vorstellt, die Dame mit dem Schenkelhals wird wach operiert. Wie soll ich, aber auch, wie soll der Narkosearzt, mit ihr sprechen, der ihr erklärt, warum er sie jetzt gleich in den Rücken sticht, wenn man sie vorher ihrer Hörgeräte beraubt?"
Auch künstliche Zähne bleiben drin, damit der Patient fragen kann, was gerade passiert. Während der OP erklärt Renate Sasse im Zweifel jedes Mal, wenn es am Arm stramm wird, dass das das Blutdruckmessgerät ist und benennt jedes Geräusch:
"Dass es piept, dass es klingelt, das ein Schrauber kommt, eine Säge kommt, Dass man einfach erklärt, es ist alles gut, es läuft alles bestens, und aber auch erklärt, was das jetzt ist, was da gerade gemacht wird."
Demenz-Spezialbetreuung vermeidet Folgekosten
Eine eigene Abteilung mit einer Oberärztin und fünf Altenpflegerinnen einzurichten, die sich nur um das Thema Demenz und Delir kümmern – das ist teuer. Und trotzdem günstiger, als es nicht zu tun, wie sich in der Praxis der letzten Jahre gezeigt hat. Oberärztin Simone Gurlit:
"Unser Krankenhaus tritt da in Vorleistung und macht das, unter der Vorstellung, dass gewisse konfliktbehaftete Verläufe und Komplikationen nicht auftreten und diese Folgekosten damit vermieden werden. Das lohnt sich auf jeden Fall."
In Zeiten von Sparzwängen und Personalmangel gehen nur sehr wenige Kliniken das Thema "Demenz im Krankenhaus" so offensiv an. Schon jetzt sind die Häuser überfordert und die Kranken unterversorgt. Dabei wird sich die Zahl der Demenzpatienten in den nächsten 20 bis 30 Jahren noch verdoppeln. Wilfried Teschauer:
"Ich denke, dass wir vor einem ähnlichen Thema stehen wie vor ungefähr 15 Jahren in der Altenpflege, als man feststellte, dass die somatische Pflege, also die medizinische Versorgung, die Pflege, wie sie jetzt im Krankenhaus ja auch stattfindet, einfach nicht ausreichend ist für Menschen mit Demenz. Also da muss ein großes Umdenken stattfinden."
Kinderbetreuung als Vorbild für Umgang mit Dementen
Dabei könnte eine andere Gruppe besonderer Patienten Vorbild sein: Kinder. Dasselbe Krankenhaus, in dem Helga, die Mutter von Vera Hesse, zwei Mal verloren ging, hielt für ihren damals sechs Jahre alten Sohn eine optimale Betreuung bereit, als der dort operiert werden musste. Vera Hesse:
"Dann kam jemand, der ich glaube, extra nur dafür abgestellt war. Ein unglaublich lustiger, freundlicher junger Mann, der auch meinen Sohn zum Lachen brachte. Er hat meinen Sohn bis zur Narkose begleitet, war im Aufwachraum auch da – also ich hatte den Eindruck, er ist extra nur für diesen kleinen Jungen da."
Es ist Standard, dass für Kinder im Krankenhaus so etwas wie Unterricht angeboten wird, es gibt Spielsachen und großzügige Besuchsregelungen. Eltern dürfen überall in der Klinik mit übernachten und in Aufwachräumen am Bett wachen. Für Demenzpatienten ist all das – oder Vergleichbares nicht üblich. Ein Fehler, sagt Wilfried Teschauer:
"Eins zu eins diese Maßnahmen wären für Menschen mit Demenz auch sinnvoll. Menschen mit Demenz brauchen eine besondere Form von Betreuung, gerade im Krankenhaus."
Vielleicht ist eine solche Fürsorge für Demenzpatienten sogar noch wichtiger als für Kinder. Vera Hesse:
"Meine Mutter oder überhaupt Demenzpatienten generell halte ich für mindestens so hilflos wie einen sechsjährigen kleinen Jungen. Die sind verwirrter, schlechter aufgestellt und begreifen Zusammenhänge, glaube ich zumindest, wesentlich schlechter als Kinder. Und müssten dann auch eine entsprechende Betreuung wie Kinder genießen."