Dienstag, 16. April 2024

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Demografischer Wandel
"Ältere Menschen machen viele Dinge einfach langsamer"

Der Demografische Wandel stellt nicht nur Deutschland vor große Herausforderungen. Auch China, Japan oder die Schweiz sind betroffen. In einer Studie hat das Fraunhofer Institut die vier Industrienationen miteinander verglichen. Die Probleme seien zwar dieselben, die Länder gingen aber unterschiedlich damit um, sagte die Studienleiterin Kerstin Cuhls im DLF.

Kerstin Cuhls im Gespräch mit Carsten Schröder | 27.10.2016
    Die Seniorin Erika Förster hockt im Garten des Mehrgenerationenhauses mit mehreren Kindern in einem Sandkasten.
    Die Seniorin Erika Förster hockt im Garten des Mehrgenerationenhauses mit mehreren Kindern in einem Sandkasten. (picture alliance / dpa / Jochen Lübke)
    Carsten Schröder: Die ersten Auswirkungen des demografischen Wandels sind bereits spürbar, die Menschen werden immer älter, das Rentenalter wird verschoben, altersbedingte Krankheiten nehmen zu und in den Pflegeberufen herrscht ein eklatanter Mangel an Fachkräften. Diese Probleme gibt es nicht nur in Deutschland, die gibt es auch in anderen industrialisierten Ländern. Das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung hat jetzt in einer Studie vier betroffene Industrienationen miteinander verglichen und gefragt, wie sich in schrumpfenden Gesellschaften der demografische Wandel auswirkt. Am Telefon begrüße ich die Leiterin dieser Studie Dr. Kerstin Cuhls. Guten Abend, Frau Dr. Cuhls!
    Kerstin Cuhls: Guten Abend!
    Schröder: Die vier Länder, die Sie untersucht haben, sind neben Deutschland auch die Schweiz, Japan und interessanterweise China. Sind die Probleme in allen vier Ländern dieselben oder unterscheiden sie sich?
    Cuhls: Die Probleme, die auf uns zukommen, sind zwar dieselben, die Länder unterscheiden sich aber sehr stark in ihrer Entwicklung erstens und auch in dem, wie sie inzwischen schon die Probleme überhaupt identifiziert haben und mit ihnen umgehen. Für China muss man sagen, dass sie im Moment noch keine schrumpfende Gesellschaft sind, sondern erwarten, etwa zehn Jahre nach Deutschland auf demselben Stand zu sein. Aber dann wesentlich stärker. Und dadurch, dass die Menschenmenge dort so groß ist, in einer ganz eklatanten Weise. Also, da werden die Auswirkungen ganz, ganz gravierend sein. Während andere Länder wie Japan sich schon über längere Zeit darauf vorbereiten und relativ gut vorbereitet sind.
    "In Japan kennt man die Problematik seit Langem"
    Schröder: Inwiefern ist man denn in diesen Ländern und inwieweit ist man speziell in Japan auf den demografischen Wandel vorbereitet?
    Cuhls: In Japan kennt man die Problematik seit Langem, es wird eigentlich schon seit 20, 30 Jahren daran geforscht. Die Zahlen liegen vor, die Zahlen sind in Japan relativ stabil, noch viel stabiler als bei uns in Europa, sodass wir dort sehen, dass man sich auf Gesamtkonzepte vorbereitet. Das, was wir hier auch ansatzweise haben, wird dort ganz massiv gemacht. Es gibt Lehrstühle, die sich mit Altersforschung, Alternsforschung und auch Leben im Alter, aber auch Leben mit jungen Menschen direkt befassen. Es gibt richtige Institute, Gerontologen, Gruppen, die sich damit befassen. Und man versucht, ganze Stadtkonzepte darauf aufzubauen, sodass man Alt und Jung verbindet oder für ältere Menschen die Möglichkeiten sowohl von der technischen Seite her anguckt als auch die Organisationsformen und die sozialen Auswirkungen ganz genau anschaut, beschreibt und dann aber auch ganz konkret umsetzt. Wichtig dabei ist nämlich in Japan, da geht man davon aus, dass es keine Menschen gibt, die ins Land kommen. Also, man geht tatsächlich schon von einer schrumpfenden Gesellschaft aus und dort werden wenige Zuwanderer ins Land gelassen, sodass man also mit der Menschenmenge, die im Land ist, auskommen muss.
    Schröder: Das ist in Deutschland etwas anders. Kann die Zuwanderung helfen, dem Schrumpfen der Bevölkerung entgegenzuwirken?
    Cuhls: Jein. Einerseits ja, das ist tatsächlich eine große Chance, natürlich mehr Menschen im Land zu haben, aber diese Menschen müssen erst integriert werden und das funktioniert auch nicht einfach so, dass sie sofort im System selber sind, im sozialen System, im Sprachsystem, im Arbeitssystem, im Schulsystem. Sie haben dort lange Zeit Nachteile und können natürlich nicht sofort all das kompensieren, was Menschen, die die ganze Zeit hier gelebt haben, machen können. Es ist sehr wohl eine Chance, sie dafür auszubilden und diese Chance dann auch zu ergreifen. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist aber, dass wir weiterhin eine alternde Gesellschaft haben. Schrumpfende Gesellschaften sind in der Regel auch alternde Gesellschaft, das heißt, der Anteil der älteren Menschen an der Bevölkerung wird immer größer, der Anteil der jungen Menschen wird immer kleiner. Und auch die Geburtenzahlen sind zwar gerade für Deutschland ein bisschen gestiegen, aber immer noch nicht auf Bestandserhaltungsniveau. Das heißt, die Geburtenzahlen werden weiterhin immer niedriger und auch bei den Zuwanderern ist es meistens nur noch die erste Generation, die mehr Kinder hat als die deutschen einheimischen Menschen. Die nächsten Generationen haben in der Regel schon wieder weniger Kinder und passen sich demselben Niveau dann an.
    "Es sind mehr ältere Menschen, die jetzt aktiv werden können"
    Schröder: Die Auswirkungen des demografischen Wandels, vor allen Dingen oft des Alterns, diese Auswirkungen auf den Einzelnen sind bereits spürbar, oder jeder Einzelne spürt es. Die Lebenserwartung steigt, das Rentenalter auch, ebenso die Wahrscheinlichkeit, eines Tages eine altersbedingte Krankheit zu erleiden. Aber wie wirkt sich der demografische Wandel auf die Gesellschaft als Ganzes aus?
    Cuhls: In der Gesellschaft als Ganzes haben wir andere soziale Strukturen. Wir haben vielleicht auch sogar eine Herausforderung für die Demokratie, weil natürlich auch die politischen Bedingungen andere sind. Es sind mehr ältere Menschen, die jetzt aktiv werden können. Also, die Wutbürger in Stuttgart sind so ein Beispiel, da waren sehr, sehr viele Rentner dabei, sehr viele ältere Leute, die gesund, fit sind, aber sich aufregen und dann auch politisch aktiv werden. Also, wir werden auf dieser Ebene sehr, sehr viel Umwälzung noch erwarten können und haben. Wir haben aber auch ganz andere Dinge wie zum Beispiel andere Zeitstrukturen in der Gesellschaft. Wir haben langsamere und ganz schnelle Entwicklungen, die aufeinanderprallen.
    Schröder: Was meinen Sie mit Zeitstrukturen?
    Cuhls: Wir haben zum Beispiel Personen, die jetzt plötzlich Zeit haben, weil sie in einer Phase, in der sie noch sehr, sehr aktiv sind, schon sehr viel Zeit haben. Sie können also in Rente gehen, haben dann noch sehr viel Zeit, machen aber viele Dinge einfach auch langsamer. Ältere Menschen machen viele Dinge einfach langsamer, nicht nur weil sie es gewöhnt sind und nicht in so einer rapid-schnellen Zeit aufgewachsen sind, während ganz junge Menschen, denen muss das dann alles ganz schnell gehen, sie brauchen eine schnelle Antwort auf irgendetwas, auf eine E-Mail, auf eine Aktion. Und diese Strukturen prallen jetzt auch aufeinander. Und auch die Rhythmen der Menschen rein zeitlich sind ganz andere. Also, junge Menschen sind eben späte Menschen, ältere Menschen haben andere Zeitrhythmen, sind morgens früher, brauchen aber dann wieder noch mal eine Ruhephase dazwischen. Also, auch da prallen viele Dinge in der Gesellschaft aufeinander, wo auch gar keine Kommunikationsmöglichkeiten mehr bestehen. Also, auch da werden wir vieles sehen, was sich verändern wird.
    "Es gibt sehr viele Ansätze für gesamtheitliche Konzepte"
    Schröder: Ja, dieses Aufeinanderprallen kann natürlich zu Konflikten führen. Wie lässt sich den Auswirkungen des demografischen Wandels begegnen und inwiefern kann die Forschung dazu einen Beitrag leisten?
    Cuhls: Es gibt sehr viele Ansätze für gesamtheitliche Konzepte, also, wo wirklich das Miteinander der Generationen gefördert wird. Bis jetzt gibt es schon zum Beispiel Mehrgenerationenhäuser oder ganze Viertel, die darauf ausgerichtet sind, dass alle Generationen dort auch zusammen leben können und auch aufeinander zugehen können. In Japan gibt es zum Beispiel ganz starke Konzepte, Spielplätze neben Altenheime zu bauen, damit man dort eben Begegnungsplätze einfach hat, Orte der Begegnung überhaupt. Das sind sehr, sehr einfache Mittel, die zum Teil wirken. Größere Dinge sind, wenn zum Beispiel Pflegeeinrichtungen, auch Tagespflegeeinrichtungen so integriert werden, dass sie mit Schulen kombiniert sind, dass zum Beispiel auch mit Hausaufgabenhilfe gegenseitige Leistungen noch erbracht werden können, dass zum Beispiel Nachhilfe dort stattfinden kann, dass auf der anderen Seite aber auch Schüler, die sowieso Betreuung brauchen, Spiele mit Älteren veranstalten können und dort wieder Begegnungsstätten haben. Also, so ganz einfache Dinge, die auch noch nicht erforscht worden sind, bis hin zu tatsächlich auch so was wie Umgang mit sozialen Robotern, den mal auszutesten. Technische Lösungen alleine funktionieren in der Regel nicht, aber wenn man da Kombinationen findet, dann könnte es sehr interessant sein und dann können sogar solche Hilfsmittel helfen.
    Schröder: Vielen Dank! Das war Dr. Kerstin Cuhls vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.