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Demokraten im US-Wahlkampf
„Katholiken wollen angesprochen werden“

Die Wahlkampfstrategie von Joe Biden, auf gläubige Wähler zuzugehen, mache unbedingt Sinn, sagte Nordamerika-Experte Michael Hochgeschwender im Dlf. Der demokratische Präsidentschaftskandidat müsse, anders als Hillary Clinton bei der letzten Wahl, dort Wähler gewinnen, wo die Demokraten schwächer seien.

Michael Hochgeschwender im Gespräch mit Monika Dittrich | 02.10.2020
Präsidentschaftskandidat Joe Biden spricht am 3. September 2020 in einer Kirche in Kenosha
Werden die 77 Millionen Menschen, die in den USA zur katholischen Kirche gehören, die US-Wahl entscheiden? (imago images / Adam Schultz)
In den USA leben rund 77 Millionen Katholiken, das sind ungefähr 24 Prozent der Gesamtbevölkerung. Einer von ihnen könnte am 3. November zum nächsten Präsidenten gewählt werden: Der demokratische Bewerber Joe Biden ist katholisch. Bisher gab es erst einen einzigen katholischen US-Präsidenten, das war John F. Kennedy. Biden hebt seine Konfession und seinen Glauben im Wahlkampf stark hervor - wie in diesem Wahlkampf-Clip:
Ist die Religion im Wahlkampf unterschätzt? Oder überschätzt? Darüber sprachen wir mit Michael Hochgeschwender, katholischer Theologe und Professor für Nordamerikanische Kulturgeschichte an der Universität München – ein Kenner von Religion und Politik in den USA.
Katholiken zählen
Joe Biden will auch bei religiösen Wählern punkten. Vor allem weiße Katholiken in Swing-States könnten wahlentscheidend sein. Der demokratische Präsidentschaftskandidat setzt verstärkt auf sein Faith-Outreach-Team.
Monika Dittrich: Herr Hochgeschwender, ist es eine kluge Wahlkampfstrategie von Joe Biden, seine Religionszugehörigkeit und seinen Glauben so hervorzuheben?
Michael Hochgeschwender: Ja, das macht unbedingt Sinn. Das hat ja Barack Obama 2008 und 2012 ebenfalls schon versucht. Die Demokraten müssen etwas mehr die Hände ausstrecken in Richtung gläubiger Wähler, die jetzt nicht ganz dem konservativen Lager zugehören. In den letzten Jahrzehnten haben sie dann doch sehr oft moderat-konservative, katholische und moderate evangelikale Wähler durch ihre Politik eher verschreckt als angezogen.
Katholiken sind gespalten
Dittrich: Bei Kennedy hieß es noch, er sei Präsident geworden, obwohl er katholisch war. Da war die Religionszugehörigkeit also eher ein Nachteil. Er hat sie auch nicht so stark hervorgehoben. Für Biden könnte es jetzt also genau umgekehrt sein.
Hochgeschwender: Ja, das ist ja die Frage. Es geht heute ja nicht mehr darum, dass es einen geschlossenen katholischen Wählerblock gäbe. Die Katholiken sind, wie der Rest des Landes, gespalten in einen eher konservativen Flügel und einen liberalen Flügel. Bei den liberalen Katholiken wird das wirken, solange Biden in anderen Politikfeldern – und das betrifft vor allen Dingen die Abtreibungsfrage – sich weiterhin liberal gibt. Das wiederum wird dann konservative Katholiken eher abstoßen.
Wobei man aus Umfragen weiß, dass die inzwischen mit Trump unzufriedener sind als etwa ihre evangelikalen konservativen Gesinnungsgenossen. Also, insofern ist das eine zweischneidige Strategie, die zumal auch den linken Flügel seiner Partei abschrecken könnte, die aber trotzdem meines Erachtens notwendig ist, um gerade in den Battleground States, also den Staaten, um die es letztlich geht, Pennsylvania, Ohio, Michigan, Wisconsin, um dort katholische Wähler aus der Arbeiterklasse und der unteren Mittelklasse von den Republikanern zurückzugewinnen.
"Die Katholiken sind eine der interessantesten Wählergruppen"
Würde Joe Biden zum Präsidenten gewählt, wäre er nach John F. Kennedy der zweite Katholik in diesem Amt. Es sei kein Nachteil mehr für einen Bewerber, der katholischen Minderheit anzugehören, sagt der Religionssoziologe Philip Gorski.
Dittrich: Das heißt, das könnte auch ein Drahtseilakt sein. Wenn Biden sich zu sehr dem linken Flügel der Partei zuwendet und die jungen Unterstützer des alten Sozialisten Bernie Sanders glücklich machen will, dann riskiert er auf der anderen Seite die gemäßigten katholischen Stimmen, die wahlentscheidend sein könnten?
Hochgeschwender: Ja, das hat man sehr deutlich gesehen, auch während dieser etwas missglückten Veranstaltung mit Donald Trump, dass er tatsächlich gezwungen ist, permanent einen mittleren Weg zu gehen. Er hat sich ja sehr deutlich von manchen Prinzipien des linken Flügels verabschiedet, etwa dem Green New Deal. Und das wiederum könnte ihm auf der Linken Verluste bringen. Das kann er aber insofern verschmerzen, weil diese Linke in den Staaten stark ist, in denen die Demokraten sowieso gewinnen werden. Er muss unbedingt Wähler dort gewinnen, wo die Demokraten schwächer sind. Und das sind vermutlich katholische Wähler.
Bidens Reise durch Trumps Heartland
Dittrich: Welche politischen Interessen haben die denn?
Hochgeschwender: Ja, das ist zum einen tatsächlich die Abtreibungsfrage, zum anderen gar keine religiösen Interessen, sondern vor allen Dingen ökonomische Interessen. Aber was sie wollen, da sie vornehmlich aus der Arbeiterklasse und der unteren Mittelklasse kommen: Sie wollen angesprochen werden. Das ist etwas, was Hillary Clinton bei der letzten Wahl zum Teil auch aus einfach intellektueller Arroganz nicht getan ist. Sie war nie in Wisconsin oder Michigan. Sie hat nicht mit katholischen Arbeitern geredet. Jetzt macht Biden macht ja gerade diese Reise durch das, was man als Trumps Heartland bezeichnet, um genau diese Menschen anzusprechen und wieder zurückzugewinnen.
Dittrich: Muss ein amerikanischer Präsident fromm sein oder wenigstens den Eindruck erwecken?
Hochgeschwender: Er sollte zumindest den Eindruck erwecken. Wobei, bei Trump glauben ja nicht einmal seine evangelikalen Anhänger, dass er fromm ist. Nur zwölf Prozent sagen, er sei religiös. Aber ein Bewerber darf nicht gegen Religion sein. Besser ein etwas weniger frommer Mensch, der kein Atheist ist. Also, Atheisten oder Agnostiker würden es in diesem Jahrhundert wie im 20. Jahrhundert schwer haben.
Dittrich: Gibt es denn auch so was wie ein Gebot weltanschaulicher Neutralität? Denn immerhin sind die USA ja ein Land mit enormer religiöser Vielfalt.
Hochgeschwender: Ja. Wobei das seit George W. Bush immer wieder verletzt worden ist. Normalerweise bei der Amtseinführung wird ja ein Gebet gesprochen. Und bei Bush war das ein explizit christliches Gebet. Das sollte man tunlichst unterlassen. Es gibt so diese Idee der Zivilreligion, wo man an einen allmächtigen Schöpfergott betet, ohne ganz klar zu sagen, um wen es sich handelt.
Katholische Richter und Richterinnen im Supreme Court
Dittrich: Nun hat US-Präsident Trump die katholische Juristin Amy Coney Barrett für den Supreme Court nominiert, für das höchste amerikanische Gericht. War das ein kluger Schachzug, ausgerechnet eine Katholikin zu nominieren?
Hochgeschwender: Ja und nein. Ja, weil jeder weiß, dass sie eine sehr konservative, eine sehr gute, aber auch sehr konservative Richterin ist. Nein, weil es jetzt tatsächlich langsam etwas rumort. Der Supreme Court besteht nun aus sieben Katholiken, davon sechs Konservative - und zwei Juden. Das heißt, das klassische protestantische Milieu der USA ist im höchsten Gericht überhaupt nicht mehr vertreten. Da wird im Laufe der Zeit etwas passieren müssen.
Dittrich: Damit würde ja Trump auch seine eigene Wählerschaft verprellen, oder?
Hochgeschwender: Ja, wobei denen ist im Moment interessanterweise - trotz des Antikatholizismus der Evangelikalen - wichtiger, da jemanden zu haben, der dezidiert konservativ ist, und von dem man erwarten kann, dass er das Abtreibungsurteil Roe versus Wade, aber auch andere Urteile, die den Evangelikalen schwer auf dem Magen liegen, kippt. Und das ist die Aufgabe, die gestellt ist. Aber tatsächlich, es gibt so einen untergründigen Ärger darüber, dass Protestanten offensichtlich beim Supreme Court nicht mehr zum Zuge kommen.
Dittrich: Und wie ist das für Biden? Wird das für ihn jetzt zum Drahtseilakt, weil er eine katholische nominierte Richterin eigentlich gut finden müsste, eigentlich unterstützen müsste?
Hochgeschwender: Ja, wobei da entscheiden dann weniger Konfessionsfragen als vielmehr politische Fragen: In welchem Lager steht man? Er kann ja sagen, ich bin gegen eine konservative Richterin, unabhängig davon, ob sie katholisch, jüdisch oder protestantisch ist. Und das wird vermutlich auch die Strategie sein, die man fährt. Wobei die Demokraten insgesamt hier schlechte Argumente haben und wirklich ein Problem haben, ihre Sache rüberzubringen, außer dass sie es ideologisch einfach nicht wollen.
Dittrich: Warum haben sie schlechte Argumente?
Hochgeschwender: Weil natürlich der Präsident verfassungsmäßig das Recht hat bis zum letzten Tag, einen Verfassungsrichter zu ernennen. Das haben damals letztlich unter Obama die Demokraten ja auch gesagt. Insofern ist es tatsächlich verfassungsrechtlich nicht geklärt oder eher unsicher, dass die Demokraten hier recht haben. Sie können letztlich sich nur darauf zurückziehen zu sagen, das passt uns ideologisch nicht. Das ist aber eigentlich kein hinreichender Grund.
Und sie haben einen schweren Fehler gemacht, als bei der Ernennung zum Federal Circuit Court Dianne Feinstein aus Kalifornien nach dem Glauben der Kandidatin Barrett gefragt hat. Denn das verstößt tatsächlich gegen die amerikanische Verfassung. Religiöse Testakte darf es nicht geben. Die hat es im 19. Jahrhundert mal gegeben. Und das hat der Supreme Court damals verboten. Also bewegt man sich auf sehr schwankendem Grund demokratischerseits.
"Punktgenauer katholische Wähler adressieren"
Dittrich: Herr Hochgeschwender, denken Sie, dass man die katholischen Wähler in den USA eher überschätzt oder unterschätzt?
Hochgeschwender: Weder noch. Man weiß, dass sie eine starke Gruppe sind. Aber man weiß auch, dass sie in sich gespalten sind. Das heißt, man muss letztlich punktgenauer katholische Wähler adressieren. Geht es um kirchentreue Wähler? Geht es um konservative Katholiken? Geht es um liberale Katholiken? Trump versucht gerade sozusagen den Anti-Vatikan-Affekt der konservativen Katholiken gegen Franziskus auszunutzen. Der Vatikan hat ja Mike Pompeo ausgeladen. Und das wird jetzt wiederum im Wahlkampf instrumentalisiert. Also, es geht um zielgenaue, um punktgenaue Botschaften an die jeweilige Klientel.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.