Donnerstag, 28. März 2024

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Demokratische Präsidentschaftskandidaten
"Elizabeth Warren hat bessere Chancen als Joe Biden"

Die US-Demokraten seien dabei, sich in eine neue sozialliberale Richtung auszurichten, sagte USA-Experte Michael Werz im Dlf. Das breite Kandidatenfeld spiegele die intensive Auseinandersetzung mit zentralen Themen. Insbesondere die Senatorin Elizabeth Warren habe hier sehr konkrete Positionen.

Michael Werz im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 28.08.2019
Die US-Senatroin Elizabeth Warren mit US-Vizepräsident Joe Biden in Washington
Noch sind viele Bewerber bei den US-Demokraten im Rennen. Michael Werz macht aber schon jetzt eine Top-Kandidatin aus - Elisabeth Warren (zweite von rechts) (Getty Images/Chip Somodevilla)
Jörg Münchenberg: Heute endet eine wichtige Frist bei den US-Demokraten für die Präsidentschaftswahlen. Es geht bekanntlich darum, im November 2020 Donald Trump zu schlagen. Doch wie das gelingen kann, das ist weiter unklar, denn bislang zeichnet sich bei den Demokraten keine klare Linie ab. Es geht mehr gegeneinander als gegen Trump. Zudem ist das Bewerberfeld noch immer ziemlich stattlich, obwohl inzwischen einige Kandidaten wegen Chancenlosigkeit abgesprungen sind.
Am Telefon ist nun der Politikwissenschaftler Michael Werz von der Denkfabrik Center for American Progress, die wiederum den US-Demokraten nahesteht. Herr Werz, einen schönen guten Morgen!
Michael Werz: Guten Morgen, Herr Münchenberg.
Schon jetzt starke Konsolidierung um Top-Vier-Personen
Münchenberg: Herr Werz, wir haben es eben gehört: Das Bewerberfeld ist ja noch ziemlich unübersichtlich. Über 20 Kandidaten sind ja weiter im Rennen. Das wird sich wohl mit dem heutigen Tag dann ändern. Wie schnell rechnen Sie, dass es einen klaren Kandidaten oder eine Kandidatin geben wird? Oder wird sich das am Ende noch alles eine ziemliche Weile hinziehen?
Wer hat die besten Chancen gegen Trump?

Unter den zuletzt 21 demokratischen Präsidentschaftskandidaten führt Joe Biden in den Umfragen noch immer mit 30 Prozent. Um Platz zwei und drei liefern sich Elizabeth Warren und Bernie Sanders ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Werten zwischen 15 und 20 Prozent. Von allen anderen Kandidaten schaffen es nur die afroamerikanische Senatorin Kamala Harris und der Kleinstadt-Bürgermeister Pete Buttigieg in die Top Five.
Werz: Nein. Die Entscheidung über den Kandidaten oder die Kandidatin, die die Demokratische Partei in den Wahlkampf, in den Präsidentschaftswahlkampf führen wird, wird sich noch eine ganze Weile hinziehen. Wir befinden uns ja noch mehrere Monate vor den ersten Vorwahlen, die in der ersten Februarwoche in New Hampshire und Iowa stattfinden. Aber man darf sich angesichts der großen Anzahl der Kandidatinnen und Kandidaten auch nicht davon täuschen lassen, dass eigentlich gleich zu Beginn der Auseinandersetzung es schon eine relativ starke Konsolidierung um die Top-Vier-Personen, die Ihr Kollege gerade genannt hat, gegeben hat, und daran hat sich auch in den vergangenen Monaten nicht besonders viel verändert. Die große Zahl der Kandidaten war notwendig, weil auch die Demokratische Partei durch einen Neukonsolidierungs- und einen Neuausrichtungsprozess, angestoßen durch die Diskussion zwischen Hillary Clinton und Bernie Sanders, vor drei Jahren geht, und da brauchte man auch eine gewisse öffentliche Diskussion und das hat sich in der Vielzahl der Stimmen der Kandidaten repräsentiert.
"Elizabeth Warren hat hier die besseren Chancen"
Münchenberg: Joe Biden, um mal einen herauszugreifen, Vizepräsident unter Barack Obama, liegt ja in den Umfragen noch immer klar vorne. Ihrer Einschätzung nach, kann der am ehesten dann auf die Nominierung hoffen? Oder anders gefragt: Wer ist der schärfste Konkurrent, die schärfste Konkurrentin für Biden?
Werz: Ich glaube, das ist im Moment noch Spekulation, weil wir uns ja nach wie vor in einer sehr frühen Phase befinden. In der Regel ist es so, dass die Leute erst ab Labour Day, in der zweiten Septemberwoche, wenn der Sommer vorbei ist und die Dinge wieder ihren normalen Gang gehen, anfangen, sich mit den Kandidaten intensiver auseinanderzusetzen. Von daher sind diese frühen Umfragen noch mit großer Vorsicht zu genießen. Man muss immer wieder daran erinnern: Die Nominierung des Kandidaten oder der Kandidatin findet ja erst Mitte Juni nächsten Jahres in Milwaukee in Wisconsin statt. Insofern ist das ein sehr frühes Verfahren in diesem Jahr mit sehr vielen Bewerberinnen und Bewerbern, was natürlich auch bedeutet, dass die Umfragezahlen mit Vorsicht zu genießen sind.


Joe Biden ist nach wie vor relativ stark im Rennen. Das hängt damit zusammen, dass er ein sympathischer Typ ist und relativ bekannt. Aber man muss auch sich vergegenwärtigen, dass er für eine politische Position steht, die eher zurückgerichtet ist auf seine eigene politische Biographie und auf die Errungenschaften vergangener Jahre. Ob das ausreicht in einer Situation, in der die Stimmung wieder auf Wechsel und Veränderung gestellt ist, wage ich persönlich zu bezweifeln, und ich denke, dass Elizabeth Warren hier in der Tat die besseren Chancen hat.
Biden spricht in Pittsburgh 
Prominentester und politisch erfahrenster Bewerber der Demokraten: Joe BidenJoe Biden (AP)
Münchenberg: Dann sind wir eigentlich auch schon bei der Strategie. Da muss man sagen, da gibt es bei den Demokraten noch keine, wie man Trump attackieren will. Ist das die größte Schwäche der Demokraten, oder eher ein Problem im Vorwahlkampf?
Werz: Nein, das ist keine Schwäche, sondern hat mit zweierlei Dingen zu tun. Zum einen mit der außergewöhnlichen Situation, in der wir uns im Moment in den Vereinigten Staaten befinden: mit einem Präsidenten, der alle politischen, demokratischen und Verfassungstabus bricht, die man so bringen kann, und rekordverdächtige 12.000 Lügen in den letzten 940 Amtstagen von sich gegeben hat. Das kreiert eine Situation, mit der man nur schwer umgehen kann.
Zum anderen ist die Demokratische Partei auch dabei, sich in eine neue sozialliberale Richtung auszurichten. Das ist eine deutliche Veränderung. Dieser Prozess bedarf einer internen Selbstverständigung, der sich über die Vielzahl der demokratischen Kandidaten ausdrückt, aber auch über die intensiven Auseinandersetzungen über zentrale Themen wie Sozialversicherung, Bildung und Gesundheitsreform. Das ist ein ganz normaler Prozess.
Wahl im Juni 2020 wird eine "Entweder-oder-Wahl
Münchenberg: Aber, Herr Werz, bei den Fernsehduellen, die es ja jetzt schon gab, da sind die Kandidaten eher aufeinander losgegangen und nicht gegen Trump. Schwächt das die Demokraten nicht trotzdem?
Werz: Ich glaube, dass man das nicht überbewerten darf. Natürlich gibt es einen innerparteilichen Ausscheidungswettbewerb. Der wird auch mit Härte ausgetragen. Es geht auch um grundlegende Entscheidungen, wie sich die Partei ausrichtet. Das ist wichtig dafür, eine klare Position im kommenden Jahr zu formulieren. Aber man kann davon ausgehen, dass an dem Tag und in der Stunde und in der Minute, in der es einen demokratischen Präsidentschaftskandidaten oder Kandidatin gibt, all das vergessen ist, weil es zu einer polarisierenden Auseinandersetzung mit Donald Trump kommen wird, wo die Demokraten nicht ganz zu Unrecht sagen werden, das ist eine Jahrhundertwahl, in der es um die Ausrichtung der Vereinigten Staaten, der Gesellschaft, der Art und Weise, wie Amerikaner miteinander leben und sich zur Welt in die Beziehungen setzen, geht. Diese Wahl kann nur geführt werden als eine Entweder-oder-Wahl und ich bin sicher, dass am 16. Juni kommenden Jahres alle diese Diskussionen, die wir heute führen, innerhalb kürzester Zeit in Vergessenheit geraten werden.
"Demokraten befinden sich in einem Findungsprozess"
Münchenberg: Herr Werz, Sie haben gesagt, die Demokraten sind derzeit auch in einer Art Findungsprozess. Trotzdem gibt es ja die große Sorge, dass man zu weit nach links rutscht. Manche Kandidaten fordern ja zum Beispiel die Abschaffung der privaten Krankenversicherung oder auch, dass illegale Grenzübertritte entkriminalisiert werden sollen. Dafür gibt es aber erkennbar laut Umfragen keine Unterstützung in der US-Gesellschaft. Wie groß ist die Gefahr, dass man am Ende zu weit nach links geht und damit die Mitte aus den Augen verliert?
Werz: Das ist ein gewisses Risiko. Aber man darf auch diese Diskussionen jetzt nicht Wort für Wort nehmen, sondern es ist noch ein Findungsprozess, der auf dem Parteitag der Demokraten, wenn es dann um die Kandidatenkür geht, mit Sicherheit auch in Kompromisse führen wird. Die Stimmung in den USA ist schon die, dass in den großen gesellschaftspolitischen Bereichen die Leute Veränderungen wollen, ob es um Klima-, Sozialversicherungs-, Gesundheitsversicherungsfragen geht, oder die immensen Kosten des Bildungssystems. Die Tatsache, dass jetzt einige Kandidaten gefordert haben, illegale Grenzübertritte zu entkriminalisieren, hängt weniger damit zusammen, dass jetzt jemand die Tore aufmachen und alle Leute in die USA einladen will, sondern mit einem völlig katastrophalen, unmenschlichen und verfassungsrechtlichen Grenzregime, das unter der Trump-Regierung an der US-mexikanischen Grenze aufgebaut worden ist. Das sind Reaktionen auf die harten Auseinandersetzungen innerhalb der amerikanischen Gesellschaft, die wir gegenwärtig sehen.
In Ciudad Juarez zeigen Aktivisten Fotos von Kindern, die beim Versuch, die US-amerikanisch-mexikanische Grenz zu überqueren, gestorben sind.
In Ciudad Juarez zeigen Aktivisten Fotos von Kindern, die beim Versuch, die US-amerikanisch-mexikanische Grenz zu überqueren, gestorben sind. (Mario Tama / Getty Images News / Getty Images)
Wenn die Diskussion in einer Art und Weise geführt wird, wie das die Konservativen tun, die sagen, das sei eine venezuelamäßige Sozialismusveranstaltung, dann muss man daran erinnern, dass gerade im Vergleich mit der europäischen Politik selbst die Positionen der selbsterklärten demokratischen Sozialisten wie Bernie Sanders oder Alexandria Ocasio-Cortez aus New York, dass die eigentlich sich im Mainstream europäischen Konservatismuses verorten. Die sagen nämlich nichts anderes als die Tatsache, dass man an öffentlichen Schulen und Hochschulen kostenlos studieren können solle, dass es Sinn macht, dass alle Bürgerinnen und Bürger in einer Gesundheitsversicherung sich befinden und dass man in gewissem Rahmen den Finanzsektor regulieren muss, also weiß Gott keine sozialrevolutionären Positionen.
Münchenberg: Aber noch mal: Es gibt ja schon sehr kritische Beobachter, die sagen, die Gefahr ist schon da, dass die Demokraten wie Bernie Sanders oder Elizabeth Warren am Ende einfach überziehen und zu überzogene Forderungen in den Raum stellen.
Werz: Ja! Ich denke, die Diskussion muss man führen. Die Frage ist eher eine, ob es noch die alte Links-Rechts-Spaltung gibt im politischen Spektrum, diese horizontale Auslegung des Parteiensystems, wo man sagt, es gibt Linke, es gibt Rechte und man gewinnt die Wahlen in der Mitte, oder ob wir nicht inzwischen es mit einer zweiten Dimension zu tun haben, die die erste nicht ausschließt, aber auch wichtig ist, wo es nämlich um die Frage geht, wer vertritt eine heterogene, multikulturelle, pluralistische Gesellschaft, in der Frauen gleichberechtigt sind, gegen diejenigen, die ethnonationalistische und rechte Positionen stark machen. Ich glaube, diese zweite Achse spielt auch eine Rolle. Das heißt, es geht nicht mehr nur darum, das politische Zentrum zu besetzen, sondern auch zu signalisieren, dass man mit der amerikanischen Gesellschaft noch etwas vor hat und in der Lage ist, sie in die Zukunft zu führen. Da sind Elizabeth Warrens sehr konkrete politische Positionspapiere und Vorschläge doch einige, die die Diskussion auf eine Art und Weise befeuert haben, die sehr interessant ist und auch viele Leute in recht komplexe politische Fragestellungen hineingeführt hat. Ich würde das nicht zu schnell vom Tisch wischen, sondern der Prozess wird sich noch um ein halbes Jahr entwickeln. Und im Januar oder im Februar, wenn dann die Vorwahlen wirklich beginnen, wird man auch klarere und belastbarere politische Positionen von den Kandidaten hören.
Münchenberg: Herr Werz, noch ein kurzer Blick nach vorne. Trump überzieht die Demokraten ja jetzt schon mit Hohn und Spott. Er hat zum Beispiel Elizabeth Warren als Pocahontas verhöhnt, weil sie von indianischen Vorfahren erzählt hat. Ihre Prognose: Wie schmutzig wird am Ende dieser Wahlkampf im nächsten Jahr werden?
Werz: Der Wahlkampf wird eine ungeheure harte Auseinandersetzung geben. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass sowohl der Präsident als auch viele seiner Familienmitglieder wissen, wenn sie die Immunität ihrer Ämter verlieren, dass sie in ernsthaften juristischen Problemen sich befinden aufgrund der Handlungen, zu denen sie sich haben hinreißen lassen in den vergangenen Monaten und Jahren. Die Strategie, gerade Elizabeth Warren jetzt wieder mit frauenfeindlichen Titeln zu belegen, die wird nicht funktionieren. Ganz im Gegenteil! Ich glaube, viele Amerikanerinnen sind es endgültig satt, dass der Präsident sich einen Spaß daraus macht, gerade politische Gegnerinnen, ob das nun dänische Regierungsangehörige sind oder die politischen Gegner im eigenen Land, permanent herunterzuspielen und die mit Namen zu belegen und mit Spott zu überziehen. Das ist eine Strategie, die vielleicht bei einigen wenigen seiner harten Unterstützer ankommt, aber wenn die letzten Zwischenwahlen im vergangenen Jahr, im November ein Indikator sind, wird das zunehmend Frauen auch aus dem konservativen Spektrum abschrecken, und das wird für ihn eine Strategie sein, die mit Sicherheit nach hinten losgeht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.