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"Demokratische Staaten haben ein Sicherheitsproblem"

Medienberichten zufolge haben der englische und der US-amerikanische Geheimdienst eng mit dem Gaddafi-Regime kooperiert. Vor dem Hintergrund des Sicherheitsbedürfnisses eines Landes sei das legitim sein, sagt Hans-Georg Wieck, ehemaliger Chef des Bundesnachrichtendienstes. Sicherheit und Moral müssten aber immer gegeneinander abgewogen werden.

Hans-Georg Wieck im Gespräch mit Dirk Müller | 05.09.2011
    Dirk Müller: Für die meisten wird das in dieser Deutlichkeit überraschend kommen, für Insider wie auch für zahlreiche Politiker wohl eher nicht. Die westlichen Geheimdienste haben laut New York Times und der Sunday Times eng und vertraulich mit dem Regime von Muammar al-Gaddafi kooperiert. Zum Beispiel die CIA, sie soll Terrorverdächtige zu Verhören nach Libyen gebracht haben, für Verhöre mit Gewaltanwendung. Auch der BND hat angeblich Informationen für den Anti-Terror-Kampf von Gaddafis Agenten bekommen. Und der britische MI5 hat demnach Informationen über libysche Oppositionelle an die Geheimdienstzentrale in Tripolis geliefert. Gaddafi und die westlichen Geheimdienste, darüber sprechen wir nun mit dem früheren NATO-Botschafter und Ex-BND-Chef Hans-Georg Wieck. Guten Morgen nach Berlin!

    Hans-Georg Wieck: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Wieck, Zusammenarbeit mit Diktatoren, gehört das auch für westliche Geheimdienste zum Alltag?

    Wieck: Es kann zum Alltag gehören, denn das hängt ab von den Vollmachten und Aufträgen, die Geheimdienste von ihren Regierungen erhalten. Es gibt da einen wesentlichen Unterschied, auf den ich gleich eingangs aufmerksam machen möchte, und das ist, dass im Falle beispielsweise der Bundesrepublik Deutschland die geheimen Nachrichtendienste auf die Beschaffung und Auswertung von Informationen beschränkt sind, und alle exekutiven Maßnahmen der Regierung, also auch Strafverfolgungsmaßnahmen, bei den Strafverfolgungsbehörden, Polizeien und Justiz, liegen. Das ist ein wichtiger Unterschied. Andere Geheimdienste haben auch exekutive Aufgaben ihrer Regierung.

    Müller: Und das ist alles legitim und legitimiert, auch was die Deutschen machen?

    Wieck: Es ist legitim vor dem Hintergrund des Bedarfs einer Regierung an Sicherheit, für Sicherheit zu sorgen, äußere und innere Sicherheit, und da kann sich in Friedens- vor allen Dingen, aber nicht in Kriegs- und kriegsähnlichen Zuständen die Zusammenarbeit nicht auf die Zusammenarbeit mit befreundeten Ländern und Wertesystemen in analogen Ländern beschränken, sondern muss auch mit anderen Regimen geführt werden, wenn deren Kenntnisse und Informationen Einfluss und Bedeutung für die eigene Sicherheit haben.

    Müller: Herr Wieck, viele Menschenrechtsorganisationen - wir haben das auch am Beispiel Großbritannien jetzt gehört -, die da sagen, so etwas geht nicht, so etwas geht alles viel zu weit, die sind politisch naiv?

    Wieck: Nein. Die moralische Dimension hat immer eine mittragende Bedeutung und muss gewogen werden. Die Besorgnisse, die hier von Menschenrechtsorganisationen vorgetragen werden, eingebracht werden, müssen in Relation zu den Sicherheitsbedürfnissen eines Landes gesehen werden.

    Müller: Und das, was wir jetzt gehört haben, aus den USA, aus Großbritannien, auch angeblich über die Arbeit des BND, das ist - wir haben es eben schon angesprochen - also legitim, aber es ist vor allem auch das sicherheitspolitische Bedürfnis einer Nation?

    Wieck: Ja, es ist legitim vor dem Hintergrund der Sicherheitsbedürfnisse eines Landes. Letzten Endes trägt die politische Führung eines Landes die Verantwortung für das Ausmaß, das in die Zusammenarbeit mit autoritären Regimen gelegt werden kann.

    Müller: Demnach könnte man sagen, Sicherheit geht vor Moral?

    Wieck: Sicherheit und Moral sind wichtige Kriterien der Entscheidungen der Regierungen und damit auch der Nachrichtendienste. Sie müssen abgewogen werden, eine gegen das andere.

    Müller: Sie haben viel Erfahrung in der Arbeit mit Geheimdiensten, Sie waren selbst jahrelang Chef des Bundesnachrichtendienstes. Funktioniert die demokratische Kontrolle?

    Wieck: Das ist von Land zu Land unterschiedlich. Ich würde meinen, man spricht meistens positiv vom eigenen Lande, aber das wird auch von anderen Ländern so gesehen, dass die Gewichtung zwischen der Exekutive, also der Regierung und ihren Geheimdiensten, und der parlamentarischen Kontrolle, also die Kontrolle durch das parlamentarische System, durch die demokratisch gewählten Abgeordneten und deren Ausschüsse, mehr ausgewogen zu sein scheint. Es gibt immer wieder kritische Fälle, wo man sich fragen muss, ist das noch Sache der politischen Kontrolle oder nicht mehr, aber im Großen und Ganzen würde ich sagen ist das in Deutschland entwickelte System von demokratischen Kriterien her betrachtet relevant und zuverlässig. Lassen Sie mich aber da noch mal darauf aufmerksam machen, dass in Deutschland eine Trennung zwischen den informationssuchenden und beschaffenden und auswertenden geheimen Nachrichtendiensten besteht und den exekutiven Organen, den Strafverfolgungsorganen in Bezug auf die Verfolgung von potenziellen Tätern oder Terroristen. Das ist in anderen Ländern nicht so gegeben.

    Müller: Blicken wir auf die anderen Länder, blicken wir auf die USA. Da funktioniert es, wenn ich Sie richtig verstanden habe, nicht ganz so richtig?

    Wieck: Was heißt richtig, das funktioniert anders. Auch da gibt es parlamentarische Kontrollen und in diesen parlamentarischen Kontrollgremien kommt den Sicherheitserwägungen des Landes große Bedeutung zu, vielleicht eine, die wir nicht immer ganz so teilen, aber die USA, aber auch Russland haben andere Perzeptionen ihrer Bedrohung heute als die Bundesrepublik Deutschland.

    Müller: Aber die Bundesrepublik Deutschland ist durchaus bereit, von den Informationen, die von anderen Geheimdiensten kommen und deren Praktiken ja sehr umstritten sind - wir reden hier wieder über CIA -, zu profitieren, die auch umzusetzen in der Praxis?

    Wieck: Es ist wohl Übung - ich sage jetzt Übung; meine Tätigkeit beim BND endete 1990, das ist also 20 Jahre her -, es ist wohl Übung, im Informationsaustausch Informationen, die die Sicherheit berühren, auszutauschen und zu akzeptieren, aber keine Informationen für Gerichtsverfahren auszuwerten.

    Müller: Und das ist auch noch nie vorgekommen?

    Wieck: Das ist wohl schon mal vorgekommen, aber ist beanstandet worden.

    Müller: 11. September in dieser Woche. An diesem Wochenende jährt sich dieses Ereignis zum zehnten Mal. Hat sich die Arbeit der Geheimdienste, auch die Zusammenarbeit der Geheimdienste grundlegend geändert?

    Wieck: Nicht grundlegend, aber situations- und problembezogen hat sie sich verändert, weg von den früheren Modellen und Paradigmen des Kalten Krieges, der Konfrontation von zwei Weltmächten und ihren Verbündeten hin zu der Bedrohung der Sicherheit von Ländern durch andere, nicht immer staatlich erfassbare Machtzentren.

    Müller: Dürfen die Geheimdienste seit dem 11. September mehr?

    Wieck: Anderes.

    Müller: Sagen Sie was.

    Wieck: Sie müssen in vielen Ländern Informationen sammeln, die sie in der Vergangenheit vernachlässigt haben, und dazu gehören viele Länder, in denen nicht demokratische Regierungen an der Macht sind.

    Müller: Und die Methoden sind großzügiger geworden?

    Wieck: Die Methoden werden anders in kriegsähnlichen Zuständen als im Frieden.

    Müller: Nämlich?

    Wieck: Sie können größere Mittel einsetzen, werden stärker mehr Mittel einsetzen und in manchen Fällen - das wissen wir ja von den Doktrinen, die unsere Partnerländer auch öffentlich diskutieren - können Geheimdienste in anderen Ländern Operationen durchführen.

    Müller: Also auch Gewalt anwenden?

    Wieck: Auch Gewalt anwenden.

    Müller: Ist das im Sinne demokratischer Staaten?

    Wieck: Demokratische Staaten haben ein Sicherheitsproblem und das müssen sie in kriegsähnlichen Zuständen mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln beantworten und behandeln und sie unterliegen der parlamentarischen Kontrolle. Auch die Geheimdienste der USA unterliegen der parlamentarischen Kontrolle, genauso wie in England.

    Müller: Also kann man, Herr Wieck, so weit gehen, dass man nur "nicht" gegen die Menschenrechte verstößt?

    Wieck: Noch mal bitte!

    Müller: Also könnte man so weit gehen, bei den Operationen, dass man nur "nicht" gegen die Menschenrechte verstößt?

    Wieck: Ich verstehe den Sinn der Frage nicht. Menschenrechte müssen beachtet werden, dafür gibt es auch internationale Abkommen, beispielsweise das Verbot der Folter, und das ist diskutiert worden in den Vereinigten Staaten und darf heute nicht mehr angewendet werden. Aber wir sehen dann Umgehungsmöglichkeiten, indem diese Personen, die da festgehalten werden, in anderen Ländern befragt werden, die es mit diesen Dingen nicht so ernst nehmen.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der frühere NATO-Botschafter und Ex-BND-Chef Hans-Georg Wieck. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Wieck: Bitte schön! Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.