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Demokratisches Kapitel preußischer Geschichte

Mit Preußens Glanz und Gloria verbinden viele Menschen bis heute die Leistungen ihrer Könige, nicht selten auch deren militärische Erfolge. Der demokratische Freistaat Preußen ist hingegen weithin vergessen. Grundlage für diese Zeit mit vergleichsweise politischer Stabilität war die Verfassung, die am 30. November 1920 in Kraft trat. Allerdings bestand er nur rund zwölf Jahre.

Von Tillmann Bendikowski | 30.11.2005
    Es gibt historische Ereignisse, die werden wohl immer von ihrem Ende aus betrachtet. Das gilt auch für die kurze Phase, in der Preußen als demokratischer Freistaat geradezu ein Vorbild für den Rest Deutschlands war. Grundlage dafür war jene Verfassung, die am 30. November 1920 in Kraft trat. Ihr erster Satz mag heute lapidar klingen - damals war das ein ungeheurer Schritt:

    "Artikel 1 Absatz 1: Preußen ist eine Republik und Glied des Deutschen Reichs."

    Damit begann endgültig ein neues Kapitel preußischer Geschichte. Und es gab eine Menge zu tun, denn das Land verfügte ja keineswegs nur über eine lange stolze Geschichte der Hohenzollern-Könige, sondern war zugleich ein Land der sozialen Ungleichheit und althergebrachter feudaler Herrschaften. Hier mussten die Demokraten reichlich Aufbauarbeit leisten. Das wusste auch der Sozialdemokrat Paul Hirsch, der am 13. März 1919 die verfassungsgebende Landesversammlung eröffnete:

    "Preußens Aufgaben sind noch nicht erfüllt. Auf den Geist der Freiheit, der Ordnung und der Arbeit gestützt, soll es noch einmal der deutschen Nation und ihrer künftigen friedlichen Größe dienen. Preußens beste Eigenschaften, Arbeitsamkeit und Pflichttreue, braucht auch das deutsche Reich zum Wiederaufbau."

    Und so machten sich die Volksvertreter ans Werk - und schufen mit der Verfassung von 1920 eine feste Grundlage für die demokratische Zukunft. Dies war auch bitter nötig, denn die Feinde der Republik zogen von Beginn an durchs Land, der Kapp-Putsch hatte dies erst einige Monate zuvor gezeigt. Die preußische Regierung sorgte anschließend für eine Demokratisierung der Verwaltung. Der sozialdemokratische Innenminister Carl Severing ersetzte zahlreiche Ober- und Regierungspräsidenten, Landräte und Polizeipräsidenten durch republiktreue Beamte. Für Severing eine Selbstverständlichkeit:

    "Ich habe nur ein Bestreben: In dieser Zeit des politischen und wirtschaftlichen Niederganges alle staatsbejahenden Kräfte zum schnellen und energischen Wiederaufbau zu sammeln."

    Und lange schien das demokratische Preußen stabil. An der Spitze der Regierung stützte sich der Sozialdemokrat Otto Braun auf die so genannte Weimarer Koalition aus Zentrum, SPD und Deutscher Demokratischer Partei. Bis 1932 führte er mit zwei kürzeren Unterbrechungen das Land als Ministerpräsident. Von den Demokraten respektiert und geachtet, wurde Braun bei den Extremisten links und rechts Zielscheibe politischer Hetze. Unablässig plädierte der Sozialdemokrat für seinen Weg - wie hier bei der Landtagswahl von 1932:

    "Helft uns am 24. April in eurem und dem Lebensinteresse eurer Kinder, unsere ruhige und im besten Sinne dem Volkswohl dienende Arbeit fortzusetzen, Preußen zum wahrhaft demokratischen und sozialen Volksstaat auszubauen; einen Staat, dem nicht die Willkür größenwahnsinniger politischer Abenteurer, sondern der Wille des Volkes und das Gemeinwohl oberstes Gesetz sein soll."

    Doch die politischen Abenteurer, von denen Braun hier sprach, hatten längst viel zu viel Macht erhalten - und die Demokraten verfügten nach dieser Wahl über keine parlamentarische Mehrheit mehr. Diese Gelegenheit nutzten die Feinde der Regierung Braun aus dem rechten Lager: Der neue Reichskanzler Franz von Papen, der beste Beziehungen zu den alten, konservativen preußischen Führungsschichten pflegte, schwang sich zum Retter Preußens auf und schritt im Juli 1932 zum Staatsstreich:

    "Deutsche Frauen und deutsche Männer! Mit dem heutigen Tage bin ich durch den Herrn Reichspräsidenten zum Reichskommissar für Preußen bestellt worden. In dieser Eigenschaft habe ich auf Grund der mir erteilten Vollmachten den bisherigen preußischen Ministerpräsidenten Braun und den preußischen Minister des Inneren, Severing, ihrer Ämter enthoben."

    Und nachdem ein halbes Jahr später die Nationalsozialisten die Macht übernahmen, sorgten sie für die endgültige Gleichschaltung Preußens. Nur rund zwölf Jahre hatte der demokratische Freistaat bestanden. Die Demokratie in Preußen war zerstört - NS-Zeit und Weltkrieg sollten schließlich dafür sorgen, dass Preußen auch als traditionsreiches deutsches Land unwiderruflich unterging.