Donnerstag, 18. April 2024

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Demonstration der Geschlossenheit

Teilchenphysiker sind eine starke Lobby in der Wissenschaft. Ihr Symposion in Bonn war eine Demonstration der Geschlossenheit, die an den zurückliegenden CDU-Parteitag erinnert: Strategiedebatten sind vorerst nicht nötig, man hat ein gemeinsames Ziel vor Augen - den Beschleuniger der übernächsten Generation: TESLA – Eine 40km lange und 3,5 Milliarden Euro teure Röhre, in der Elektronen und Positronen aufeinander geschossen werden sollen. Das Projekt soll in Hamburg realisiert werden, es würde die deutschen Teilchenphysiker an die Spitze der weltweiten Entwicklung katapultieren und es wäre eine wichtige Ergänzung zu dem Ringbeschleuniger, der zur Zeit in Genf entsteht: Dem LHC, dem Large Hadron Collider. Albrecht Wagner, Direktor des Forschungszentrums DESY wirbt für beide Beschleuniger: LHC und TESLA.

25.11.2002
    Die ganzen Studien, die wir gemacht haben, in den letzten Jahren, alle unsere Erfahrungen der Teilchenphysik haben gezeigt, dass wir diese Art von Maschinen, die aus verschiedenen Blickwinkeln auf das gleiche Objekt sehen, brauchen, um das gesamte Bild zu sehen.

    Für das Gesamtbild fehlen aber noch wichtige Grundbausteine der Materie: Das Higgs-Teilchen und die sogenannten supersymmetrischen Teilchen - ein neuer Teilchenzoo also, der erst gesucht und dann, mit TESLA genauer studiert werden könnte. Möglich wird das aber nur, wenn sich auch die nächste Generation von Physikern und Steuerzahlern für dieses Projekt begeistern kann. Und so war es auffällig, dass zu den Übersichts-Vorträgen des Symposions überwiegend junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ins Rennen geschickt wurden. Die Botschaft an Forschungspolitik und Öffentlichkeit lautete: "Seht her. Die nächste Generation von Teilchenphysikern steht bereit."

    Menges: Das Motto der Älteren ist jetzt, die Jungen jetzt an das Projekt heranzuführen, denn wenn TESLA mal irgendwann realisiert werden wird, dann sind die Alten ja in Pension.

    Wienemann: Es ist schon der Reiz, dass es ein großes Experiment ist, dass man mit sehr vielen Leuten zusammenarbeitet.

    Menges: Natürlich werden wir, sofern wir in der Wissenschaft bleiben, einen großen Teil unseres Lebens mit TESLA verbringen.

    Wienemann: Schwierig zu sagen wie der Fortschritt geht, man kann nun Glück haben und am LHC findet man sofort das Higgs-Teilchen und kommt damit weiter, es kann aber auch sein dass es nicht da ist.

    Hamann: Wenn man es nicht finden sollte, ist es aber genau so interessant. Das ist meine Einstellung. Weil man dann gezwungen ist die Theorien zu modifizieren oder mit ganz neuen Theorien zu kommen. Ich denke, wie auch immer das Ergebnis aussehen wird, es ist sehr interessant und bietet sehr viele Möglichkeiten.

    Peter Wienemann, Wolfgang Menges und Markus Hamann vom Forschungszentrum DESY in Hamburg wollen grundlegende Fragen angehen: Woraus besteht die unsichtbare "Dunkle Materie" im Weltall? Lassen sich alle Kräfte der Natur gemeinsam verstehen? Wie kann eine Weltformel aussehen, mit der auch der Urknall beschrieben werden kann? Der theoretische Physiker Jan Louis von der Universität Halle ist optimistisch, dass es auch Antworten auf diese Fragen geben wird.

    ... ich habe eigentlich das Gefühl, dass in den nächsten 50 Jahren es zumindest zu einer möglichen Theorie des Urknalls kommt – ob die dann wahr ist oder nicht, müssen die Experimente oder die Vorhersagen bestätigen oder nicht bestätigen – aber überhaupt mal eine Theorie des Urknalls vorzustellen, das wäre natürlich ein großer Fortschritt.

    Der Wissenschaftsrat hat unlängst das TESLA-Projekt "unter Auflagen" zur Förderung empfohlen. Gleichzeitig hat er ein großes Konkurrenzprojekt für weniger gut befunden: die europäische Neutronenquelle ESS, die von Materialforschern in Jülich geplant wird: "Zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Förderempehlung", wie es heißt. Dennoch ist längst noch nicht entschieden, welche wissenschaftlichen Großprojekte die Regierung am Ende finanzieren will und finanzieren kann. Albrecht Wagner:

    In der augenblicklichen politischen Debatte und vor dem Hintergrund der angespannten Haushaltslage erwarte ich ohnedies nicht eine politische Entscheidung in wenigen Monaten. Der Wissenschaftsrat hat das ganz klar gesagt, und auch die Politik hat das gesagt: Sie wünscht sich eine Diskussion in der breiteren Öffentlichkeit und in der Wissenschaft, wie eigentlich Prioritäten bei großen Projekten zu setzen sind, das ist eine ganz wichtige Diskussion und wir gehen mit einer Reihe von guten Argumenten hinein, und in sofern bin ich durchaus Positiv von den Ergebnissen des Wissenschaftsrates der letzten Woche beeindruckt.

    Insgesamt sehen die Teilchenphysiker also positiv und selbstbewusst in die Zukunft. Und so ist es jetzt an den Vertretern der anderen Wissenschaftszweige, geschlossener als bisher aufzutreten und verstärkt Werbung für ihre Ideen und Ziele zu machen.

    von Jan Lublinski