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Demonstration gegen Schnüffler

Die Bemühungen des Staates, seine Überwachungsbefugnisse auch bei der elektronischen Kommunikation auszuweiten, stößt schon seit langem auf Widerspruch. In Berlin demonstrierten deshalb rund 12.000 Menschen gegen die Datensammelwut. Die Demonstration war Teil eines internationalen Aktionstages.

Von Wolfgang Noelke | 11.10.2008
    Bei strahlendem Wetter sind seit zwei Stunden nach Polizeiangaben mindestens 12.000 Menschen unterwegs - die Veranstalter sprechen von etwa 50 bis 60.000 Demonstrierenden - sie sind mittlerweile unterwegs vom Neptunbrunnen am Berliner Alexanderplatz - auf der Straße unter den Linden - und im Moment befindet sich die Spitze des Demonstrationszuges in Höhe des Reichstags, also des Deutschen Bundestags - dort wo die Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung beschlossen wurden und werden. Es geht da noch vorbei am Park vor dem Reichstag, also in Sichtweite des Bundeskanzleramts, um dann nach Süden abzubiegen. Dort befindet sich die breite Straße, die direkt auf das Brandenburger Tor mündet, - die Straße des 17. Juni - hier wird für die 30 bis 60.000 Demonstranten in etwa einer Stunde die Abschlusskundgebung stattfinden. Die Demonstration ist übrigens nicht nur auf Berlin beschränkt, sondern Teil eines - unter Berücksichtigung der Zeitverschiebung - weltweiten Aktionstages, sagt Ricardo Christoph Remmert- Fontes vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung:

    "Man muss schon sehen, dass diese ganzen Sicherheitsüberwachungs-Gesetzgebungen in ganz vielen Ländern zurzeit einen starken Aufwind erhalten. In ganz vielen Ländern gibt es die Vorratsdatenspeicherung. Das ist eine europäische Direktive. Die wird aber mittlerweile auch noch außerhalb Europas exportiert. In vielen Ländern stellen wir also fest, dass dieser Bereich von polizeilicher und militärischer Sicherheit gegen die Grundrechte, gegen die ursprünglichen demokratischen Grundrechte einen immer stärkeren Aufwind erfahren."

    So gibt es allein in Deutschland - noch eine, von den Veranstaltern zusammengestellten Dokumentation - inzwischen zwölf, teilweise auch von einzelnen Bundesländern initiierte Gesetzesvorhaben, die nach ihrer Verabschiedung vom Bundesverfassungsgericht innerhalb der letzten zehn Jahre als Verstoß gegen unsere Grundrechte verworfen wurden. Das beginnt mit dem so genannten Großen Lauschangriff, also der akustischen Wohnraumüberwachung, bis hin zum so genannten Luftsicherheitsgesetz, nach dem es gestattet wäre, Passagierflugzeuge einfach abzuschließen. In diesem Jahr waren es die präventive Onlinedurchsuchung in Nordrhein-Westfalen und das Massenscanning von Autokennzeichen in Schleswig-Holstein und in Hessen, das ohne besonderen Anlass als verfassungswidrig eingestuft wurde. Zu den Folgen der Vorratsdatenspeicherung, die ja die Speicherung sämtlicher Telefondaten einschließt, also auch von Anwälten, religiösen Einrichtungen und Beratungsstellen, äußert sich Karl Lemmen von der deutschen Aids-Hilfe:

    "Konkret ist es so, dass wir in den letzten Monaten einen leichten Rückgang in unserer Online-Beratung beobachten. Wir können das jetzt nicht explizit auf die Vorratsdatenspeicherung zurückführen, aber man kann es zumindest nicht ausschließen, dass bestimmte Menschen anfangen, vorsichtiger zu werden. Grundsätzlich ist es so, dass wir denken, dass dieses Gesetz den Lebensnerv der HIV-Prävention in Deutschland trifft, einfach aus dem Grund, dass HIV-Prävention eine besondere Vertraulichkeit braucht, weil es immer um die Koppelung von Daten zur Sexualität eines Menschen und zur Gesundheit eines Menschen geht. Und das sind Dinge, wo Menschen sehr empfindlich sind, wenn Dinge nach außen kommen. Und die Tatsache, also auch die gewisse Abwicklung, dass nur Verbindungsdaten gespeichert werden, betrifft einfach monothematische Einrichtungen, wie die Aids-Hilfe oder den Notruf vergewaltigter Frauen, weil - dort ist praktisch die Speicherung des Kontaktes identisch mit der Speicherung des Anlasses des Anrufes. Und deshalb müssen wir einfach als Deutsche Aids-Hilfe gegen dieses Gesetz arbeiten."

    Allein das Bewusstsein der Vorratsdatenspeicherung, so sagte es ein Sprecher des Bundesverbandes Deutscher Psychologen, würde bei denen, die wissen, dass sie überwacht werden, eine strategische Vermeidungshaltung herbeiführen: Offene Diskussionen würden nur noch im Untergrund geführt werden, was dann zu einer gesamtgesellschaftlichen Veränderung führen könne. Unter den 120 teilnehmenden Organisationen, vermisst der Bielefelder Künstler, der sich "padeluun " nennt, heute eine Gruppe:

    "Ich frage mich, wo die ganzen Großunternehmen sind, die sich nicht beteiligen. Weil auch, wenn die Firma Siemens-Verkehrstechnik in Kuala Lumpur anruft, im Verkehrsministerium, ist auch das schon eine Information, die für Industriespionage genutzt werden kann. Also ich vermisse hier auch die Großunternehmen, die dastehen und sagen: Verdammt nochmal, wir machen Geschäfte, wir sind in der Regel zumindest ehrliche Leute und auch wir haben es nicht verdient, permanent überwacht zu werden, zumal es gefährlich ist."