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Demonstration vor dem Kanzleramt
Eine Woche Klimaprotest geplant

Mit einem Protestcamp vor dem Kanzleramt in Berlin will die Bewegung Extinction Rebellion die Politik dazu bringen, noch mehr für den Klimaschutz zu tun. Eine Woche wollen die Demonstranten dort ausharren. Sie hoffen dabei auf die Unterstützung der Berlinerinnen und Berliner.

Von Sebastian Engelbrecht | 08.10.2019
    Ein Transparent im Protestlager der Bewegung Extinction Rebellion vor dem Kanzleramt in Berlin
    Das Protestlager der Bewegung Extinction Rebellion in Berlin (Deutschlandradio / Sebastian Engelbrecht)
    "Rebellion" fordern die Demonstranten, und die Stimmung ist gut. Auf einer Arche aus hellem Holz zu Füßen der Siegessäule ernten Rednerinnen Applaus und freudiges Johlen. Drei Gitarristen und ein Flötist laufen spielend durchs Publikum.
    Männer und Frauen aus ganz Deutschland, viele aus England und aus Skandinavien, die meisten zwischen 20 und 30, sitzen an den Zufahrten zum Großen Stern, auf Isomatten, eingehüllt in dicke Wintermäntel. Es ist ungemütlich kalt und zugig auf diesem Platz mitten im Tiergarten. Vielleicht 2.000 halten hier die Stellung, versperren die Zufahrten, aber der Platz ist so groß, dass sie sich im weiten Rund verlieren.
    "Trotz dieses großen Auftakts müssen wir uns also klar machen, dass das Größte noch vor uns liegt, nämlich erst mal mit der ersten Nacht, die wir hier verbringen. Und deswegen müssen wir uns ziemlich warm anziehen, also nicht nur die Politikerinnen, sondern auch wir – und zusammenhalten."
    Appelle an die Politik
    "Sagt die Wahrheit", steht schwarz auf Lila an den Bordwänden der Arche, ein Appell an die Politiker, sich den Prognosen zum Klimawandel zu stellen. Eine Frau mit dem Mikrofon am Bug der Arche organisiert das Überleben in der kalten Nacht.
    "Wir brauchen aber nicht nur Menschen, sondern wir brauchen auch Versorgung. Und deswegen ist das hier auch ein Appell an die Stadt Berlin und an alle Menschen, die hier wohnen, dass sie uns ein bisschen unterstützen in der nächsten Woche mit warmen Getränken, mit Planen, Regenschirmen, Wärmflaschen, Essen, alles, was man so gebrauchen kann, wenn man so sieben Tage die Straße blockiert. Deshalb: Sagt’s weiter."
    Ein Transparent in einem Protestlager der Bewegung Extinction Rebellion vor dem Kanzleramt in Berlin
    Ein Transparent in einem Protestlager der Bewegung Extinction Rebellion vor dem Kanzleramt in Berlin (Deutschlandradio / Sebastian Engelbrecht)
    Studentinnen und Studenten, Berufseinsteiger, auch ein paar Familien sind entschlossen, die Hauptstadt ins Verkehrschaos zu stürzen, um die Botschaft vom drohenden Klimakollaps zu verbreiten. Auch Georg aus Bayreuth. Er studiert Philosophie und Volkswirtschaft, jetzt aber blockiert er die Zufahrt Spreeweg zum Großen Stern.
    "Deswegen sitzen wir jetzt hier und machen zivilen Ungehorsam, der Disruption bewirken soll, und irgendwie den Leuten zeigen soll: Schaut her, wir glauben, es ist allerletzte Eisenbahn."
    Protestcamp for dem Kanzleramt
    Noch gelingt die Disruption nicht, der Platz ist schon seit Tagen immer wieder gesperrt, erst wegen des Berlin-Marathons, dann wegen der Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit.
    Auf dem Weg von der Siegessäule zum Lager der Extinction Rebellion-Bewegung am Kanzleramt läutet der Carillon. Das Glockenspiel lässt deutsche Volkslieder ertönen, unüberhörbar für die tausend Aktivisten, die hier campieren. "Erfurt", "Jena", "Franken" und andere Namen stehen auf den Zelten. Die Hauptwege des Lagers sind mit weißen Plastikmatten ausgelegt. Rot-weiße Absperrbänder begrenzen die Sektoren. Sogenannte "Öklos" und Feldküchen stehen am Rand, im Zentrum die großen weißen "Workshop"-Zelte.
    Ein Polizeihubschrauber kreist über den Rebellen. Im sogenannten "Upcycling"-Zelt bemalt Marney, Studentin aus London, Schilder. Marney bringt Erfahrung mit. Im Juli hat Extinction Rebellion zwölf Tage lang zwei zentrale Themse-Brücken blockiert.
    "Die Störung, die wir in London verursacht haben, war sehr produktiv. Ich denke, dass unser Ziel wirklich ins Bewusstsein der Menschen eingegangen ist und dass es unser Ziel ist, zu stören und Schluss zu machen mit den bisher üblichen Vorstellungen von Bequemlichkeit, die mit dem kapitalistischen System zu tun haben. Wir versuchen, störende und friedliche Wege zu finden, die uns dazu bringen, auf das System unserer Welt zu blicken und darauf, wie wir es verändern können."
    Neben Marney bemalt Ilai aus Israel alte Pappen mit dem Zeichen der Bewegung, einer Sanduhr in einem Kreis.
    "Wir machen Schilder und irgendwelche Sachen, damit wir zeigen können, dass wir von Extinction Rebellion sind." - "Und woraus produzieren Sie das - aus Müll?" - "Das ist aus Müll und aus irgend welchen Spenden. Aber Hauptsache nicht was neues kaufen, sondern schon benutzte Sachen."
    Demonstranten der Vereinigung der Red Rebels beteiligen sich am Protest der Bewegung Extinction Rebellion in Berlin. 
    Demonstranten der Vereinigung der Red Rebels beteiligen sich am Protest der Bewegung Extinction Rebellion in Berlin. (Deutschlandradio / Sebastian Engelbrecht)
    Vor dem Zelt steht Patrick aus Göttingen neben einem Kinderwagen. Er nimmt mit seiner Frau und zwei Kindern am Camp teil. Patrick arbeitet in der Verwaltung einer Hochschule und hat sich Urlaub genommen für die Rebellion in Berlin.
    "Es kam letzte Woche erst gerade wieder von Göttinger Forschern auch eine Studie raus: Es geht hier wirklich um Nahrungsmittelknappheit und Hungersnöte in Europa in den nächsten 20, 30 Jahren, die uns bevorstehen. Und es geht darum, die Politik aufzufordern, einmal die Wahrheit zu sprechen und das endlich mal auszusprechen, worüber wir hier eigentlich reden."
    Extinction Rebellion fordere außerdem null CO2-Emissionen bis 2025, sagt Patrick, und "Bürgerinnenversammlungen", die entscheiden sollen, wie das zu schaffen sei.
    Trauer über den Zustand der Erde
    Dann plötzlich zieht ein schweigender Zug von "Red Rebels" durchs Lager. Sie tragen blutrote Umhänge, die Gesichter sind weiß geschminkt. Lina und Laura, zwei Aktivistinnen, erklären die Pantomime.
    "Das ist die Vereinigung der Red Rebels, und sie symbolisieren das But, das alle Menschen und Tiere und Wesen teilen." - "Es ist eine Art des Ausdrucks der Trauer über den aktuellen Zustand der Erde und der Trauer über den aktuellen Zustand der Erde und das Blut, das vergossen wird aufgrund von Artensterben."
    Der gespenstische Zug zieht in theatralischem Schritttempo weiter zum Potsdamer Platz. Am Wegesrand blickt ein Busfahrer auf die Szenerie. Was hält er von dem Ganzen?
    "Ja, dass die Straßen gesperrt sind, ist natürlich nicht so erfreulich, aber jeder Mensch hat seine eigene Meinung. Soll jeder Mensch machen, was er will, wie er's will, Hauptsache auf eine ruhige und vernünftige Weise."
    "Man muss zufrieden sein, dass man gesund ist, und alles andere erledigt sich von selbst."