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Dempsey vs. Carpentier vor 100 Jahren
Ein Boxkampf schreibt Radio-Geschichte

Vor hundert Jahren läutete ein Boxkampf in den USA eine neue Ära im kommerziellen Sport ein. Der ambitionierte Veranstalter baute dafür eigens eine riesige Arena und spielte die Rekordsumme von 1,8 Millionen Dollar ein. Noch bemerkenswerter: Das Ereignis ging in die Geschichte des Rundfunks ein.

Von Jürgen Kalwa | 04.07.2021
Jack Dempsey and Georges Carpentier boxing for the World Heavyweight title, July 2, 1921. Over 80,000 fans brought in boxing s first million dollar gate. Dempsey knocked Carpentier out in the fourth round. BSLOC20151765 For usage credit please use PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright: xCourtesyxEverettxCollectionx HISL041 EC295
Jack Dempsey und Georges Carpentier kämüfen am 2. Juli 1921 vor 90.000 Zuschauern um den Weltmeistertitel im Schwergewicht. (IMAGO / Everett Collection)
Das Jahr: 1927 in Chicago. Das Spektakel: der Kampf um die Schwergewichtsweltmeisterschaft zwischen Gene Tunney und Jack Dempsey. Das Besondere: Der Hörfunk ist live dabei. Und erstmals wurde ein Mitschnitt angefertigt.
Kein Wunder. Profiboxen war von Anfang an eines der Triebkräfte für das neue Medium. Und ein anderer Dempsey-Kampf am 2. Juli 1921 so etwas wie der Beginn einer neuen Ära. An diesem Tag vor hundert Jahren sorgte die erste drahtlose Sportübertragung für eine beachtliche Reichweite. Die Hörer kamen in Kinos, Theatern und Versammlungsräumen an der Ostküste der USA zusammen, um das Ereignis live mitzuerleben, das in Jersey City stattfand, einer Stadt unweit von New York.
"Es gibt Quellen, die schätzen das auf 300.000 Zuhörer", sagt Bertram Job, Journalist, Buchautor und einer der profiliertesten Experten in Deutschland, wenn es um das Thema Boxen geht. "Andere gehen von weniger aus. Das hat damit zu tun, dass Radioempfang damals noch in den Kinderschuhen steckte. Es gab Kurzwellen-Fummler. Es gab Technik-Freaks. Aber es war nicht so, dass Radioempfang in Amerika flächendeckend gegeben war. Das kam erst Jahre später."

Freiluftarena eigens errichtet

Der Kampf war ein Meisterstück in Sachen Hype. Die Auseinandersetzung zwischen dem damaligen Weltmeister Dempsey und seinem Herausforderer, dem französischen Europameister Georges Carpentier, inszenierte der kreative Veranstalter Tex Rickard als riesiges Spektakel. 90.000 Zuschauer saßen in einer eigens errichteten Freiluftarena rund um den Ring. Darunter große Namen der amerikanischen High Society wie Rockefeller, Vanderbilt, Astor und Roosevelt, die halfen, die Sportart salonfähig zu machen. Die hatte kurz zuvor durch mehrere Regeländerungen ihr Image aufgebessert.
Bereits in der vierten Runde kam die Entscheidung: ein K.o.-Sieg für Dempsey, dem überragenden Schwergewichtler jener Jahre. Bertram Job: "Es war keine sehr lange Geschichte. Carpentier war im Grunde genommen der elegantere, der geschicktere Boxer. Aber alles, was er da probiert hat, hat auf Dempsey überhaupt nicht gewirkt. Er hat sich wohl in der zweiten Runde bei seinem besten Schlag, den er bis dahin anbringen konnte, den Daumen der Schlaghand gebrochen und versucht, da ehrenhaft herauszukommen."
36 Jahre später treffen sich die beiden erneut und erinnern sich im amerikanischen Fernsehen an ihre Auseinandersetzung. Der Moderator des Senders NBC fragt den Franzosen, wie er die entscheidende Phase erlebt hat.
Georges Carpentier: "Er hat mir mit der Linken einen mächtigen Körpertreffer verpasst und gleich danach eine Rechte zum Kinn." Dempsey hatte nie die zweite Runde vergessen: "Die war auch ziemlich gut."

Besonderer Stellenwert in der Entwicklung des Radios

Vieles an diesem Kampf war bemerkenswert. Etwa die Einnahmen, die zum ersten Mal bei einem Boxkampf bei über einer Million Dollar lagen. Weitere Einnahmen brachte die Auswertung in Form eines Dokumentarfilms, der wenige Wochen später mit Schrifttafeln und unterlegter Musik in die Kinos kam.
Seinen besonderen historischen Stellenwert allerdings erwarb sich der Fight in der Entwicklung des neuen Mediums Radio. Professor Michael Socolow, Kommunikationswissenschaftler und Autor des Buchs "Six Minutes in Berlin" über die Rolle des Rundfunks bei den Olympischen Spielen 1936: "Es war nicht die allererste Sportübertragung der Welt. Es gab einen Boxkampf in Pittsburgh drei oder vier Monate zuvor, der über Kabel übertragen wurde. Bei Dempsey gegen Carpentier wurde allerdings zum ersten Mal drahtlos ausgestrahlt. Man konnte es fast überall an der Ostküste der Vereinigten Staaten live hören. Die erste Sportübertragung mit einem wirklich gigantischen Publikum."
Das Ereignis war das Vorspiel zur Entwicklung einer symbiotischen Beziehung zwischen Sport und den Massenmedien, die das Interesse der breiten Öffentlichkeit in neue kommerzielle Dimension katapultierten.
In Deutschland, so sagt Socolow, passierten die wichtigsten Innovationen. "Das war bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin. Dort kamen unglaubliche technische Neuerungen zum Einsatz. Es gibt Radio vor ’36. Und nach ’36."

Live-Kommentar notgedrungen erfunden

Eine Innovation allerdings ist mit dem Kampf von 1921 verknüpft und dem Namen des Radioreporters Andrew White, ein in Sachen Funktechnik versierter Journalist. Er musste an diesem Tag notgedrungen etwas erfinden, was es bis dahin noch nicht gegeben hatte: den Live-Kommentar am Mikrofon. Und das war heikel, weiß Socolow: "Kurz nach Beginn des Kampfs hat White den akustischen Kontakt zum übertragenden Sender verloren. Er hatte keine Ahnung, ob man ihn überhaupt hören konnte. Aber er redete einfach weiter ins Mikrofon. Hinterher bekam er ein Telegramm. Und erst da wusste er, dass alles geklappt hatte."
Was White in der Sendung sagte, weiß heute allerdings niemand mehr. Die Übertragung wurde bedauerlicherweise nicht aufgezeichnet.