Donnerstag, 28. März 2024

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Den Friedensprozess "afghanisieren"

"Das Wichtigste zurzeit ist, erst mal Friedensverhandlungen auf den Weg zu schieben", meint Almut Wieland-Karimi vom Zentrum für internationale Friedenseinsätze in Berlin. Wenn Afghanistans Präsident Karsai sein eigenes Überleben retten wolle, dann müsse er die aufständischen Gruppen in einen Friedensprozess miteinbeziehen.

Almut Wieland-Karimi im Gespräch mit Gerwald Herter | 29.05.2010
    Gerwald Herter: Mehr als 1200 Abgesandte aus allen Teilen Afghanistans hätten sich heute in der Hauptstadt Kabul versammeln sollen, um dort drei Tage lang zu beraten. Diese Friedenskonferenz hätte in eine Loja Dschirga münden können, wiederum eine Versammlung, die nationale Entscheidungen treffen kann. Vor allem sollte es um die Frage gehen, wie die Aufständischen, die sogenannten Taliban, von der afghanischen Regierung und dem afghanischen Präsidenten Hamid Karsai so eingebunden werden können, dass Frieden möglich wird. Doch die Konferenz wird heute nicht stattfinden, sie ist verschoben worden. Was das bedeutet, kann uns Almut Wieland-Karimi sagen. Sie leitet das Zentrum für internationale Friedenseinsätze in Berlin und war Leiterin des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kabul. Guten Morgen, Frau Wieland-Karimi!

    Almut Wieland-Karimi: Schönen guten Morgen!

    Herter: Glauben Sie, dass die große Friedensversammlung in Gefahr geraten ist oder dass sie verzögert stattfinden wird?

    Wieland-Karimi: Ich gehe davon aus, dass sie verzögert stattfindet, und natürlich ist es sehr schwierig, in einer solchen Situation, wo halt die Sicherheit nicht gewährleistet ist, Abgesandte aus allen Teilen des Landes, aus allen Teilen Afghanistans zusammenzubringen. Insofern ist das tatsächlich ein sehr aufwendiger Prozess. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass die afghanische Regierung mit allen Mitteln versuchen wird, diese Konferenz tatsächlich durchzuführen, weil sie die unbedingt braucht, um die Zustimmung der Bevölkerung für die Friedensverhandlungen zu bekommen.

    Herter: Wenn in Deutschland von Taliban die Rede ist, so denken wir natürlich an Anschläge, gerade auf Bundeswehrsoldaten, zum Beispiel in Kundus. Ist es tatsächlich möglich, einen Teil der Aufständischen, die auch für diese Anschläge verantwortlich sind, einzubinden?

    Wieland-Karimi: Hinter diesem Wort Aufständische verbergen sich ja recht unterschiedliche Gruppen. Es sind zum einen die Taliban, die eben in den 90er-Jahren sozusagen auf dem Bildschirm aufgetaucht sind, in Pakistan ausgebildet wurden, zum Teil auch mit westlicher Unterstützung. Es gibt aber auch andere Gruppen wie die Hezb-e Eslami unter einem ehemaligen Warlord, Gulbuddin Hekmatyar. Es gibt aber auch viele andere islamistische gewaltbereite Kämpfer, die aus Tschetschenien, Pakistan, aus arabischen Ländern und so weiter kommen. Das heißt, hier handelt es sich nicht um eine homogene Gruppe, sondern sehr unterschiedliche Stränge. Insofern wird es die Herausforderung sein zu versuchen, mit möglichst vielen von denen ins Gespräch zu kommen zunächst einmal.

    Herter: Damit die an der Macht teilhaben können. Wäre das das Ziel und eine Voraussetzung für Frieden in Afghanistan?

    Wieland-Karimi: Sicherlich wäre die wünschenswertere Alternative, dass man mit den gewaltbereiten Gruppen, die eben auch den Friedensprozess so nicht unterstützen, nicht verhandeln müsste, indem man sie anders besiegen könnte, allerdings ist die Frage, wie optimistisch wir ob eines solchen Szenarios sein können. Deshalb ist es halt wichtig, nun auch in Verhandlungen einzusteigen. Und wenn es Verhandlungen gibt, dann heißt das auch, dass sie in der ein oder anderen Form in die Regierung eingebunden werden würden.

    Herter: Wie groß müssten die Zugeständnisse sein?

    Wieland-Karimi: Das ist eine sehr schwierige Frage, denn zunächst müsste man ja auch die Frage noch einmal umdrehen: Sind eigentlich diese aufständischen Gruppen überhaupt bereit, mit der afghanischen Regierung zu verhandeln?, denn sie fühlen sich schon auf der Siegerstraße im Moment, und die Sicherheitssituation ist nun auch so labil, dass sie halt mit vielen sogenannten IEDs, also mit diesen kleinen Explosionen am Straßenrand, dass sie tatsächlich Unmengen von Menschen töten können, also Zivilbevölkerung, Soldaten, afghanische Polizei vor allen Dingen. Das heißt, es sieht gar nicht so aus, als könnte man sie besiegen. Insofern ist die Frage, werden sie eigentlich mit der afghanischen Regierungen verhandeln, und erst in diesen Verhandlungen wird dann herauskommen, wie die Zugeständnisse der afghanischen Regierungsseite aussehen müssen. Sicherlich wird die afghanische Regierung darauf bestehen, dass sie zum einen die afghanische Verfassung anerkennen, zum anderen aber ihre Waffen niederlagen, also dass die Kampfhandlungen aufhören.

    Herter: Ist denn auf der anderen Seite der afghanische Präsident Hamid Karsai dazu bereit, Macht abzugeben?

    Wieland-Karimi: Ich glaube, er hat gar keine andere Alternative. Also er muss ja auch sozusagen sein eigenes Überleben retten, und das wird er nicht retten können, wenn die andere Seite, also diejenigen, die seine Regierung nicht unterstützen und auch gegen den Friedensprozess sind, immer stärker werden, auch militärisch immer stärker werden. Insofern gibt es, glaube ich, für ihn eher die Alternative Machtteilung oder gar keine Macht mehr, und insofern wird er sich wohl für das Erstere entscheiden.

    Herter: Sie hören den Deutschlandfunk, die "Informationen am Morgen". Almut Wieland-Karimi, Leiterin des Zentrums für internationale Friedenseinsätze über Afghanistan, wo sie lange gelebt hat. Frau Wieland-Karimi, in einem Artikel, den Sie Anfang der Woche in der "Süddeutschen Zeitung" veröffentlicht haben, unterstützen Sie Karsais Bemühungen um mehr afghanische Eigenverantwortung. Glauben Sie, dass die internationale Gemeinschaft tatsächlich dazu bereit ist, Afghanistan, den Afghanen mehr Verantwortung zu übergeben?

    Wieland-Karimi: Auch hier stellt sich die Frage, was wir eigentlich für eine Alternative haben. Also diese Eigenverantwortung, die wird ja in allen internationalen Abkommen zu Afghanistan eingefordert, zuletzt geschehen in London Anfang des Jahres. Auch dort ist mit ziemlich genauen Meilensteinen verabredet, wann die afghanische Regierung welche Verantwortung zu übernehmen hat, also beim Thema Sicherheitskräfte und auch bei vielen anderen Themen. Das heißt, auf dem Papier steht das schon überall, man sagt das auch immer verbal hinterher, aber es ist immer so ein bisschen die Gefahr, wenn die afghanische Regierung eine Initiative tatsächlich in die Hand nimmt, dass dann natürlich die Internationalen auch immer mitsprechen wollen. Ich glaube aber, dass man tatsächlich, wenn man diesem Prozess überhaupt eine Chance geben will, diesen Prozess einfach afghanisieren muss. Und insofern glaube ich, dass wir gar nicht so viele Alternativen haben als dazu, diese Initiative tatsächlich der afghanischen Regierung und Hamid Karsai so zu überlassen – die Friedensversammlung einzuberufen und dann eben in weitere Friedensverhandlungen einzusteigen.

    Herter: Außerdem fordern Sie, dass wir mehr Geduld aufbringen sollen, noch mehr Geduld. Es sind schon viele Jahre vergangen.

    Wieland-Karimi: Ja, wir hatten eine andere Ausgangssituation. Also 2001 standen wir ja vor einem großen Thema, einen Staat, um den wir uns lange nicht mehr gekümmert hatten nach dem Ost-West-Konflikt, den wir praktisch seinem eigenen Schicksal überlassen hatten, wir uns auf einmal wieder für ihn interessiert haben nach den Anschlägen von 9/11, da am 11. September. Und dann hatten wir zunächst die Herausforderung – es gab ein Friedensabkommen – und dann einen Staat wiederaufzubauen, einen gescheiterten Staat. Jetzt allerdings haben wir eine doppelte Herausforderung, nämlich diesen Staat wiederaufzubauen und auch sozusagen ein Friedensabkommen noch mal zu schließen, denn die Taliban haben damals nicht mit am Tisch gesessen in Petersberg. Das heißt, wir haben sozusagen jetzt einen bewaffneten Konflikt oder Krieg in dem Land plus die Herausforderung, diesen Staat wiederaufzubauen. Und dieses funktioniert nicht in neun Jahren, in zehn Jahren, denn es ist tatsächlich eine Generationenaufgabe. Ich glaube, das Wichtigste zurzeit ist eben, erst mal diese Friedensverhandlungen auf den Weg zu schieben.

    Herter: Befürchten Sie, dass es den Truppenstellern wie Deutschland am Ende nur noch darum geht, möglichst schnell aus Afghanistan abzuziehen?

    Wieland-Karimi: Das befürchte ich auf jeden Fall, und auch deshalb glaube ich, haben wir keine Alternative als zu sagen, die Afghanisierung dieses Prozesses, vor allen Dingen einen politischen Prozess in Gang zu setzen und auch zu unterstützen, ist sicherlich die einzige Hoffnungsoption, die es im Moment gibt. Insofern wüsste ich gar nicht, warum wir nicht die afghanischen Initiativen in diesem Bereich, Friedensverhandlungen voranzuführen, unterstützen sollten.

    Herter: Das war Almut Wieland-Karimi, sie leitet das Zentrum für internationale Friedenseinsätze in Berlin und sie hat lange in Kabul gearbeitet. Das Gespräch mit ihr habe ich vor der Sendung geführt.