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Den Idealen treu geblieben

Seine Parteifreunde von der SPD warnte er immer wieder vor den Gefahren einer vermeintlich linken Politik, kritischen Studenten warf er eine Neigung zur Romantik vor: Der Berliner Publizist und Politologe Richard Löwenthal hat hin und wieder zwar seine politischen Meinungen geändert, nicht aber seine Ideale.

Von Claus Menzel | 15.04.2008
    Was war er denn nun? Ein Linker, der unter die Rechten fiel, oder ein Rechter, der sich zeitweilig für einen Linken hielt? Hier begann ja einer in den Reihen der Kommunistischen Partei, weil er sich mit den Ungerechtigkeiten der bürgerlichen Klassengesellschaft nicht abfinden wollte. Und hier endete einer, geschockt von den Verbrechen des Stalinismus, auf dem rechten Flügel der deutschen Sozialdemokratie.

    Kaum zu bestreiten jedenfalls, dass der Berliner Politologe und Publizist Richard Löwenthal, geboren am 15. April 1908, zu jenen Intellektuellen gehört, deren Biografie auf beispielhafte Weise von den Irrungen und Wirrungen der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert zeugt.

    Gerade mal zehn Jahre war dieser Spross einer jüdischen Kaufmannsfamilie alt, als sich das Reich der Hohenzollern beim Griff nach der Weltmacht gehörig die Finger verbrannt hatte und das deutsche Bürgertum sein tradiertes Selbstverständnis verlor. Warum Richard Löwenthal wie so viele seiner Alters- und Standesgenossen damals das Heil im Kommunismus sah, hat er selbst am besten erklärt, als er den Intellektuellen die Aufgabe zuwies, gesellschaftliche Entwicklungen zu deuten.

    "Darin liegt schon, dass der Anspruch des Intellektuellen seiner Natur nach ein kritischer ist und dass sein Träger vor allem für die Krisenelemente empfindlich ist, die aus Widersprüchen zwischen den tragenden Werten einer Kultur und der gesellschaftlichen Wirklichkeit entspringen. Solange solche Widersprüche als ein graduelles Zurückbleiben der Entwicklung hinter ihren Möglichkeiten erscheinen, wird der kritische Intellektuelle auf seinem jeweiligen Gebiet zum Motor einer vorwärts treibenden Reform.

    Wenn er aber den Widerspruch zwischen Werten und Wirklichkeit als total und entsprechend seine gesellschaftliche Umwelt als sinnlos empfindet, so sucht er den Ausweg in einer vorgestellten totalen Umwälzung."

    Tatsächlich wurde Richard Löwenthal als Student der Soziologie und Volkswirtschaft Mitglied und dann sogar Chef einer kommunistischen Hochschulorganisation. Lange hielt es ihn dort freilich nicht: Weil die KP in der Endzeit der Weimarer Republik zeitweilig heftiger gegen die SPD polemisierte als gegen die Nazis, verließ er die Partei und schloss sich der linkssozialistischen Gruppe "Neu Beginnen" an, die aus der Spaltung der deutschen Arbeiterklasse ideologisch Konsequenzen zu ziehen versuchte. 1935, längst herrschte in Deutschland Adolf Hitler, flüchtete Richard Löwenthal erst nach Prag und schließlich nach London.

    Hier, in Winston Churchills Großbritannien, sei er, wie er später berichtete, zum Sozialdemokraten geworden. Den Reformismus der britischen Labour-Party hielt er jetzt, wie er in seinem Buch "Jenseits des Kapitalismus" schrieb, für erfolgreicher als das Beharren auf Klassenkampf und Revolution. Er bekam einen britischen Pass, arbeitete für die Zeitung "Observer" und kehrte erst 1961 nach Berlin zurück – nun Politik-Ordinarius am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität.

    Mit den revoltierenden Studenten des Jahres 68 konnte Richard Löwenthal denn auch wenig anfangen: Ihnen begegnete er mit dem empörten und zuweilen melancholischen Unverständnis des Vaters, der nicht sieht, dass die Söhne ihre eigenen Erfahrungen machen müssen und wollen. Immer wieder jedenfalls warnte er sie vor den Versuchungen, denen sich der kritische Intellektuelle ausgesetzt sieht.

    "Er flieht aus dem unerträglichen moralischen Konflikt in die Utopie einer konfliktlosen Ordnung, zu deren Verwirklichung alle Mittel erlaubt erscheinen. Und dabei geschieht es dann nicht selten, dass der Intellektuelle, um seiner neu gefundenen, diesseitigen Heilslehre willen, gerade die Werte preisgibt oder verrät, von denen er bei der Kritik der Wirklichkeit ausgegangen war.

    So ist nicht zufällig allen modernen Revolutionen ein Abfall der Intellektuellen vom alten System vorausgegangen. Und in diesen Revolutionen sind Intellektuelle die typischen Träger des spezifisch utopischen Elements, die im Zuge der Konsolidierung des neuen Regimes entmachtet werden."

    Anders als viele seiner ehemaligen Genossen hat Richard Löwenthal die Ideale, die ihn einst zu einem Linken machten, nie aufgegeben. Entschlossen unterstützte er etwa die Ostpolitik, mit der sein Freund Willy Brandt die Folgen der deutschen Teilung erträglicher machen wollte. Und ebenso entschieden wandte er sich gegen Versuche konservativer Hochschullehrer, die alte Ordinarien-Universität zu restaurieren.

    Und als er kurz vor seinem Tod im August 1991 nach seiner Heimat gefragt wurde, zögerte er keinen Augenblick: Das, meinte er, war stets die deutsche Arbeiterbewegung.