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Den Volkskrankheiten auf der Spur

Medizin.- Die Abkürzung "SHIP" steht für "Study of Health in Pomerania". Dahinter verbirgt sich die größte Bevölkerungsstudie weltweit. Durchgeführt wird sie an der Universität Greifswald. Die Forscher wollen den Gesundheitszustand der Bevölkerung genau erfassen und herausfinden, wie typische Volkskrankheiten entstehen.

Von Melanie Last | 05.12.2011
    "Okay Herr Hannemann, ich schau mir jetzt die Leber an mit Ultraschall. Da möchte ich gern wissen, wie groß ihre Leber ist, ob es Hinweise auf eine Fettleber gibt und ob in der Gallenblase ein Gallenstein ist."

    "Ja."

    "Könnten Sie bitte mal tief Luft holen und dann anhalten? Okay, Dankeschön."

    Hanka Wallaschofski ist die ärztliche Leiterin im SHIP-Untersuchungszentrum der Greifswalder Uni. Mit dem Ultraschallgerät fährt sie behutsam über den Bauch ihres Probanden. Auf einem Bildschirm sieht sie seine inneren Organe. Die Leber des 80-jährigen Mannes misst sie genau aus.

    "So, wenn Sie mal gucken möchten: Die Leber ist ein bisschen vergrößert. Und hier gibt es so einen Helligkeitsunterschied zwischen Leber und Niere. Und das sind im Ultraschall Hinweiszeichen auf eine Fettleber."

    Und genau die ist früher nur als bedeutungsloser Nebenbefund bei Diabetes-Patienten diagnostiziert worden. Die Auswertung der SHIP-Daten hat aber gezeigt: Die Fettleber kann auch Ursache sein. Sprich: die Zuckerkrankheit überhaupt erst auslösen.

    "Muss man natürlich auch noch mal auf die Blutwerte gucken, aber so vom Ultraschallbild her sieht es so aus."

    "Und das ist nicht gut, nicht? Weniger essen oder was, wie kann man dazu beitragen?"

    "Die häufigsten Ursachen sind schon auch Übergewicht, Ernährung, erhöhte Blutfettwerte, Cholesterin, Triglyceride, wenn die erhöht sind. Aber auch ein hoher Blutdruck macht eine Fettleber, Medikamente oder eine Zuckerkrankheit."

    "Zuckerkrank, kenn ich eigentlich gar nicht, hat mir noch keiner gesagt."

    Die Greifswalder Wissenschaftler haben diesen Zusammenhang zwischen Fettleber und Diabetes nur entdecken können, weil sie – anders als andere Forschungsgruppen weltweit – wirklich alle Organe – Niere, Herz, Leber, Schilddrüse – genau durchleuchten, sogar mit einem Ganzkörper-MRT. Der Leiter der Greifswalder SHIP-Studie, Professor Henry Völzke.

    "In diesem Wissenschaftsbereich können wir sehr gut mit SHIP-Daten beitragen, weil wir eine von sehr wenigen Studien sind, die bereits vor 13 Jahren den Ultraschall der Leber in den Studiengang mit eingebracht haben. Die meisten anderen größeren Studien stützen ihre Arbeiten allein auf Laborwerte. Aber unserer Auffassung nach reicht das nicht. Wir brauchen Ultraschalldaten und in den aktuellen Datenerhebungen werden sogar Informationen aus dem MRT hinzugeführt und das bringt uns in eine Spitzenposition in diesem Wissenschaftszweig weltweit."

    Die erste SHIP-Untersuchungsreihe haben die Greifswalder Forscher vor 14 Jahren gestartet. Mittlerweile sind sie beim dritten Durchlauf. Nur so können sie anhand der Daten sehen, wie sich Krankheit und Gesundheit über Jahre entwickeln. Siegfried Hannemann ist einer der zufällig ausgewählten Probanden. Der Rentner lebt in einem kleinen Dorf bei Stralsund. Zum dritten Mal ist er jetzt im SHIP-Untersuchungszentrum in Greifswald, füllt nach der Leber-Sonografie einen Fragebogen aus.

    "Das sind mehrere Seiten. Fragen zu Gesundheit und Alltagsleben. Ich bin jetzt hier bei den Fragen zur Mobilität. Da geht es darum, ob ich Fahrrad fahre, Moped, Mofa oder sonst dergleichen, Gehhilfen, ja das brauche ich alles nicht.... So das war wohl die letzte Seite."

    Und schon geht der 80-Jährige zur nächsten Kontrolle: Schilddrüse, Halsschlagader. Einen ganzen Tag muss er für die zahlreichen Untersuchungen von Kopf bis Fuß, über Haut, Zähne, Organe und Blut einplanen, sagt Professor Henry Völzke, Facharzt für Innere Medizin.

    "Wenn wir uns nur auf eine Erkrankung konzentrieren würden, wie die Herz-Kreislauferkrankung, dann würden wir viele Zusammenhänge zwischen den Folgen des Übergewichts hin zur Pathogenese, hin zur Entstehung anderer Erkrankungen gar nicht entdecken. Und das ist so eine Herausforderung, dass wir möglichst viel, ja möglichst alle häufige Erkrankungen, die in einer Bevölkerung auftreten können, in eine Studie hineinbringen. Dadurch entsteht natürlich das umfangreiche Untersuchungsprogramm."

    Viele Millionen Daten haben die Greifswalder Wissenschaftler schon gesammelt und statistisch ausgewertet. Erste Vermutungen, wie den Zusammenhang zwischen Fettleber und Diabetes, konnten sie auf diese Weise belegen. Und so wundert es nicht, dass sich unterdessen zahlreiche europäische Forschungsgruppen auf die Greifswalder Ergebnisse berufen.

    "Wir haben sehr enge Zusammenarbeit mit Konsortien, die sich mit genetischen Veränderungen beschäftigen. Und dann haben wir einige Konsortien, die wir auch selbst führen, zum Beispiel zur Assoziation zwischen Schilddrüsenveränderungen und Herzkreislauferkrankungen. Wir sind an Konsortien beteiligt, die sich mit der Epidemiologie von Zahnerkrankungen beschäftigen."

    Siegfried Hannemann hat es gleich geschafft: sein heutiger Untersuchungsmarathon ist beendet – aber nicht ohne ein paar ärztliche Ratschläge zu seiner diagnostizierten Fettleber.

    "Die meisten Patienten können es schaffen, durch eine Risikoreduktion die Fettleber zu beseitigen oder zu verbessern und damit das Risiko für Diabetes verbessern. Das heißt Gewicht abnehmen, gesunde Ernährung und den Alkoholkonsum reduzieren."

    "Also ich muss sagen, ich turne gerne und ich gehe auch gern spazieren. Aber meine Frau macht immer schön Frühstück und Mittag. Und da wird es schwierig bei mir, da muss man sich dran gewöhnen, man muss weniger essen. Vielleicht schaffe ich das demnächst noch."