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Wolfram Eilenberger: "Feuer der Freiheit"
Denken in finsteren Zeiten

Nach den vier Philosophen seines Bestsellers "Zeit der Zauberer" nun vier Philosophinnen: Die Jahre 1933 bis 1943 markieren das schwärzeste Kapitel der europäischen Moderne. Wolfram Eilenberger lässt in seinem neuen Buch vier Denkerinnen auftreten, die in dieser Zeit visionäre Ideen entwickelten.

Von Angela Gutzeit | 08.11.2020
Der Autor und Philosoph Wolfram Eilenberger hat den Kopf auf die linke Hand gestützt und schaut nachdenklich schmunzelnd in die Höhe.
Wolfram Eilenberger, Autor des neuen philosophischen Erfolgsbuchs: „Feuer der Freiheit“ (Ostkreuz / Annette Hauschild)
Vier wirkmächtige Denker im Licht der sich verdunkelnden Weimarer Republik: Martin Heidegger, Ernst Cassirer, Walter Benjamin und Ludwig Wittgenstein. So sah die Besetzung von Wolfram Eilenbergers zu Recht gerühmtem Buch "Zeit der Zauberer" aus. Eine Auswahl, die auf den ersten Blick recht willkürlich wirkte. Mit Spannung konnte man jedoch verfolgen, wie der Autor seine Protagonisten auf der Bühne der dramatisch zerrissenen zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts zueinander in Stellung brachte. In einer geschickten Inszenierung verknüpfte er philosophische Ideen- und Werkgeschichte mit den jeweiligen Biografien, die er als philosophische Existenzformen in einer politisch instabilen Zeit markierte.
Nach diesem Prinzip funktioniert nun auch Eilenbergers neues Buch "Feuer der Freiheit". Zeitlich gesehen schließt es an das Vorgänger-Buch an: 1933 bis 1943. Nun aber sind es vier Philosophinnen, deren Werk und Leben der Autor ineinander verschachtelt: Simone de Beauvoir, Hannah Arendt, Simone Weil und Ayn Rand. Was Auswahl und Zeitrahmen angeht, stellen sich gleich mehrere Fragen: Warum gerade diese vier Frauen, die von Herkunft, Nationalität, Milieu, philosophischem Denken und Rezeptionsgeschichte völlig unterschiedlich einzuordnen sind? Außerdem warum die zeitliche Zäsur bei 1943? Und schließlich: Warum überhaupt diese Geschlechtertrennung?
Philosophieren im freien Flug
Wolfram Eilenberger ist ein geschickter Netzwerker. Die Antworten auf diese naheliegenden Fragen gibt er durchweg implizit - durch Verknüpfung, Spiegelung, Konfrontation. Sein Buch beginnt mit dem Jahr 1943, um dann in der Rückschau ab 1933 Werdegang und Entwicklung der vier Denkerinnen zu entfalten und schließlich in einer Kreisbewegung wieder zum Jahr 1943 zu rückzuführen. 1933 sind in Deutschland die Würfel zugunsten von Diktatur und Terror gefallen. 1943 haben Krieg und Totalitarismus in Europa ihren Höhepunkt erreicht. Was in dieser Zeitspanne passiert, erzwingt Antworten existentieller Art. Für Hannah Arendt, Simone Weil und Ayn Rand als Jüdinnen geht es dabei nicht nur um die Sicherung des eigenen Lebens und den Verlust der Heimat. Für diese Denkerinnen, auch für die vom politischen Geschehen zunächst noch ungerührte Simone de Beauvoir, steht nach ihrem eigenen Selbstverständnis alles auf dem Spiel: die Zivilisation, das europäische Erbe, das gesellschaftliche Miteinander, die individuelle Existenzweise, gekoppelt an die Frage, wie unter diesen Bedingungen Liebe, Leben und Denken miteinander verbunden werden können. Für die Frauen ist es, wie Eilenberger sie darstellt, ein Philosophieren im freien Flug. Ein "Denken ohne Geländer" wie es bei Arendt so treffend heißt. Philosophieren ohne akademische Einbindung, ohne materielle Absicherung. Im Falle der sozialrevolutionären Mystikerin Simone Weil geht das bis zur Selbstauslöschung. 1943 stirbt sie an Krankheit und Erschöpfung, genau in dem Jahr, so stellt es Eilenberger dar, als die anderen drei zu ihrer eigenen Position in der Philosophie gefunden haben.
Die Frage nach dem Sinn des Seins
"Warum überhaupt etwas tun und vielmehr nichts?" Diesen Satz lässt der Autor in seinem ersten Kapitel Simone de Beauvoir denken. Eilenberger bevorzugt die Form des erzählenden Sachbuchs, wobei er mal einen distanzierten Standpunkt einnimmt, mal mit seiner porträtierten Figur geradezu verschmilzt. Das hat durchaus Charme und liest sich sehr gut, auch wenn er es mit der Anverwandlung manches Mal übertreibt.
Simone de Beauvoir sitzt also 1943 in einem Pariser Café, beobachtet die Passanten und denkt diesen Satz, der sich in leicht abgewandelter Form, aber erkennbar auf Martin Heidegger bezieht. Mit der Frage nach dem Sinn des Seins stellte Heidegger eine Schlüsselfrage der Philosophie im 20. Jahrhundert. Damit ist der Ton angeschlagen und nebenbei auch noch die Verbindung zum "Zauberer"-Buch geknüpft. Der Satz bildet den Auftakt zu den Denkmodellen aller vier Philosophinnen. Überlegungen, die einer gemeinsamen Wurzel entstammen, sich aber dann auf unterschiedliche Weise verzweigen. Auf Simone de Beauvoir 1943 angewendet, klingt das bei Eilenberger so:
"Welches ist des Menschen Maß? Welche Ziele kann er sich setzen, und welche Hoffnung darf er hegen? (…) Das einzige Sein, das (..) zählte, war das Sein dieser Welt. Die einzig tragenden Werte waren diesseitige Werte. Ihr einzig tragender Ursprung der Wille eines freien Subjekts zum Ergreifen seiner Freiheit. Das war es, was es eigentlich hieß, als Mensch zu existieren. Exakt auf diese Form des Existierens, auf deren Vernichtung und Auslöschung, hatten es Hitler und die Seinen abgesehen. (…) Soweit sie sah, wäre das Maß genuin menschlichen Handelns demnach durch zwei Extreme von innen heraus begrenzt: zum einen durch das Extrem totalitärer Übergriffigkeit, zum anderen durch dasjenige absolut asozialer Selbstbescheidung. (…) Deshalb hatten sich auf dieser Basis auch die Ziele moralischen Engagements zwischen nur zwei Extremen zu halten: dem des selbstentleerten und notwendig ungerichteten Mitleids für alle anderen leidenden Menschen auf der einen und der ausschließlichen Sorge für rein private Belange auf der anderen Seite."
Bereits mit 19 Jahren, so ist bei Eilenberger zu lesen, habe Beauvoir den Gegensatz zwischen "dem Selbst und den anderen" als die sie eigentlich treibende Fragestellung erkannt. Dabei stand zunächst die Selbstbezüglichkeit als Programm im Vordergrund. Ihr Berlinaufenthalt im Zeichen des Nationalsozialismus im Jahr 1934 ließ sie politisch zunächst noch eigenartig unberührt. Freiheit - ein Begriff, den sie zuvörderst auf die eigene Lebensform anwendete, das heißt, auf den "Liebespakt" mit Jean-Paul Sartre als "bruchfreie Identität des Wir" im Zeichen "sich wechselseitig zugestandener, auch sexueller Freiheit". Daraus abgeleitet ein Philosophieren "als biografisch grundierte Halbfiktion". "Der entscheidende ethische Schritt von der Sorge für das Selbst zur Sorge für den anderen, so schreibt Eilenberger; "er fiel Beauvoirs Gemüt ohne Zweifel schwerer als anderen." Dem Liebespakt mit Sartre, der sich bald zur "Lebensform polyamouröser Bisexualität" ausweitete, das heißt, Studierende und Verehrer männlichen wie weiblichen Geschlechts miteinbezog, gibt der Autor viel Raum. Das ist plausibel. Entlang dieser Lebensform lässt sich eine Entwicklung skizzieren, die Beauvoir angesichts der politischen Entwicklungen zu einem radikal anderen Freiheitsbegriff führte, damit auch zur Infragestellung des selbstbezüglichen Philosophierens im Zweierbund mit Sartre. Auslöser dafür waren der Einmarsch der Wehrmacht in Paris, der Bürgerkrieg in Spanien, aber auch Beauvoirs Lektüre Hegels und Heideggers, wie Eilenberger schreibt:
"Fern davon, eine schlichte Synthese aus Hegel und Heidegger anzustreben, eignet Beauvoir sich bestimmende Motive deren Denkens an und kreiert vor dem Hintergrund ihrer jahrelangen Lektüren und Diskussionen (mit Sartre) eine neuartige Freiheitsphilosophie wechselseitiger existentieller Anerkennung. (…) Niemand ist eine Insel. Niemand kann nur für sich frei sein. Vielmehr liegt die wahre Voraussetzung meiner Freiheit in der Freiheit des anderen Bewusstseins ja, konsequent weitergedacht, in der freien Anerkennung aller anderen Bewusstseine."
Der daraus folgende Entschluss zum politischen Eingreifen, das heißt, zum Widerstandskampf, bleibt im Ansatz stecken. Aber Beauvoirs neuer Freiheitsbegriff, den sie als "metaphysische Solidarität" bezeichnete, ein Denken, sich im Angesicht des anderen stets neu zu finden und zu erfinden, fand seine literarische Form in ihrem Roman "Sie kam und blieb", der ihr 1943 den Durchbruch als philosophische Schriftstellerin bescherte.
Buchcover: Wolfram Eilenberger: „Feuer der Freiheit", im Hintergrund eine Ansicht auf Paris um 1900
Buchcover: Wolfram Eilenberger: „Feuer der Freiheit", im Hintergrund eine Ansicht auf Paris um 1900 (Hintergrund: imago / The Holbarn Archive Leemage, Buchcover: Klett-Cotta Verlag)
Das Unheil von Krieg und Gleichschaltung
1943 war dann auch das Jahr, in dem die Französin Simone Weil sich für radikal neue Wege entschied.
"Es dürfte in der Geschichte der Menschheit wenige Individuen gegeben haben, die in der Spanne von knapp vier Monaten geistig produktiver waren als die philosophische Widerstandskämpferin Simone Weil in diesem Londoner Winter des Jahres 1943."
Eilenberger spielt hier insbesondere auf Simone Weils "Cahiers", ihre Denktagebücher an, die in deutscher Übersetzung in den 90er Jahren in einer vierbändigen Ausgabe erschienen. Dieser Denkerin ein Portrait zu widmen und sie in spannungsvolle Beziehung zu den anderen Protagonistinnen seines Buches zu setzen, ist ein besonders gelungener Wurf. Und der Respekt des Autors vor dieser Frau unüberhörbar.
Es lohnt sich, einen kurzen Abriss der Biographie dieser Philosophin zu skizzieren: 1909 in Paris geboren, war Weil zunächst als Lehrerin und Gewerkschaftsaktivistin tätig. Zu Beginn sozialistisch orientiert, bereiste sie im ersten Jahr der Naziherrschaft Berlin - ähnlich wie Beauvoir. Hellsichtiger als diese erkannte sie sofort das Dilemma der dortigen Linken, ihre Gespaltenheit und die Schuld der KPD, sich einer einheitlichen Front gegen Hitler zu verweigern. Sie intensiviert fortan ihr politisches Engagement in der Flüchtlingshilfe, in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit und als Publizistin. Sie bietet Leo Trotzki nach seiner Flucht vor dem stalinistischen Terror Unterschlupf in der Pariser Wohnung ihrer Eltern und setzt sich fortan kritisch mit dem Marxismus auseinander. Dabei prangert sie, wiederum sehr hellsichtig, unter anderem dessen Wachstumsglauben und die damit notwendig verbundene Ausbeutung der Natur an. 1934 legt sie, wie sie es selbst nannte, ihr "Vermächtnis" nieder unter dem Titel "Reflexionen über die Ursachen der Freiheit und sozialen Unterdrückung". Mit gerade einmal 25 Jahren! Weil geht es um die Grundlegung einer wahrhaft freien Arbeitsgesellschaft von selbstbestimmten Individuen. In ihrer vollständigen Opferidentifikation, wie Eilenberger schreibt, setzt sie sich für mehrere Monate dem mörderischen Takt der Fabrikarbeit wie kurz danach auch dem gnadenlosen Gemetzel des Spanischen Bürgerkriegs aus. Beides bringt sie fast um. Als Resultat entstehen Schriften, in denen sie sich mit der Entmenschlichung in Kriegen beschäftigt, verbunden mit einer philosophischen Sprachkritik. Vor allen Dingen widmet sie sich, und das ist im Kontext des Buches besonders interessant, dem Unheil der Kollektivierung und dem Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft. Simone Weil grenzt sich dabei klar vom Existentialismus Beauvoir’scher Prägung ab, wenn sie seinen "Ich-Erhalt" als einen diesseitig ausgerichteten Egoismus kritisiert. Aus der von ihr konstatierten Machtlosigkeit des Individuums angesichts des Terrors und der – ganz im heideggerschen Tenor – fortlaufenden Verdunkelung des abendländischen Traditionsgeschehens, zieht Weil den Schluss, wahre Freiheit sei nicht mehr auf Erden und im menschlichen Miteinander zu finden, sondern nur noch in der göttlichen Gnade.
"Wo Beauvoir die Freiheit des Ich im Sinne einer ‚metaphysischen Solidarität‘ an die Existenz anderer knüpft, bewertet Weil auch diese Bewegung als nur eine weitere Flucht. Das wahrhaft befreiende Ziel lautet nicht solidarische Hingabe an andere, sondern gnadenvolle Selbstaufgabe im Zeichen göttlicher Transzendenz."
In geradezu extremistischer Radikalität wendet sich die Jüdin Weil dem Christentum zu, ohne mit der römischen Kirche etwas zu tun haben zu wollen. Ein Reflex auf die monströse Brutalität des faschistischen Terrors wie des tragischen Scheiterns des Sozialismus, der ihrer Meinung nach ohne Transzendenz dem Anspruch auf Würde, Gerechtigkeit und Solidarität nicht nachkommen könne. Weil strebte schließlich eine "Ethik einer vollends bereinigten ‚höheren‘ Gleichgültigkeit" an, schreibt Eilenberger, in geistiger Verwandtschaft mit Spinoza und Wittgenstein.
Das Ich im Zentrum
Der Seinserfahrung Simone Weils, die in Selbstaufgabe mündete, diametral entgegensetzt, aber zumindest im radikalen Denken ähnlich, ist die gebürtige Russin Alissa Rosenbaum, die 1926 vor dem Stalinismus in die USA floh und sich fortan Ayn Rand nannte. Der Vorname Ayn spielt, wie sie selbst erklärte, auf das persönliche Fürwort "I", also "Ich" an. Und damit ist das Programm dieser äußerst willensstarken Denkerin bereits auf den Punkt gebracht.
"In einer Zeit, in der sich Menschen in ihren Werturteilen und Lebensprämissen maßgeblich nach anderen Menschen richten, hat das heilige Wort "Ich" jede tragende Funktion eingebüßt: ästhetisch, moralisch, politisch. Vor diesem Hintergrund führt nur ein Weg aus der Höhle: Die Rückeroberung des "Ich" mittels einer radikalen Negation der Relevanz anderer, aller anderen Menschen."
Das Portrait der Jüdin Ayn Rand in diesem Buch passt hervorragend zur Trump-Ära und zur rücksichtslosen "America-first"-Strategie des derzeitigen US-Präsidenten. Ein bisschen beschleicht einen das Gefühl, Wolfram Eilenbergers Entscheidung, diese radikale Verfechterin des unverblümten Elitismus und Libertären in sein Buch aufzunehmen, zielt genau auf diese Konvergenz. Wie Eilenberger schreibt, hatte Rand Einfluss auf die spätere Gründung der Tea-Party. Rand gilt in den USA bis heute als eine der wirkmächtigen Apologetinnen des entfesselten Kapitalismus. In ihrem Roman "The Fountainhead" schuf sie mit dem Protagonisten Howard Roark eine Art nietzscheanischen Übermenschen, einen "Antipoden zum christlichen Erlöser", so der Autor, der sich im Kampf zwischen Autonomie und Fremdbestimmung, zwischen Fortschritt und Verfall, zwischen Freiheit und Unterdrückung, zwischen Ich und allen den anderen immer nur für das eigene "wollende" Selbst ausspricht. Damit verbunden plädierte Rand folgerichtig auch gegen einen Kriegseintritt der USA gegen den Faschismus. Der ideologische Kampf für eine offene Gesellschaft sei an der Heimatfront zu führen, nicht außerhalb. Ayn Rands Roman wurde ab 1943 in den USA zum Millionenerfolg und zum Kultbuch.
Ayn Rands "Denktagebuch" wie aber vor allen Dingen ihre Romane beinhalten ein philosophisches Programm und verfolgen dessen Ausformulierung mit radikaler Unbeirrbarkeit. Wie bei den anderen Protagonistinnen auch stellt sie zeitgleich Fragen zum Verhältnis von Ich und Gemeinschaft, zur Wahrung der Würde des Menschen, zum Sein in Zeiten des Totalitarismus. Für ihren Mut, als Frau, Denkerin und Jüdin kompromisslos ihren Weg zu gehen, muss man ihr fraglos Respekt zollen. Insofern passt sie durchaus in dieses weibliche philosophische Quartett. Trotzdem wirkt Rand insbesondere im Vergleich zur Vierten im Bunde, Hannah Arendt, nicht so recht ebenbürtig. Vielleicht spielt dabei eine Rolle, dass Rand in erster Linie Roman- und Theaterautorin war. Romane hat zwar Beauvoir auch geschrieben, aber man hat bei der Lektüre von Eilenbergers Buch bereits ihr zentrales feministisch-philosophisches Werk "Das andere Geschlecht" im Kopf, das 1949, sechs Jahre nach Eilenbergers selbst gesetzter Zäsur, erschien. Und Hannah Arendt veröffentlichte ihre große politisch-philosophische Studie "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" acht Jahre später, 1951. Bedeutung und Rezeptionsgeschichte dieser Werke immer mitdenkend, nimmt sich die philosophische Relevanz Ayn Rands eher geringer aus.
Die jüdische Tragödie
Hannah Arendt, lebte nach ihrer Flucht aus Europa, "nur einen Steinwurf von Ayn Rands Appartement in Manhattan entfernt", wie Eilenberger schreibt. Der Unterschied in der philosophischen Orientierung aber könnte kaum größer sein. Sehr schlüssig wird im Buch beschrieben, wie konsequent die jüdische Jaspers-Schülerin, die sich allmählich aus Heideggers solipsistisch gedachter Existenzphilosophie herausgearbeitet hatte, ihr Gedankengebäude vor dem Hintergrund des Totalitarismus und der jüdischen Tragödie verfertigte. Bestimmend dabei der Gedanke der Zuwendung zum Anderen als Gegenmodell zur Ich-Bezogenheit.
"Diese Zuwendung war im Idealfall immer als dialogische zu denken und betonte somit die Notwendigkeit eines tatsächlichen Gegenübers, womit sie zugleich dessen gesichtslose Adressierung im Sinne des anonymen ‚man‘, ‚der Öffentlichkeit‘ oder gar ‚der Menschheit‘ ausschloss."
In ihrer Suche nach Antworten auf die sich verfinsternde politische Situation in Deutschland und dem zunehmenden Antisemitismus befragte Arendt, wie übrigens auch Walter Benjamin, der im "Zauberer"-Buch seinen Platz hatte, die Geschichte, vornehmlich das 19. Jahrhundert. Eine bestimmende Schlüsselfigur war dabei für sie die Jüdin Rahel Varnhagen.
"Am Beispiel der Berlinerin Rahel Varnhagen ging sie seit drei Jahren den komplexen Identitätsdynamiken einer deutschen Jüdin und Intellektuellen zur Wende des 18. und 19. Jahrhunderts nach. (…) Exemplarisch für ein ganzes Zeitalter ist Rahels Fall für Arendt auch insofern, als in ihrer Lebenssituation zwei Formen erforderten Muts miteinander kollidierten: der aufklärerische Mut, sich des eigenen Verstandes zu bedienen und sich in diesem Sinne als Vernunftwesen autonom zu bestimmen, sowie der Mut anzuerkennen, dass die Freiheit dieses Selbstentwurfs stets von geschichtlichen wie kulturellen Verhältnissen bedingt bleibt, von denen sich kein Individuum völlig distanzieren kann."
In diesem Spannungsverhältnis schrieb, lebte, liebte und engagierte sich die Philosophin fortan. In Auseinandersetzung mit Rahel Varnhagen schärfte Arendt ihr Verhältnis zum Judentum. Das brachte sie zunächst dem Zionismus als politischer Bewegung nahe. Arendt wurde aber dessen scharfe Kritikerin, als sich Anfang der 40er Jahre mit den Biltmore-Beschlüssen das Modell eines ethnisch-homogenen, jüdischen Nationalstaats herausschälte. Auf dem Höhepunkt der Vernichtung der Juden in Europa intensivierte Arendt ihre Forschungen zu den Ursachen des Antisemitismus und des gleichschaltenden, totalisierenden Denkens. Letzteres klang bereits in ihrer Doktorarbeit zum Liebesbegriff bei Augustinus an. In einem "Ein-Frau-Programm" 1943 in New York betrieb Arendt schließlich konsequent die "Freilegung der Elemente, die zu den Todesfeiern des Totalitarismus" im 20. Jahrhundert geführt haben, so Eilenberger.
Wolfram Eilenbergers "Feuer der Freiheit" ist ein Buch über Frauen, die sich mit ihren philosophischen Theorien freikämpfen mussten aus dem Schatten berühmter Männer, und das in einer Zeit, die ihnen, gelinde gesagt, nicht gewogen war. Sei es, weil Europa nach und nach in Schutt und Asche versank, sei es, weil ihr Judentum sie marginalisierte. Aber gerade diese extremen Zeit- und Lebensumstände haben sie als Herausforderung für ihre philosophische Arbeit begriffen und angenommen. Insofern ist die hervorhebende Würdigung ihres Beitrags zur "Rettung der Philosophie in finsteren Zeiten", wie es im Untertitel des Buches heißt, ein gerechtfertigtes und erhellendes Unterfangen. Wolfram Eilenbergers Buch regt zudem zu weiterführender philosophischer Lektüre an. Was will man mehr?
Wolfram Eilenberger: "Feuer der Freiheit. Die Rettung der Philosophie in finsteren Zeiten (1933 - 1943)"
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart. 396 Seiten, 25 Euro.