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Denken in Zeiten des Kapitalismus

Das freie Denken ist in Gefahr. Es droht kassiert zu werden, und zwar vom Kapitalismus. Dies war die Grunddiagnose des vor drei Jahren auch in deutsch erschienenen gleichermaßen Kapitalismus- wie globalisierungskritischen Kultbuches "Empire" von Antonio Negri und Michael Hardt. Das Buch machte Furore, auch wenn es seinen Lesern auf ein Denken und Leben jenseits des kapitalistischen Globalzusammenhangs keine Hoffnung machen konnte.

Von Kersten Knipp | 25.08.2005
    "Es gibt nichts", schreiben Hardt und Negri, ",kein nacktes Leben, keinen externen Standpunkt, der sich außerhalb des monetären Raums gestalten ließe; dem Geld entgeht nichts. (...) Die großen Industrie- und Finanzmächte produzieren nicht nur Waren, sondern auch Subjektivitäten. Sie produzieren Agenzien innerhalb des biopolitischen Zusammenhangs: Bedürfnisse, soziale Verhältnisse, Körper und Intellekte - sie produzieren mithin Produzenten." Die Lage scheint ausweglos: Du denkst nicht, du wirst gedacht. Nach den von den Lebenswissenschaften ins Spiel gebrachten neuronalen Netzwerken ist es nun der globale Verwertungszusammenhang, der den Menschen entmündigt. Man denkt den Vorgaben des Geldes nach. Muss das zwangsläufig so sein?

    Soeben hat der österreichische Publizist Robert Misik ein Werk vorgelegt, das sich mit dieser Frage eingehend auseinandersetzt und zum gleichen Ergebnis wie Hardt und Negri kommt. "Die deregulierten Märkte", schreibt Misik, "verlangen vom Einzelnen ein Höchstmaß an reguliertem Verhalten, ja strikt regulierte Gefühle. Dieses System produziert die Wünsche nach einer sinnvollen Existenz und kolonisiert das Leben gleichzeitig bis in seine Poren hinein."

    Und doch setzt Misik auf Einspruch - zunächst den Einspruch der Masse. Gleich zu Eingang seines Buches erinnert er an die Protestmärsche von Genua, Davos, Prag, Göteborg, die vor einigen Jahren den Auftakt zu dem setzten, was man dann - sicher nicht ganz zutreffend - als "Antiglobalisierungsbewegung" bezeichnete. Zitat: "SIE können nicht mehr ungestört über UNSER Schicksal bestimmen." Warum er sich auf diese Protestmärsche bezieht, vermag Misik allerdings nicht überzeugend zu erläutern. Denn bewirkt haben sie außerordentlich wenig: Weltbank, Internationaler Währungsfonds und G7, die Lieblingsfeinde der Globalisierungskritiker, wirtschaften weiter wie bisher. Sehr wohl aber haben die Protestmärsche sie im Pantheon der Linken neben den großen Einzelfiguren - von Marx bis Moore - nun endlich auch der "multitude" ihren Platz gesichert. Nun endlich ist sie historisch wirkmächtig geworden, die, Zitat, "Blase aus Konzeptkünstlern, Vernissagen-Publikum und Theorie-Milieu, die Deleuze-Derrida-&-Co-Gemeinde und die Heiner-Müller-Look-a-likes".

    Exakt dies ist das Milieu, dem Misik sich verbunden fühlt. Er mag die Nase rümpfen über den elitären Stil der Truppe, doch sie bleibt sein Forum, Herz und Publikum. Auch dies tut dem Buch nicht gut: Denn diese Klientel bedient Misik so, wie sie es verlangt: durch ein weitläufiges Theorie-Gemisch, das neben Hardt und Negri vor allem auf den slowenischen Philosophen und Psychoanalytiker Slavoj Zizek setzt. Wohin diese Theorie allerdings führen soll, verrät Misik nicht. Und genau macht sein Buch recht deprimierend: Die Hingabe an die Theorie wirkt überzogen, zumal sie oft genug mit völliger Weltvergessenheit gepaart scheint. Worum eigentlich geht es Misik politisch? Man erfährt es nicht. Um alles, muss man vermuten. Und zugleich auch um nichts. Misiks hat ein Buch für alle und jeden geschrieben, ihn treibt der Traum vom großen antikapitalistischen Netzwerk. Dieses umfasst, Zitat: "unorthodoxe Gewerkschaftler, alteingesessene NGOs, philippinische Antiimperialisten, US-amerikanischen Think-Tanks oder brasilianische Landarbeitergruppen". Auch die Zapatisten werden genannt.

    Was mag sie vereinen? Vor allem die Liebe zur großen Geste. "Wir wollen alles!" zitiert Misik einen "der hippsten Slogans der rebellischen Jugend" der 60er, 70er Jahre. Das ist viel, und dazu passt Misiks apologetisches Lob der "großen Assoziationsmaschine" Slavoj Žižek, auch er ein großer Verächter alles Verbindlichen: Hauptsache, es klingt! Klingen muss es, denn nur dann wird es wahrgenommen. Die Botschaft hingegen, so kann man Žižek und Misik gleichermaßen verstehen, spielt keine Rolle. Der Kapitalismus verdaut ohnehin alles, verwandelt selbst den Einspruch, so er ästhetisch daherkommt, in Ware. Woraus theoretisch gewiefte Kritiker den Schluss ziehen, dass, wer Einspruch erhebt, immer auch sich selbst vermarktet und darüber unausweichlich Teil jenes Systems wird, gegen das er sich richtet. Dieses Paradox bereitet Misik so gewaltigen Kopfschmerz, dass er nicht einmal im Ansatz darüber nachdenken will, ob der Kapitalismusfalle nicht doch noch beizukommen sei. So wird Misik, ohne es zu wollen, zum Apologeten politischer Enthaltsamkeit. Nichts ist ihm verdächtiger als der konkrete Einspruch, denn auch der könnte ja irgendwie vom bösen kapitalistischen System vereinnahmt werden - der radikal Chic, von den Hippies bis zur Punkbewegung, hat eindrücklich gezeigt, dass Protest sich nahezu zwangsläufig in den Kreislauf des Geldes mündet.

    Das weiß auch Misik, doch für dieses Problem weiß auch er - natürlich - keine Antwort Lösung. Allerdings stellt er auch keine weiteren Fragen.. Etwa die, warum man eigentlich links sein sollte. Misik verrät es in keiner Zeile seines Buches. Ihn interessiert der Einspruch gegen das Ganze, aber weil der auf Dauer doch zu abstrakt scheint, treibt ihn vor allem dies, Zitat: "die Sehnsucht nach dem guten, echten Leben. Echt leben, um einmal echt fühlen zu können." Aber der Mensch ist nie er selbst, immer, man weiß es, ist er Spielball der Umstände. Trotzdem plagt ihn ein, Zitat, "Hunger nach Eigentlichkeit", gegen den er sich wappnet, indem er ihn ironisch abfedert - und dadurch doppelt traurig werden lässt. Der Gestus der hippen Linken, so wie Misik sie beschreibt verfällt zur leeren Geste allen ernsthaften Engagements. Krankenkassen, Rentenkassen, Staatsbankrott? Kein Wort davon bei Misik. Ihn sorgt allein die Unausweichlichkeit des Ganzen, Zitat: "'Revolution' im Sinne eines ganz anderen, eines großen Anderen ist kaum mehr denkbar." Darunter aber will es die von Misik porträtierte Linke partout offenbar nicht tun. Sie ist längst ausschließlich ästhetisch orientiert, Zitat: "Es gibt den drang nach Engagement jenseits der nackten kapitalistischen Rationalität, es gibt die zunehmenden Versuche, Räume zu verteidigen und auszuweiten, die von der Kommerzkultur nicht kolonisiert sind, die suche nach Möglichkeiten, das nicht zu leben. es gibt die Sehnsucht nach einer Alternative. Aber es gibt keine auch nur phantasierte, realistische Alternative." Der Linken, wie Misik sie zeichnet, hat sich in einer heimeligen Protestkultur eingerichtet, in der ihr Protest nichts bewirken wird. Glücklich, wer eine solche Politik sich leisten kann.