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Depressive Desperados

Die Kölner Schauspiel-Intendantin Karin Beier hat den erfolgreichsten der jungen Regisseure, Jan Bosse, nach Köln gelockt. Seine Büchner-Inszenierung "Leonce und Lena" ist eine Koproduktion mit dem Gorki-Theater in Berlin, wo Bosse als Hausregisseur arbeitet. Jetzt will Köln also in der ersten Liga auch mit spielen.

Von Karin Fischer | 30.03.2009
    Stéphane Laimés schmale Bühne zeigt das nicht ganz fertig dekorierte Schaufenster eines Kaufhauses. Halbnackte Puppen stehen herum, auch herzig mit Tüll ausstaffierte Kinder. Eine Sektpyramide aus Plastik, ein Rednerpult, eine riesige Torte vervollständigen die billig ausstaffierte Waren-Welt, in die sich Büchners höfische Gesellschaft gleich bruchlos einfügen wird: mit ähnlich schlimmen Perücken und ähnlich scheußlichen Kleidern. Eine Welt totaler Künstlichkeit und Oberfläche ist hier entworfen, in der die Subalternen zwar noch funktionieren, die Herrschenden aber schon in ganz andere Sphären abgedriftet sind.

    Michael Wittenborn als König Peter vom Reiche Popo ist ein grüblerischer Philosoph, der seine Macht so schnell wie möglich abgeben will, um sich der Frage zu widmen, warum es keinen Gott geben kann. Sein Sohn Leonce sieht aus wie Brad Pitt für Arme: Dekadenz und Überfluss werden bei ihm zu Depression und Überdruss, und einer Langeweile, die alle Gefühle betäubt:

    Ein Abgrund der Entfremdung tut sich hier zwischen Julischka Eichel und Mark Waschke auf, und eine erhellende Szene der Wahrhaftigkeit in einer nur noch scheinhaften Welt. Leider ist so Büchners Lustspiel auch jede sprachliche Doppelbödigkeit ausgetrieben; dessen abgrundtiefer Witz ist durch ein Denken am Abgrund ersetzt, das etwas Todessüchtiges hat. Thomas Mann lässt grüßen, auch zu Schopenhauers Weltekel ist es nicht weit.

    Jan Bosses Trick: Er erklärt die Zuschauer wahlweise zu "Festgästen" oder zum "Staatsrat"; ob vor oder hinter der Scheibe, wir gehören mit zu diesem Schaufenster-Gruselkabinett. Die abgelebte Konsumgesellschaft beerdigt sich hier quasi selbst. Fast ist man der Wirtschaftskrise dankbar, dass in der Wirklichkeit jetzt ganz vieles ganz anders werden muss.

    Doch zuerst soll Leonce ja seine Lena kriegen. Der Prinz ist vor den Heiratsplänen des Vaters geflohen, zusammen mit Valerio. Ronald Kukulies gibt ihn als nervigen Proleten und Bürgerschreck, der Plastikgläser zertritt und den kleinen Revoluzzer mimt, bis sich ihm die Chance auf ein Ministeramt bietet. Maja Schönes Lena ist auch nicht mehr als eine Kleiderpuppe des Pop-Zeitalters; ihr Streben nach Autonomie reicht gerade mal bis zur nächsten Schaufensterpuppe: Ein Leonce-Double wird zur Projektionsfolie ihrer Träume. Es gibt halt kein richtiges Leben im falschen. Das Zusammentreffen mit Leonce findet zwangsläufig in einem grünen Labyrinth aus künstlichem Deko-Material unter aufdringlichem Sternenhimmel statt, unter dem Büchners Text wirkt wie reine Poesie - oder dreister Kitsch.

    Zur von König Peter weiter voran getriebenen Hochzeit erscheinen die berühmten "Automaten" mit Masken und in aufgeblasenen Gummihüllen wie runde Michelinmännchen. Zu diesem Zeitpunkt hat aber auch die Inszenierung an Form verloren zwischen hektischer Hysterie offizieller Maßnahmen und einem Gottesdiskurs von König Peter, der Büchners "Der Mensch muss denken!" beim Wort nimmt, dem Stück aber keinen Ausweg eröffnet. Auch keine philosophische Hintertreppe.

    Es endet, indem die Hofschranzen, sprich: Zuschauer, entlassen werden, denn morgen fangen wir bekanntlich den Spaß von vorne an. Wenn es Bosses Ziel war, uns diesen Spaß gänzlich auszutreiben, dann ist ihm das vortrefflich gelungen.