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Der 3. Oktober und die Medien
Das routinierte DDR-Gedenken

Es brauche allerlei mediale Begleitung, um den Tag der Deutschen Einheit mit Sinn zu füllen, findet unser Kolumnist Matthias Dell. Und: Der 3. Oktober sei einer der wenigen Tage im Jahr, an dem westdeutsch geprägte Medien sich für die DDR interessierten.

Von Matthias Dell | 02.10.2019
Ein Radfahrer fährt an Plakaten mit der Aufschrift "Freut Ihr Euch schon" entlang.
Fast 30 Jahre nach dem Mauerfall ist Schleswig-Holstein Gastgeber für den Tag der Deutschen Einheit. (picture alliance/Carsten Rehder/dpa)
Fürs Gedenken an Ereignisse von nationaler Wichtigkeit gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder baut man ein Denkmal oder man richtet einen Feiertag ein. Letzteres gilt für die Deutsche Einheit. Allerdings geht von dem Datum selbst wenig Strahlkraft aus. Nicht selten wird ja an Tagen gefeiert, an denen etwas national Bedeutsames geschehen ist wie in Frankreich oder den USA. Der 3. Oktober, der seit 1990 Tag der Deutschen Einheit heißt, wirkt dagegen wie ein Frisörtermin.
Auch deshalb braucht es allerlei mediale Begleitung, um ihn mit Sinn zu füllen. Die Leute sollen doch wissen, warum sie frei haben. Also gibt es Sonderausgaben, Feiertagssendungen, Spezialprogramme. Würde man nicht wissen, dass der 3. Oktober der Tag der Deutschen Einheit ist und hätte nur diese Texte, Features und Filme, dann könnte man auf die Idee verfallen, dieser Tag sei eigentlich der Tag des Endes der DDR. Oder der Tag der Erinnerung an die DDR.
"Wolfgang Thierse interviewen? Ach, nee!"
So gesehen ist der Nationalfeiertag einer der wenigen Tage im Jahr, an dem westdeutsch geprägte Medien sich für die DDR interessieren. Wenn es nicht so eintönig wäre, könnte es fast lustig sein, sich vorzustellen, wie das in den Redaktionen abläuft: "Sollen wir Wolfgang Thierse interviewen? - Ach, nee, den hatten wir doch letztes Jahr erst, wie wär's mal wieder mit Wolf Biermann? - Nee, wir brauchen jemand jüngeren, und am besten eine Frau, die noch einen Pioniernachmittag von innen gesehen hat."
Man könnte auch sagen, das routinierte Mit-der-DDR-befassen langweilt sich selbst. Hübsch illustriert das ein Text in der Extra-Ausgabe des "Spiegel", die vor ein paar Tagen erschien – verantwortet übrigens von zwei westdeutschen Mitarbeitern des Magazins. Im Heft darf nämlich einer der wenigen ostdeutschen "Spiegel"-Mitarbeiter einen Essay schreiben. Der hat das schon öfter gemacht, weshalb sein Text aus Anlass des Jahrestags mit dem Verweis auf einen Text von ihm zu einem früheren Jahrestag anfängt.
Vorschläge für ein anderes Gedenken
Damit dieser arme Mensch sich nun 2020 nicht schon wieder selbst zitieren muss, würde ich an dieser Stelle vorschlagen: Zum 30. Tag der Deutschen Einheit im nächsten Jahr werden einmal ausschließlich Geschichten über Westdeutschland und Westdeutsche erzählt. Etwa: "Michael Kühnen in der Weitlingstraße – was die Wiedervereinigung für die lange und kaum bekannte Geschichte des westdeutschen Rechtsextremismus bedeutete".
Zum Interview wird Wolfgang Schäuble gebeten und erzählt über seine Gespräche mit dem DDR-Devisenbeschaffer Schalck-Golodkowski. In einer langen Reportage wird 1989/1990 aus Sicht türkeistämmiger Migranten geschildert. Und um 20.15 Uhr läuft in der ARD: "Alles wie immer", eine lustige Komödie, die in, sagen wir, Buchen im Odenwald spielt, und in der einfach nichts passiert, während abgerissene Kalenderblätter das rasante Vergehen von Zeit versinnbildlichen.