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Der alte Soldat und das Mädchen

Autor Nobert Gstrein sagt über sein neues Werk, er betrete damit "poetologisches Neuland". Das Thema ist wieder Krieg, wieder Jugoslawien. Eine Tochter auf der Suche nach ihrem verlorenen Vater in der alten Kriegsheimat, ein ausgewanderter Vater, der den Krieg noch einmal aufleben und siegreich beenden will. So wird eine Kriegsschuld weitergegeben an die nächste Generation bei Gstrein, Schuld, derer wir uns bewusst zu sein haben - aber für deren Gräuel wir nicht automatisch verantwortlich sind.

Von Brigitte Neumann | 09.12.2008
    "Die Winter im Süden", so der Titel des eben erschienenen Buchs, ist eine Geschichte, die in drei Ländern, auf zwei Kontinenten spielt.
    Es ist eine Geschichte über den Krieg, über Gewalt und über Schuld. Aber trotz der sie umgebenden Schrecken, wirken die Figuren darin traumverloren. Sie verhalten sich wie im "Schwebezustand", schreibt Norbert Gstrein, haben ein "wattiertes, geradezu narkotisiertes Empfinden" für ihr Dasein.

    "Die Winter im Süden" ist anders als der mehrfach mit Preisen ausgezeichnete Vorgängerroman "Handwerk des Tötens". Zwar spielt auch das 2004 veröffentlichte Buch während der Bürgerkriege in Jugoslawien, aber sein Thema war eher theoretischer Art: Ausdruck des Zweifels darüber, ob ein Roman überhaupt etwas über die Realität aussagen kann?

    "Damit bin ich sehr weit gegangen. Und ich hatte den Eindruck, ich kann nicht noch weiter gehen, weil diese Skepsis am Ende heißen würde, man sagt überhaupt nichts mehr. Man ist so skeptisch, dass man verstummt."

    Der 47-jährige Tiroler sagt, er betrete mit "Die Winter im Süden" poetologisches Neuland:

    " So dass ich .... auf einmal zu einem Roman gekommen bin, der sich viel stärker als die beiden anderen über die Handlung transportiert. Manchmal kommt es mir fast so vor, als wäre das, was in den beiden früheren Romanen Reflexion gewesen ist, jetzt durch so eine Grundierung von Gewalt und Sexualität ersetzt."

    Norbert Gstreins Roman nähert sich zwei Biographien gleichzeitig. Zum einen der einer 50-Jährigen namens Marija, zum anderen der eines 70-Jährigen, dem der Autor jeden Namen verweigert und der nur "Der Alte" heißt. Beide Erzählstränge laufen auf zwei Kontinenten aufeinander zu, treffen sich beinahe in Zagreb, und laufen schließlich doch haarscharf aneinander vorbei.

    Es ist das Jahr 1991 und die Bürgerkriege in Ex-Jugoslawien beginnen. Marija flieht aus einer unglücklichen Ehe mit einem angesehenen Wiener Lokaljournalisten nach Kroatien. Vielleicht tut sie es aus Sentimentalität? Es ist ihre Heimat, die sie mit fünf Jahren während des Zweiten Weltkrieges verlassen musste. In Zagreb hat die 50-Jährige eine heftige und auch masochistisch getönte Affäre mit einem kriegsverletzten Soldaten, der ihr Sohn sein könnte, in dem sie aber Züge ihres lang verlorenen Vaters zu erkennen glaubt. Eines Mannes, der im Zweiten Weltkrieg, das deutet Norbert Gstrein nur an, wahrscheinlich zu den faschistischen Ustascha gehörte, die mit den Nazis kollaborierten. Was Marija nicht weiß: Dieser Mann lebt mit einer neuen Familie in Argentinien, und auch er macht sich zu der Zeit auf den Weg in die Heimat. Seine Motive sind anderer Art als die Marijas: Er will im Jahre 1991 an 1945 anknüpfen und die Schlachten von damals noch einmal schlagen – und dieses Mal auf der Seite der Sieger stehen. Er hat Sehnsucht nach den alten Kameraden; Sehnsucht nach Krieg. In seinem argentinischen Exil ist er Teil eines Netzwerks, das Geld für den neuen kroatischen Waffengang beschafft.
    Norbert Gstrein:

    "Es gibt diesen politischen Hintergrund tatsächlich. Es gab eine beträchtliche Zahl von kroatischen Exilanten, aber auch serbischen Exilanten, die in Übersee zur Welt gekommen sind, und Geld in die neuen Kriege 1991 und später investiert haben. Der hortet, glaub ich, und behält ein, überhaupt mit keiner Wirklichkeit deckungsgleiches Bild von seiner Heimat in seinem Kopf. Eine Heimat, die es nicht mehr gibt. Das sieht man auch, als er zurückgeht und in dieses Dorf kommt und versucht, sich sein Elternhaus gewaltsam anzueignen. Man weiß gar nicht wirklich, warum er das tut. Nach 45 Jahren. Was sucht er in diesem Dorf, das als Geisterdorf beschrieben wird. Ein Dorf, aus dem alle Leute weggegangen sind. Und seine Projektion ist daraufhin, eine Projektion auf ein Nichts, kann man sagen. Mehr ist also dieser sich überlebt habende Nationalismus nicht – dieses Nichts dieses Geisterdorfs."

    "Der Alte" ist ein soldatischer Mann. Der Krieg ist für ihn eine notwendige Erleichterung, ein Versprechen auf Erlösung. Er besteht eigentlich nur aus einer harten Schale, unter der sich ein klägliches, weinerliches, verkümmertes Wesen versteckt. Das Soldatische ist es, was ihn zusammen hält.

    Im Gegensatz dazu seine Tochter Marija, die zweite Hauptfigur des Buches: Sie ist die Schicksalsergebene, Widerstandslose. Im Kopf durchschaut sie die Menschen: ihren lieblosen Ehemann, auch die unmögliche Verbindung zu dem jungen Soldaten, ja sogar ihre eigene Lebens-Lähmung kommentiert sie eloquent. Aber im Umgang mit Anderen ist sie eine geduckte Seele. Sie ist gepeinigt von dem Gefühl, die mutmaßliche Schuld ihres Vaters abtragen zu müssen. Und bringt sich immer wieder in Situationen, wo sie das Opfer der Männer wird.

    "Eine Frau, die Abbitte leistet für etwas, das sie gar nicht getan hat. Weil, ein Begriff von Schuld macht in ihrem Fall keinen Sinn. Der Vater mag sich schuldig gemacht haben, das ist wahrscheinlich, im Zweiten. Weltkrieg. Aber sie ist 1940 geboren und ist 1945 fünf Jahre alt und kann sich nicht schuldig gemacht haben. Und daran hat mich unter anderem auch interessiert grundsätzlich die Diskussion: Wie ist unser Verhältnis als sogenannte Nachgeborene zum Zweiten Weltkrieg. Wie ist unser Umgang damit? Jedenfalls kann es kein Schuldverhältnis sein. Es ist ein völlig klar zu definierendes Verhältnis. Also, wir haben uns bewusst zu sein der Schande – so kann man es vielleicht nennen – die unsere Väter, Großväter über uns gebracht haben. Aber der Schuldbegriff ist ein vollkommen falscher. Die Goldhagen'sche Sicht, dass die Deutschen, die Österreicher, vielleicht auch die Kroaten, geradezu etwas Genetisches, eine genetische Anlage haben zum Faschismus, das ist natürlich ganz großer Unfug."

    Tatsächlich wird es in allen Kriegen so funktionieren, dass die Tätergeneration ihre Schuld an die Kinder weitergibt, indem sie sie leugnet. Anerkennung der Schuld würde für die Kinder Befreiung und Wiederherstellung der Beziehung bedeuten. So ist von der Beziehung zwischen Marija und ihrem Vater nicht viel mehr übrig als seine Schuld, für die sie bereit ist zu büßen. Und weil es keine andere Verbindung zwischen ihnen gibt, hängt Marija an dieser Aufgabe.

    Als sei ihm der Geist seines Romans "Die Winter im Süden" am Ende doch etwas unheimlich geworden, lässt Norbert Gstrein auf der vorletzten Seite den Satz fallen : "Man kann alles erzählen. Leben ist etwas anderes." Ist das Demut? Vorsichtiges Relativieren? Ja, das Leben ist in jedem Fall größer als die Geschichten davon. Und sei es nur, weil es letztendlich unverständlich und unauflösbar ist. Gute Schriftsteller wie Norbert Gstrein wissen das und können einen Roman darüber schreiben.