Mittwoch, 24. April 2024

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Der Anreiz für Korruption ist "massiv gestiegen"

Karl Lauterbach beklagt, dass schwere Bestechung bei niedergelassenen Ärzten in Deutschland straffrei sei. Diese Rechtslücke müsse geschlossen werden, so der SPD-Gesundheitsexperte. Im Hinblick auf die Organspende-Skandale arbeite man derzeit parteienübergreifend an einer Lösung.

Karl Lauterbach im Gespräch mit Peter Kapern | 03.01.2013
    Peter Kapern: Im vergangenen Juni hat der Bundesgerichtshof einen klaren Fall von Zwei-Klassen-Medizin offenbart. Ein Krankenhausarzt, der sich beispielsweise von einem Pharma-Unternehmen korrumpieren lässt, kann strafrechtlich wegen Bestechlichkeit belangt werden. Ein niedergelassener Arzt aber nicht, denn der ist dann Freiberufler, auf den diese Strafrechtsnormen der Bestechlichkeit einfach nicht zutreffen. Seither fordern Krankenkassen und Patientenverbände den Bundesgesundheitsminister auf, die Gesetzeslücke zu schließen, und auch Jens Spahn, der Gesundheitspolitiker der CDU, droht mit dem Strafrecht. Lediglich Gesundheitsminister Daniel Bahr zögert. Gestern ließ seine Sprecherin wissen, dass er zunächst noch Stellungnahmen von Akteuren aus dem Gesundheitssektor prüfen will, bevor er dann entscheidet, ob ein neues Gesetz her muss oder nicht. Mittlerweile machen sogar Ärzte mobil gegen die Korruption im Gesundheitswesen, MEZIS nennt sich die Organisation. Das ist eine Abkürzung und die steht für "Mein Essen zahl' ich selbst". Soll heißen: MEZIS versammelt Ärzte, die den goldenen Handschlag der Pharma-Industrie ablehnen.
    Mitgehört hat Karl Lauterbach, der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Herr Lauterbach!

    Karl Lauterbach: Guten Morgen, Herr Kapern!

    Kapern: Herr Lauterbach, welchen Umfang hat Korruption im Gesundheitswesen?

    Lauterbach: Man muss unterscheiden. Also, sehr harte Korruption, das ist im Wesentlichen also richtige Bestechlichkeit. Da werden Medikamente eingesetzt, die zu teuer sind oder die man möglicherweise dem Patienten sonst gar nicht verordnet hätte. Oder was auch praktiziert wird, es wird ein Patient in ein Krankenhaus eingewiesen, weil es eine Rückzahlung des Krankenhauses an den Arzt gibt, oder Sanitätshäuser werden aufgesucht, Dinge werden verordnet, die nicht optimal sind. Das ist harte Bestechung, ich glaube, dass da höchstens ein Prozent der Ärzte betroffen ist. Das, was eben in Ihrem Beitrag angesprochen wurde, das wird allgemein als Anfettung bezeichnet. Das heißt also, der Arzt bekommt vermeintlich Information, kleine Gefälligkeiten, Freundlichkeiten, Aufmerksamkeit, auch hier und da eine Unterstützung, damit will man den Patienten sozusagen auf Medikamente einstellen, die er sonst nicht bekommen hätte, aber das ist keine harte Bestechung. Somit, Anfettung und Bestechlichkeit sind zwei Dinge, aber beides darf nicht toleriert werden.

    Kapern: Das heißt also, auch gegen die Anfettung müsste vorgegangen werden!

    Lauterbach: Auch gegen die Anfettung müsste vorgegangen werden. Aber insbesondere halte ich es für sehr problematisch, dass also die wirklich harte Korruption derzeit bei niedergelassenen Ärzten straffrei ist. Das ist kein Zustand, das gibt es in dieser Form auch in anderen europäischen Ländern nicht. Hier gibt's eine richtige Rechtslücke, die bisher von FDP und auch von CDU gedeckt wird. Und darum muss es in erster Linie gehen, dass also die harte Korruption zum Schaden des Patienten und zum wirtschaftlichen Schaden der Gesellschaft vermieden wird, und das durch Strafe.

    Kapern: Wie ist es dazu gekommen, Herr Lauterbach, dass dieser ja in Europa einmalige Rechtszustand, wie Sie sagen, hier in Deutschland herrscht?

    Lauterbach: Muss man sagen, es ist, wenn man ehrlich ist, ein Ergebnis des erfolgreichen Lobbyismus. Also, zwei Dinge sind zusammengekommen: Zum einen also, richtig harte Korruption hat zugenommen, weil die Werte, die im Gesundheitssystem jetzt geschoben werden – also, die Medikamente werden immer teurer, die Operationen werden teurer, die Technik wird teurer –, es geht einfach um viel mehr Geld, daher ist also auch der Anreiz für Korruption massiv gestiegen. Und zum Zweiten, also, den Lobbyisten ist es gelungen, insbesondere bei Union und bei FDP es so darzustellen, als wenn ein Freiberufler per definitionem, also definitionsgemäß nicht bestochen werden könnte. Und das ist natürlich also ein semantischer Trick. In Wirklichkeit ist es so, die meisten dieser Ärzte werden von den Patienten zu Recht als Amtsträger und nicht als Freiberufler wahrgenommen, als Menschen, auf die man sich verlässt, die etwas machen, nicht als Geschäft, sondern im Wesentlichen einer Berufung folgend. Und von daher ist dieses Argument vorgeschoben, aber durch die Lobbyisten immer wieder erfolgreich vorgetragen worden.

    Kapern: Nun gibt es aber doch, Herr Lauterbach, auch Möglichkeiten nach dem Berufsrecht, gegen korrupte Ärzte, niedergelassene Ärzte vorzugehen, man könnte ihnen die Zulassung entziehen. Warum geschieht das nicht, warum greifen diese Regelungen, die eigentlich vorhanden sind, nicht?

    Lauterbach: Zunächst ist es so, ein solcher … Selbst wenn das praktiziert würde, was die absolute Ausnahme ist, wäre das noch nicht ausreichend. Es ist einfach so, wenn beispielsweise jemand zu Schaden kommt, der kriegt die falsche Krebsmedikation, weil der Arzt bestochen war, und verstirbt, weil dieses Medikament nicht gewirkt hat, das ist für mich schlicht und ergreifend etwas, wo das Strafrecht zum Tragen kommen muss. Da reicht es nicht, dass irgendeine Kammer eine Sanktion ergreift. Das hat nichts mit dem Berufsrecht alleine zu tun, auch wenn das dort verfolgt werden würde, was aber oft nicht der Fall ist. Es ist auch ganz klar, also, eine Kammer, die dort zu hart vorgeht, die sagt, wir können nicht hart vorgehen, weil es keine strafrechtlichen Belange gibt, die wir verfolgen können. Dann wiederum verstecken sich genau die acht Funktionäre hinter dem nicht vorhandenen Strafrecht. Übrigens nur bei niedergelassenen Ärzten. Bei Krankenhausärzten wird bei gleichem Vergehen mit äußerster Härte vorgegangen.

    Kapern: Herr Lauterbach, gestern machte der Gesundheitssektor noch weitere Schlagzeilen, an der Universitätsklinik in Leipzig sind Patientenakten gefälscht worden, um diesen Patienten schneller eine Spenderleber zu besorgen. Was treibt Mediziner, die so etwas tun?

    Lauterbach: Also, diesen einzelnen Fall kann ich nicht ausreichend bewerten zum jetzigen Zeitpunkt, weil die Untersuchungen ja noch laufen. Aber wir wissen, es ist eine Mischung. Es ist, wenn man so will, eine Mischung aus drei Dingen: Guter Wille, der Arzt will für seinen eigenen Patienten, den er kennt, etwas tun; dann weniger nobel sein eigenes Prestigestreben, das ist ganz klar, ein Operateur, der viel transplantiert, gilt viel in der Szene, gilt als erfolgreich, gilt als jemand, der auch also befördert, berufen und unterstützt wird; und zum Dritten, es spielt auch Geld eine Rolle, diese Eingriffe sind sehr gut bezahlt, oft sind dass, wenn man so will, Profit-Center, die Transplantation kann ein Profit-Center der Klinik sein, somit sind die wirtschaftlichen Anreize in diesem Bereich auch sehr hoch. Dem kann man nur begegnen, indem zum einen die Kontrollen stark verschärft werden, da gibt es mittlerweile auch ein ganz anderes Verfahren als das, was jetzt untersucht wurde von 2010 und 2011, das neue Verfahren ist schon sehr viel besser. Und zum Zweiten, wir arbeiten derzeit parteiübergreifend an weiteren Regeln, die das Ganze Verfahren transparenter und manipulationsunanfällig machen sollen. Wir versuchen, dieses Thema aus dem Wahlkampf und aus dem also Parteienstreit zu isolieren, indem wir parteienübergreifend im Gesundheitsministerium nach einer Lösung suchen.

    Kapern: Muss die Transplantationsmedizin der ärztlichen Selbstverwaltung entzogen werden, weil zu viel auf dem Spiel steht und zu viele Menschen zu wenige Spendeorgane benötigen?

    Lauterbach: Das halte ich für falsch. Also, die Transplantationsmedizin ist äußerst komplex, ich kenne mich mit den neueren Entwicklungen auch selbst relativ gut aus und das ist nicht übertragbar auf staatliche Stellen. Das müssen Leute machen, die, sagen wir mal, täglich diese Arbeit auch tun, und daher geht es auf keinen Fall ohne die Selbstverwaltung in diesem Bereich. Aber die Strukturen müssen durch den Staat so konstruiert werden, dass sie a) für jeden Zeitpunkt so überprüft werden können und auch überprüft werden, und zum Zweiten, also, die wichtigsten Einfallstore für Manipulationen, die kennen wir ja aus diesen Untersuchungen und aus den internationalen Erfahrungen, die müssen schlicht und ergreifend geschlossen werden. Es kann nicht angehen beispielsweise, dass bestimmte, sagen wir mal, wichtige Informationen von einem Arzt allein ausgefüllt werden, dass es nicht überprüft wird, dass dort die Verantwortlichkeit nicht auf mehr Schultern übertragen wird, um nur ein einziges Beispiel zu nennen.

    Kapern: Sagt Karl Lauterbach, der gesundheitspolitische Experte der SPD-Bundestagsfraktion. Herr Lauterbach, danke, dass Sie heute früh bei uns zu Gast waren, ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag!

    Lauterbach: Ihnen auch, vielen Dank, Herr Kapern!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.