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Der Autokönig Frankreichs

Louis Renault war seit 1908 alleinverantwortlich für den gleichnamige Autobauer, den er mit seinen Brüdern gegründet hatte. Er manövrierte sein Unternehmen geschickt durch Krisenzeiten, zahlte dafür am Ende aber auch einen hohen Preis, als man ihn der Kollaboration mit den Nazis bezichtigte.

Von Irene Meichsner | 15.02.2012
    "Von klein auf ... gab es nur eine Sache, die mir Freude machte: etwas zu entwickeln, zu erschaffen und zu produzieren - und das alles möglichst schnell.”

    Das sagte Louis Renault einmal von sich selber. Der "Autokönig", den Frankreichs Elite lange als einen ihrer Helden feierte, kam am 15. Februar 1877 in Billancourt bei Paris als Sohn eines wohlhabenden Tuchfabrikanten zur Welt. Die Schule interessierte ihn wenig. Mit elf Jahren baute sich Renault aus Kordeln, Schnüren und Zinkstäbchen eine Batterie für elektrisches Licht.

    Ein Jahr später versteckte sich der Junge im Kohlenhaufen eines Tenders, weil er wissen wollte, wie eine Lokomotive funktioniert.

    Mit 14 Jahren bekam er einen alten Motor, den er so lange inspizierte, bis ihm klar war, wie so eine Maschine läuft. An einem schlichten motorisierten Gefährt testete Renault nach der Militärzeit seine ersten bahnbrechenden Erfindungen: ein Getriebe mit direkter Schaltung und die erste stabile und starre "Kardanwelle" statt des damals bei Autos noch üblichen Antriebs über eine Kette.

    Am 24. Dezember 1898 schaffte Renault mit seiner "Voiturette", dem "Autochen", die Steigung hinauf auf den Montmartre. Bald darauf gründete er mit seinen Brüdern Marcel und Fernand eine Firma, die "Société Renault Frères", die zwei Jahre später schon 110 Mitarbeiter beschäftigte. Marcel starb 1903 bei einem Autorennen, Fernand zog sich 1908 zurück. Seitdem herrschte Louis Renault alleine über das expandierende Unternehmen.

    Renault brachte immer wieder neue, verbesserte Modelle auf den Markt. Er lieferte einen Großteil der Pariser Taxis – ein Geschäft, das ihm den Weg in die Serienproduktion ebnete. 1200 Taxis wurden im Ersten Weltkrieg beschlagnahmt, um 6500 Soldaten an die Front an der Marne zu fahren. Renault baute Busse, Lkws, später auch Flugzeug- und Bootsmotoren. In den USA lernte er bei Henry Ford die industrielle Massenproduktion kennen. Ein anderthalb Kilometer langes Fließband war das Herzstück eines neuen Werks, das er 1929 auf der Ile Seguin in der Seine errichtete. Mit rund 40.000 Mitarbeitern wurde die Firma zu Frankreichs größtem Industriekonzern, den Renault, ein Offizier der französischen Ehrenlegion, mit harter Hand regierte. Das US-Magazin "Time" schrieb später über ihn:

    "Er war reich, mächtig und berühmt, streitsüchtig, brillant, oft brutal, der kleine Napoleon eines Auto-Imperiums."

    1936 kam es zu einer ersten, 1939 bei der Internationalen Automobilausstellung in Berlin zu einer zweiten Begegnung mit Adolf Hitler. Auf einem Foto schütteln sich beide die Hände. Renault stand während der deutschen Besatzung unter Aufsicht des Daimler-Konzerns. Er bediente die deutsche Wehrmacht, wurde deswegen 1944, nach Frankreichs Befreiung, der Kollaboration mit den Nazis bezichtigt. Renault kam ins Gefängnis und starb am 24. Oktober 1944 unter bis heute nicht geklärten Umständen in einer psychiatrischen Klinik in Paris. Seine Firma wurde enteignet und durch ein Dekret der provisorischen Regierung General de Gaulles verstaatlicht – ohne Entschädigung für die Familie, die den Staat 2011 auf Wiedergutmachung verklagte.

    "Wir kämpfen dafür, seinen Platz in der Geschichte wiederzugewinnen”,

    ... sagt Hélène Renault-Dingli, eine Enkelin. Thierry Lévy, der Anwalt der Familie, rechnet im Erfolgsfall mit einer Entschädigungssumme von rund einhundert Millionen Euro. Er stützt sich auf ein neues Gesetz, das es den Bürgern erlaubt, die Verfassungsmäßigkeit der französischen Gesetzgebung zu überprüfen.

    "Wenn die Regierung beschließt, das Eigentum von jemandem zu konfiszieren, dann muss diese Person rechtskräftig verurteilt sein. Sonst ist die Enteignung illegal."

    Hat Renault wirklich mit den Nazis kollaboriert? Oder passte er sich nur an, um, wie andere, seine Firma vor einer Zerschlagung durch die Deutschen zu bewahren? Renault wurde nie angeklagt, einen Prozess gab es nicht. Der Ausgang des Entschädigungsverfahrens ist offen. Die Regierung hat sich aus dem Konzern längst zurückgezogen. Inzwischen ist Renault wieder weitgehend in privater Hand. 1999 ging die Firma eine Allianz mit dem japanischen Hersteller Nissan ein. Der Staat hält heute nur noch 15 Prozent der Unternehmensanteile.