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Der besondere Fall
Bruch im Rücken

20 dicke Schrauben und massive Stäbe rechts und links vom Rückgrat konnten ihre Wirbelsäule nicht stabilisieren: Dieser Extremfall schockte nicht nur Patientin Maria Birks. Eine Skoliose führte zu mehreren Operationen, einer Infektion und schließlich zum Bruch der Titan-Implantate.

Von Thomas Liesen | 25.07.2017
    Viele Menschen leiden vor allem an Rückenschmerzen.
    Unter Rückenschmerzen leiden viele Menschen - bei Patientin Maria Birks kam es zu einem Notfall, nachdem ihre Wirbelsäule instabil wurde. (dpa/picture alliance/Arno Burgi)
    "Mir wurde gruselig, als ich das sah." - "Das ist ein Extremfall." - "Es gab nicht mehr viele Lösungen, es war nur noch das." - "Wenn wir das ganz wegnehmen würden, dann würde sie auseinander brechen."
    Maria Birks ist Kummer gewohnt, denn sie leidet unter Rheuma. Doch was jetzt mit ihr passiert, beängstigt sie. "Ich konnte nicht mehr weit gehen, ich konnte nicht mehr lange stehen, dann musste ich sitzen oder mich hinlegen ... Mein normales Leben, das ging immer mehr weg und das machte mir auch Sorgen."
    Der Rücken schmerzt. Es wird langsam unerträglich. Sie sucht einen Arzt auf, dann noch einen. Beide können nichts feststellen. Doch wenn sie sich im Spiegel betrachtet, sieht sie, dass Ihr Oberkörper mittlerweile seltsam verdreht und gestaucht wirkt. Ihre Kleider passen auch nicht mehr. Sie sucht noch einen Arzt auf. Der erkennt endlich eine so genannte Skoliose.
    Zehn Wirbelkörper werden miteinander verbunden
    "Es gab im Grunde eine sogenannte Seitverbiegung zwischen dem Rumpf und dem Becken. Also die wichtigste Verbindung zwischen oben und unten hat nicht mehr gehalten, die Wirbelsäule wurde krumm und das führte zu unerträglichen Beschwerden." Professor Peer Eysel, Direktor der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie der Uni Köln. Er wird Maria Birks ein Jahr später als Notfall betreuen.
    Warum die Wirbelsäule so plötzlich instabil wird, bleibt unklar. Ihr Arzt schickt sie jedenfalls zunächst in eine Klinik bei Aachen. "Der Lösungsversuch der Kollegen war dann eine Verschraubung. Das heißt, zehn Wirbelkörper wurden miteinander verbunden mit Stahl- bzw. Titanstäben."
    Maria Birks lässt sich in einer OP das ganze Metall einsetzen. Doch als sie gleich danach das Röntgenbild ihrer Wirbelsäule zum ersten Mal sieht, erschrickt sie regelrecht. Denn es sieht aus, als wäre ein Bautrupp am Werk gewesen. "So muss man sich es auch vorstellen: Wie ein Baukran oder ein Baugerüst, das von außen an die Wirbelsäule angeschraubt wird, um diese zu stabilisieren."
    20 dicke Schrauben, jeder Wirbel im Bauchraum damit durchbohrt, verbunden mit massiven Stäbe rechts und links vom Rückgrat. "Und ich war dann erstaunt, dass ich sehr gut damit klar kam. Ich weiß, ich durfte bestimmte Bewegungen nicht machen, dass ich mich so verdrehe, immer schön gerade bewegen. Aber das ging eigentlich. Ich war auch im Krankenhaus schon relativ schmerzfrei."
    Gegen die Gesetze der Mechanik
    Der rigorose Eingriff scheint erfolgreich verlaufen zu sein. Ihre Wirbelsäule wird nun vom Metallgerüst in eine gerade Form gedrückt. Und da die Wirbel sich nicht mehr gegeneinander bewegen können, werden sie zusammenwachsen. Die Wirbelsäule wird versteifen. Und sich dadurch selbst stabilisieren - so zumindest die Theorie des Arztes, der sie operiert hat.
    Die 68-Jährige wird nach Hause entlassen. Doch was sie nicht ahnt: Ihr Arzt hat bei seinem Plan die Gesetze der Mechanik zu wenig bedacht. Am Metallgerüst im Körper wirken enorme Kräfte, sagt Orthopäde Peer Eysel. "Man muss sich vorstellen, dass der Rumpf ja viele, viele Kilo wiegt und jetzt diese Verbindung natürlich maximal belastet wird."
    "Morgens stand ich auf, bücke mich - aber ganz wenig, als ich aus dem Bett war - und da knackte es in meinen Rücken. Das war so ein komisches Geräusch, da dachte ich, das kann nicht von den Knochen sein. Und dann kamen die Schmerzen." Sie geht zurück in ihre Klinik. Ein MRT zeigt das Unglaubliche: Die dicken Titanstäbe sind glatt durchgebrochen.
    "Das passiert, weil da maximaler Stress drauf ist. Weil die Wirbelsäule im Endeffekt versteift ist. Dann wird das nach unten weiter geleitet und dann kann es eben passieren, dass diese Implantate sich lockern oder brechen und eben nicht mehr halten.", sagt Dr. David Grevenstein aus dem Orthopädie-Team der Uniklinik Köln. Doch Maria Birks Arzt setzt als Lösung erneut auf das gleiche Rezept und empfiehlt ihr einfach einen Austausch der Titanstäbe.
    Sie stimmt zu; eine weitere Operation folgt. Ergebnis: Nach kurzer Zeit wieder ein Knacken, auch die neuen Stäbe brechen. Sie hält es nun vor Schmerzen kaum noch aus. "Bis dann später der Arzt noch überlegt hat, er wollte nicht an das Operationsfeld gehen zum dritten Mal und hat mir so Verschraubungen ins Becken eingesetzt, um das zusätzlich zu stützen und zwar mit vier Schrauben, auf jeder Seite zwei. Und hatte gehofft, er könnte mir damit noch mal helfen. Aber da war richtig Ende. Das war Wahnsinn, ja."
    Herausforderung für die Medizin
    Auch die zusätzlichen Schrauben halten dem Druck nicht stand. Ihr Arzt weiß keinen Rat mehr und überweist Maria Birks an die Uniklinik Köln zu Peer Eysel. Als sie dort eintrifft, ist sie nur noch ein Bündel Schmerz. Und ihr Fall wird zur großen Herausforderung für die Kölner Ärzte. Sie möchten erst einmal klären: Was ist die wahre Ursache für den katastrophalen Ausgang der Operationen? Sicher die Biomechanik. Aber gibt es da möglicherweise noch etwas anderes?
    Peer Eysel: "Und aus diesem Grund war bei unserer Patientin immer wieder im Hintergrund die Frage: Ist zu diesem ganzen Elend vielleicht auch noch eine Infektion da?"
    Die Ärzte wollen sicher gehen und eröffnen noch einmal den Rücken. "Und siehe da, intraoperativ fand sich eine Infektion mit Bakterien, die auch noch als drittes zu diesen genannten mechanischen Faktoren dazu beigetragen hat, dass die Wirbelsäule instabil geworden ist und das es nicht zusammen heilt."
    Eine Verkettung höchst unglücklicher Umstände für die 68-Jährige. Die Ärzte behandeln zunächst den Bakterienherd, ersetzen dann die gebrochenen Metallstäbe. Doch das allein wird nicht reichen, das ist allen klar. Peer Eysel fräst daher zusätzlich Knochenspäne aus Maria Birks Beckenkamm heraus. Diese werden in die Wirbelsäule transplantiert, zwischen die Wirbelkörper, da sollen sie zu Knochenmaterial heranwachsen, das die Wirbelsäule endlich zu einem tragfähigen Knochengerüst stabilisiert.
    "Das ist ein Extremfall", gibt Peer Eysel zu. Auch in seiner Spezialklinik, die viele ungewöhnliche Fälle betreut, ist eine vergleichbare Krankengeschichte höchst selten. "Ich bin mir eigentlich sicher, dass das funktioniert. Das ist eine ausgesprochen tapfere Patientin mit einer ansonsten sehr gut funktionierenden Immunabwehr, die sich sehr sehr wacker geschlagen hat, trotz dieser vielen Operationen im vergangenen Jahr."
    Die Operation ist jedenfalls gut verlaufen. Der Druck in Maria Birks Wirbelsäule, der zu den Metallbrüchen geführt hat, wird bald durch die anwachsenden Knochenimplantate aufgefangen. "Das ist jetzt auch meine große Hoffnung - ich bin jetzt schon aufgestanden, gestern bis zum Aufenthaltsraum gekommen - dass das jetzt klappt."