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Der besondere Fall
Schwierige Diagnose bei genetisch bedingter Atemnot

Aus einer sportlichen Maschinenbauingenieurin wurde innerhalb von zwei Tagen eine schwerkranke Frau. Geplagt von Atemnot, deren Ursache zunächst unklar blieb. Und gutartigen Hautveränderungen an ungewöhnlichen Stellen. Bis zur Diagnose sollten Monate vergehen.

Von Christina Sartori | 28.08.2018
    Stethoskop, Computertastatur und Smartphone,
    CT, MRT, Sonographie, Bronchoskopie - alles blieb zunächst ohne Befund bei der Patientin (imago / Christian Ohde)
    Es dauerte nur ein Wochenende. Innerhalb von zwei Tagen im Februar 2014 wurde aus der gesunden, fitten Maschinenbauingenieurin Andrea Ebeling eine schwerkranke Frau, die den Ärzten monatelang Kopfzerbrechen bereitete.
    "Das geht so schnell. Freitags bin ich noch tausend Meter geschwommen und Sonntags, da konnte ich keine 20 Meter mehr laufen. Das ist so schnell, das ist wirklich beängstigend."
    Woher kam das Wasser in der Lunge?
    Freitag war alles gut, Samstag fühlte Andrea Ebeling sich schlecht, bekam kaum Luft, wenn sie sich bückte – und am Sonntag quälte sie Atemnot, sobald sie sich bewegte. Auch am Montag ging es ihr nicht besser, ihre Hausärztin schickte sie zu einem Radiologen: Der macht mit dem CT Gerät Bilder ihrer Lunge, um die Ursache zu finden. Das Ergebnis: Andrea Ebeling hatte Wasser in der Lunge, auf beiden Seiten, wodurch kaum noch Luft in die Lunge kam. Aber woher kam das Wasser, wie kam es in die Lunge?
    "Dann hat der Radiologe abgefragt: Sind sie Raucher? Nein. Haben sie einen Infekt gehabt? Nein. Nehmen sie Medikamente? Nein. Waren sie in den Tropen? Nein."
    Andrea Ebeling wurde ins nächste Krankenhaus eingeliefert. Dort bekam sie Sauerstoff und eine Drainage, über die die Flüssigkeit ablaufen konnte. Kein Wasser, sondern Lymphflüssigkeit, die sich angesammelt hatte.
    "Es waren insgesamt nachher 3,1 Liter, die natürlich dazu geführt haben, dass ich Atemnot bekam."
    Es dauerte mehrere Tage, bis ihre Lunge wieder frei war und Andrea Ebeling wieder frei atmen konnte. Aber es war klar: Dies war ein schwieriger, ein besonderer Fall.
    "Dann wurden weitere Untersuchungen vorgenommen. Es wurde ein Herzecho gemacht, es wurde eine Sonographie gemacht, das CT, ein MRT, eine Bronchoskopie und alles ohne Befund."
    Ungewöhnliche Papeln auf der Haut kamen hinzu
    "Die Lungenärzte tappten völlig im Dunkeln. Es gibt zwar selten einige ähnliche Phänomene, da sich ein Luftspalt bildet, ein sogenannter Pneumothorax, das war aber nicht der Fall. So dass man in verschiedene Richtungen an sehr seltene Krankheitsbilder gedacht hat, zu dem Zeitpunkt als ich dazu kam."
    Privatdozent Doktor Andreas Ambach von der Hautklinik der Magdeburger Universitätsklinik wurde hinzugezogen, weil dem Leiter der Lungenklinik der Magdeburger Uniklinik eine andere Besonderheit bei Andrea Ebeling aufgefallen war:
    "Neben der Nase, auf den Wangen und auf der Stirn fanden sich hell-hautfarbene, ein bis zwei Millimeter durchmessende Papeln, also Erhebungen, meistens einzelstehend, aber relativ viele. Das ungewöhnliche war die Verteilung auf den Wangen, die man bei vielen Hautveränderungen so nicht sieht."
    Und noch etwas fand der Hautfacharzt ungewöhnlich: Andrea Ebeling hatte diese Papeln schon einmal weglasern lassen, vor mehreren Jahren – aber dann waren sie wiedergekommen, im Gesicht und auch im Dekolleté.
    "Mein erster Gedanke war: Das ist etwas nicht Häufiges, da steckt was Komisches dahinter. Und wir haben dann sehr bald eine Hautprobe entnommen, um unter dem Mikroskop zu gucken: Was ist das eigentlich?"
    Weitere gutartige Tumore
    Der Blick unter das Mikroskop bestätigte: Diese Papeln waren ungewöhnlich. "Wir haben entdeckt, dass diese Veränderungen von den Härchen, den Haarfollikeln ausgehen. Eine besondere Veränderung der Bindegewebsscheide um die Haarfollikel, sogenannte Trichodiskome."
    Das Gewebe um die kleinen Härchen in der Haut wuchs zu stark, wie kleine gutartige Tumore, was zu den Papeln auf Wange und Dekolleté führte. Doch das war noch nicht alles: Bei einer genauen Untersuchung der gesamten Hautoberfläche fand Andreas Ambach noch weitere gutartige Tumore - zwar aus anderem Gewebe, aber ebenfalls zu stark wachsend:
    "Vor allem an den Beinen, in der Unterhaut: Kleine Lipome, gutartige Geschwulste des Fettgewebes. In den Körperfalten fanden sich noch kleine gutartige Tumore des Bindegewebes, sogenannte Fibrome."
    Andreas Ambach durchforstete nun Fachzeitschriften und Datenbanken auf der Suche nach einer Krankheit, der all diese Symptome verband: Das Lungenproblem, den Chylothorax, die Trichodiskome in Gesicht und Dekolleté, die Lipome an den Beinen und Fibrome in den Körperfalten. Doch er fand nichts.
    Welche Krankheit passt wenigstens ein bisschen?
    Also überlegte er, was die verschiedenen Symptome gemeinsam hatten. "Es hat sich dann aber im Verlauf immer mehr gezeigt, dass es vielleicht in die Krankheitsgruppe der multiplen Neubildungen, also wo viele Neubildungen unterschiedlicher Art in einem Patienten auftreten, gehören könnte."
    Am Ende gab es zwei Favoriten: Zwei seltene Erkrankungen, zu denen die Symptome von Andrea Ebeling nicht ganz, aber teilweise passten. Andreas Ambach entschied sich für eine der beiden möglichen Krankheiten und suchte nach der für diese Krankheit typischen Veränderung im Erbgut von Andrea Ebeling. Und wurde fündig:
    "Das Syndrom heißt Hornstein Knickenberg Syndrom und ist 1975 erstmals in Erlangen in der dortigen Hautklinik beschrieben worden.
    "Eine sehr seltene, genetisch bedingte Krankheit, die bisher nur bei etwa 400 Familien weltweit festgestellt worden ist, davon elf Familien in Deutschland.
    "Die herausragenden Merkmale sind, dass es verschiedene gutartige Hautveränderungen gibt, im Sinne von gutartigem Wachstum, von Strukturen, die normalerweise nicht wachsen. Es kann unterschiedlich aussehen. Bei unserer Patientin die Haarfollikelveränderungen, die Trichodiskome und die Lipome. Und dann finden sich häufig aber auch Zysten in der Lunge und der Niere, also Aussackungen des Gewebes, spontane Hüllenbildungen und leider auch nach einer Weile bösartige Erkrankungen."
    Erleichterung nach der Diagnose
    Zysten in der Lunge hatten letztlich auch zu Andrea Ebelings Lungenproblemen geführt. Aber weil sie sich bei ihr mit Lymphe gefüllt hatten, was bei anderen Hornstein-Knickenberg Syndrom Patienten bisher nicht vorkam, war es so schwierig gewesen, die Lösung zu finden. Ebenso wie ihre Kinder, die die gleiche genetische Veränderung tragen und die gleichen Haut-Auffälligkeiten zeigen, geht sie sehr regelmäßig zur Krebsfrüherkennung, weil ihr Risiko für verschiedene Krebserkrankungen erhöht ist.
    "Über ein Jahr hab ich mit diesem Gedanken gelebt: was ist das in deinem Körper? Und das ist ein ungutes Gefühl. Sie schlafen unruhiger. Aber als diese Diagnose dann eben feststand, war das für mich einfacher. Ich kann mit dieser Krankheit dann umgehen. Es gibt bestimmte kosmetische, ich sag mal nicht schöne körperliche Veränderungen, aber ich kann damit umgehen."