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Der besondere Fall
Starke Schmerzen und Wahnvorstellungen

Wochenlang litt eine Mainzerin unter Unterleibsschmerzen, körperlicher Schwäche und Wahnvorstellungen. Die Ursache wurde trotz zahlreicher medizinischer Tests nicht gefunden. Schließlich diagnostizierten Fachmediziner in Chemnitz Porphyrie - eine ebenso seltene wie gefährliche Krankheit.

Von Mirko Smiljanic | 24.09.2019
Symbolbild Leibschmerzen: Eine junge Frau liegt gekrümmt auf einem Sofa und hält sich die Hände auf die Magengegend.
Es begann mit Unterleibsschmerzen - aber Magen- und Darmspiegelungen erbrachten keine Ergebnisse (picture alliance / Imagebroker)
Nachwuchsleistungszentrum Mainz 05. Etwa 20 13- bis 16-jährige Jungen laufen und springen, üben das Annahmen und Abgeben von Bällen und lassen sich in taktische Tricks einweisen.
Etwas abseits steht eine Frau, die erkennbar nicht zum Trainerstab gehört, trotzdem aber eine wichtige Aufgabe hat. Sie betreut die Nachwuchsspieler, gibt ihnen zu essen und zu trinken, verarztet kleine Blessuren, steht für alles zur Verfügung, was sich außerhalb des Fußballs abspielt – und das ist viel. Entsprechend beliebt ist die Anfang 50-Jährige im Verein, entsprechend traurig war man über ihre krankheitsbedingte Pause.
"Das ging los, ich war drei Tage in Baden-Württemberg in Urlaub, meine Freundin merkte schon, dass ich laufend Bauchschmerzen hatte und am 9.5.2016 war es so extrem, dass ich die Klinik besuchen musste in der Notaufnahme, weil es einfach unmöglich auszuhalten war."
Unerträgliche Schmerzen und starke Schwäche
Unerträgliche Unterleibschmerzen plagten die Mainzerin, wo genau konnte sie nicht sagen, Magen, Darm, Gebärmutter, überall. Also wurde die Patientin 17 Tage lang gründlich untersucht. Gefunden haben die Ärzte nichts.
"Es fing an, dass die erst eine Magenspiegelung gemacht haben, dann eine Darmspiegelung, dann gynäkologisch alles nachgescheckt haben, haben aber nichts gefunden."

Arme und Hände konnte sie kaum bewegen, eine Tasse Kaffee zu halten, war nicht möglich. Was kann sich hinter solchen Symptomen verbergen?
Heftige Wahnvorstellungen
Professor Ulrich Stölzel, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin II am Klinikum Chemnitz.

"Man würde zunächst mal an die normalen Dinge denken, dass das eine Magenschleimhautentzündung ist oder eine Bauchspeicheldrüsenreaktion, man müsste zunächst mal die ganz normalen Erkrankungen in Betracht ziehen."

Wenn du Hufgetrappel hörst, denk zunächst an Pferde und nicht an Zebras – ein Grundsatz, den Medizinstudenten im ersten Semester lernen. Dumm nur, dass die Suche nach "normalen Erkrankungen" bei der Mainzerin erfolglos blieb, schlimmer noch: Ihr Zustand verschlechterte sich zusehends.

"Ich hatte Albträume, da ist mein Sohn umgebracht worden, das hab ich richtig erlebt, ich hatte Spinnen im Vorhang, ich hatte einen Menschen im Zimmer, es war unmöglich, ich wusste nicht mehr, was ist echt und was ist nicht mehr echt, ja, also ich habe mich schon in der Psychiatrie gesehen."
Genau das hatte die Ärzte auch vorgeschlagen. Die Überweisung war schon ausgefüllt. Allerdings holte die Familie der Patientin sie lieber nach Hause. Dort ging es ihr allerdings noch schlechter als vorher. Also kam sie wieder in eine Klinik, zwei Tage in eine Psychiatrie, anschließend in die Neurologie.
"Ich hab gedacht, meine letzte Stunde hat geschlagen, bin auch sehr oft reanimiert worden, ja, was war das, so eine Art Koma, ich war dann weg. Ich hab dann auch aufgegeben, ich wollte einfach nur sterben, also, das wäre mir egal gewesen."
Dunkler Urin brachte Ärzte auf die richtige Spur
Mit Hochdruck untersuchten und testeten die Mediziner – und äußerten nach einigen Tagen tatsächlich einen vagen Verdacht, wie sich der Ehemann der Patientin erinnert.
"Es war uns eigentlich auch aufgefallen im Blick zurück, dass der Urin meiner Frau im Endeffekt drei Wochen so ein bisschen dunkel war. Die haben immer gesagt, das wäre eine Entzündung, dann haben sie mal gesagt, das wäre keine Entzündung, es ging dann immer so ein bisschen hin und her. Dann hat dieser Oberarzt diesen Versuch, sage ich mal, für uns gemacht, den Urin zu sammeln, die haben dann mit Alufolie das Urinpäckchen abgedunkelt, und nach zwei Tagen haben sie dann gesagt, dass sie sich ziemlich sicher sind, dass meine Frau die Porphyrie hat, und von da an ging es dann stetig bergauf."
Über einen Kontakt in Zürich bekam sie schließlich beim Leiter des Porphyrie-Kompetenzzentrum Chemnitz, Professor Ulrich Stölzel, einen Termin.
"Die Kombination von diesen Bauchschmerzen und psychiatrischen Veränderungen, und schließlich waren dann noch diese Lähmungen hinzugekommen, das sind klassischen Befunde für die akuten Porphyrien."
Synthese des roten Blutfarbstoffs funktioniert nicht
Porphyrien sind genetisch ausgelöste Stoffwechselerkrankungen, die mit Störungen des Aufbaus des roten Blutfarbstoffs "Häm" einhergehen. Acht Enzyme spielen bei der Hämsynthese eine Rolle, je nach dem welches einen Defekt aufweist, reichern sich Zwischenprodukte in den verschiedenen Organen an und verursachen die für die jeweilige Porphyrie typischen Symptome.
Bei der Mainzerin produziert die Leber unentwegt sogenannte Häm-Ringe. Glücklicherweise gibt es für diese Variante eine ausgesprochen trickreiche Behandlung. Der US-amerikanische Arzt Dr. Herbert Bonkovsky schlug in den 70er-Jahren vor, die Überproduktion krankmachender Häm-Ringe zu stoppen, indem man dem Körper noch mehr Häm-Ringe zuführt.
"Wenn ich diese Häm-Ringe als Medikament spritze, dann erhält die Leber ein Signal, ich muss das nicht fortsetzen, das zu produzieren, und dadurch kommt es zu einer Rückkopplung, einer Hemmung, und dieser ganze gestörte Stoffwechsel kommt innerhalb von 48 Stunden allmählich zur Ruhe und die Erkrankung bessert sich dann auch."
Lebensbedrohliche Erkrankung
Es funktioniert. Seit die Mainzerin das Medikament bekommt, geht es ihr wesentlich besser. Rückfälle mit Schmerzen, Lähmungen und psychiatrichen Symptomen sind selten geworden. Allerdungs musste sie einige Bereiche ihres alltäglichen Lebens umgestalten. Die Ernährung zum Beispiel, außerdem ist Stress Gift für ihren Körper.
"Man versucht, mehr Ruhe zu bringen in seinen Alltag, vieles wegzudrängen, wegzuschieben, die Familie hilft mir dabei, dass auch gewisse Probleme, die in der Familie sind, von mir wegbleiben, dass ich diesen emotionalen Stress nicht kriege."
Über erste Erfolge kann sie auch schon berichten.
"Ich habe mich gestreckt, was ich schon über Jahre nicht mehr kann, weil dann diese Krämpfe kommen, die ganz extremen, und heute Morgen hatte ich beim Strecken keine Krämpfe, also, es ist sowas positives, wo ich weiß, wir sind auf dem richtigen Weg, und da bin ich unwahrscheinlich dankbar."