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Der besondere Fall
Unerträgliche Schmerzen im Unterleib

Verstopfung, Blähungen, Bauchschmerzen können viele Ursachen haben. Manchmal versteckt sich eine Krankheit auch regelrecht hinter diesen Symptomen. Bei einer jungen Frau aus Norddeutschland wurde zunächst ein Reizdarm infolge einer Darminfektion diagnostiziert, bis eine Spezialistin die wahre Ursache erkannte.

Von Mirko Smiljanic | 23.05.2017
    Zwei Hände auf einem Bauch
    Verstopfung, Blähungen und starke Schmerzen im Unterbauch: Jahrelang litt eine junge Frau an einem unentdeckten Morbus Crohn. (Imago)
    2011, irgendwo zwischen Flensburg und Lübeck. Die damals 20-jährige Büroangestellte ist eine lebenslustige Frau: Sie treibt Sport, trifft sich mit Freunden und hört mit Begeisterung Songs von Adele. Das Leben ist schön! Mit einer Ausnahme: Seit einiger Zeit hat sie Schmerzen im Unterleib.
    "Richtig dran erinnern kann ich mich, dass ich im Sommer 2011 EHEC bekommen habe, und da hatte ich so starke Schmerzen, bin auch zum Arzt gegangen, aber die Ärzte haben festgestellt, das ist EHEC. Ich wurde auch lange deswegen krankgeschrieben, aber die Schmerzen haben einfach nicht aufgehört. Die meinten, sie könnten wegen des EHEC mir auch kein Antibiotikum verschreiben. Und da ging es eigentlich los."
    Privatdozentin Viola Andresen vom Israelitischen Krankenhaus Hamburg erklärt:
    "EHEC ist ein ganz besonderer Darmkeim, der eine schwere Darmentzündung verursachen kann mit blutigen schweren Durchfällen und der zusätzlich noch eine Organbeteiligung nach sich ziehen kann mit einem schweren Nierenversagen."
    Patientin: "Ich hatte nicht das typische Durchfallproblem wie viele andere EHEC-Patienten, bei mir war es genau umgekehrt: Ich hatte starke Verstopfung, starke Blähung und dadurch auch sehr, sehr starke Schmerzen im rechten Unterbauch, obwohl die Ärzte immer zu mir sagten, das kommt durch den Infekt, durch den Darminfekt von dem EHEC."
    Ihr Blut wird untersucht, Stuhlproben genommen – die Befunde sind jedes Mal unauffällig. Spätestens als die EHEC-Infektion nicht mehr Ursache der Schmerzen sein kann, ist ihr Arzt ratlos.
    "Seitdem ging es mir eigentlich immer schlechter, sag ich mal, seitdem habe ich immer Blähungen gehabt über Jahre, starke Bauchschmerzen, rechts im Unterbauch, aber auch so stark, dass es entzündet war, dass ich kaum meinen Bauch anfassen konnte."
    Erste Diagnose: Reizdarm
    Verzweiflung macht sich breit bei der jungen Frau. Mehrfach wechselt sie ihre Ärzte – ohne jeden Erfolg. Bis einer der Mediziner doch eine Diagnose stellt:
    "Sie meinten, dass durch einen EHEC zum Beispiel, durch so einen Darminfekt, dass da auch ein Reizdarm ausgelöst werden kann, dass ich mich einfach mehr bewegen soll, mehr trinken soll, weil ich auch eine sitzende Arbeit hab, ja, das meinten die Ärzte jahrelang zu mir."
    "Reizdarm" ist eine Störung des Verdauungstraktes. Die Funktion des Darms ist beeinträchtigt, allerdings lassen sich keine organischen Ursachen finden – so Dr. Viola Andresen.
    "Ein Reizdarm-Syndrom ist auch heute noch eine Ausschlussdiagnose, das heißt, man hat diese typischen Beschwerden, chronische Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfall, Verstopfungen. Das Tückische ist tatsächlich, dass diese schweren Darminfektionen in der Folge ein Reizdarmsyndrom nach sich ziehen können, das ist typisch. Wir haben eine große Studie dazu durchgeführt bei dieser EHEC-Kohorte, dass bis zu 25 Prozent der EHEC-Betroffenen ein Reizdarm-Syndrom entwickelt haben, und das waren Patienten, die vorher darmgesund waren."
    "Im Dezember 2016 hat es bei mir angefangen, dass ich gemerkt habe, als ob ich einen Fremdkörper rechts unten im Bauch hatte. Dann bin ich zu uns ins Krankenhaus, die haben mich immer wieder weggeschickt zwei, drei Mal, und irgendwann haben sie gesagt, das ist wahrscheinlich der Blinddarm, haben mir den Blinddarm entfernt im Januar 2017. Nach der OP ging es mir so schlecht, ich hatte auch Drainagelöcher im Bauch, und die haben immer geeitert, vier Wochen lang, und dann habe ich gesagt, jetzt reicht es, das kann alles nicht mehr hinhauen, was die mir hier erzählen und dann bin ich nach Hamburg gegangen in eine Spezialklinik."
    Unentdeckter Morbus Crohn
    Und zwar ins Israelitische Krankenhaus. Dort trifft die Reizdarmspezialistin Viola Andresen zum ersten Mal ihre Patientin:
    "Die Patientin kam sehr desolat in die Klinik und da wurde als erstes ein Ultraschall des Bauches vorgenommen. Und dort hat man gleich gesehen, dass sich ein großer Eiterherd in ihrem rechten Unterbauch befand, also in der Region, wo zuvor der Blinddarm operiert worden war, aber wo auch eine Beteiligung zu sehen war zwischen dem Ende des Dünndarms und dem Beginn des Dickdarm."
    Nach einer Stunde ist klar: Die Diagnosen "Reizdarm" und "entzündeter Blinddarm" sind falsch. Ein paar Untersuchungen und wenige Stunden später steht fest: Die junge Frau leidet seit Jahren an einem unentdeckten Morbus Crohn.
    "Es ist letztlich eine Erkrankung, wo das Immunsystem die Darmwand selber angreift, es ist ein chronisches Missverhältnis zwischen der Entzündungsreaktion und der Darmwand. Es lief lange Zeit auch als Autoimmunerkrankung, dass irgendwas aus den Darm dazu veranlasst, gegen sich selber Entzündungen zu produzieren."
    Im nächsten Schritt entscheiden die Hamburger Mediziner, ob eine medikamentöse Therapie reicht oder ob sie Teile des entzündeten Darms entfernen müssen. In diesem Fall ist eine Operation unumgänglich:
    "Man hat diesen ganzen Bereich, der entzündlich verbacken war, wo sich auch schon Fisteln, also Verbindungsgänge, gebildet haben, der wurde komplett entfernt, und es wurde an den gesunden Enden der Darm wieder zusammengenäht. Aber letztendlich fehlt der Patientin jetzt ein wesentlicher Teil ihres Darms, das Ende des Dünndarms und der Anfang des Dickdarms."
    Jahrelang mit Beschwerden herumgelaufen
    Den Eingriff hat die Patientin problemlos überstanden, mittlerweile geht es ihr ausgesprochen gut:
    "Der Patientin geht es prima, sie schwärmt, dass es ihr seit Jahren nicht so gut gegangen ist, und erst im Nachhinein wird ihr noch mal bewusst, dass sie jahrelang mit ihren Beschwerden rumlief, man hätte ihr im Nachhinein eigentlich viel früher helfen können und man hätte ziemlich sicher die Operation vermeiden können, wenn man die Erkrankung frühzeitiger entdeckt und korrekt behandelt hätte."
    Patientin: "Ich hab mich schon immer nicht ernst genommen gefühlt, im Nachhinein fühle ich mich bestätigt. Ich habe immer das Gefühl, wenn man als junger Mensch nicht vor Schmerzen auf dem Boden krabbelt, dass man von den Ärzten überhaupt nicht ernst genommen wird!"