Freitag, 19. April 2024

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Der Besuch der alten Dame bei den Ruhrfestspielen
Großes Theater auf großer Bühne

Schuld, Moral, Gier und Populismus - all das verhandelt Frank Hoffmann in seiner aktuellen Inszenierung "Der Besuch der alten Dame" bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen. In einer Koproduktion mit dem Burgtheater ist dem scheidenden Intendanten zum Abschied großes Theater auf großer Bühne gelungen.

Von Dorothea Marcus | 04.05.2018
    Burghart Klaußner und Maria Happel (v.l.n.r.) während der Proben von "Der Besuch der alten Dame" bei den Ruhrfestspielen
    Der Besuch der alten Dame: Burghart Klaußner und Maria Happel bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen (Reinhard Werner)
    Güllen ist ein Pantherkäfig. Aus diesem Loch gibt es kein Entkommen: Hoch ragt die graue Betonwand, halb geöffnet das Fenster mit den Gitterstäben im Bühnenbild von Ben Willikens. Natürlich ist es da eine Sensation, als die Stadttochter Claire Zachanassian wie eine archaische Göttin im Kreischen eines Zuges im Scheinwerferspot erscheint. Einfach die Notbremse am Zug gezogen hat sie. Weil sie es als Milliardärin einfach kann. Mit wallenden roten Haaren und schwarzem Hut und Kleid ist Schauspielerin Maria Happel eine imposante Geistererscheinung aus einer anderen Zeit, Racheengel und Wohltäterin zugleich, lässt in pantherhafter Ruhe ihren vergifteten Charme auf die Güllener los, die sie unterwürfigst umschmeicheln. Zunächst geht es vermeintlich um das Aufwärmen alter Erinnerungen – vor allen Dingen ihrer Liebe zu Alfred Ill, der in Güllen hängengeblieben ist.
    Claire: Auf diesem Findling ist es passiert. Vor mehr als 45 Jahren. Wir liebten uns. Alfred: Wärst du hiergeblieben, wärst du genauso ruiniert wie ich. Ein ruinierter Kaufmann in einer ruinierten Stadt. Ich lebe in der Hölle, seit du von mir gegangen bist. Claire: Und ich bin die Hölle geworden.
    Visionäre Kräfte
    Burghardt Klaußner spielt redlich jenen gedankenlosen, vermeintlich aufrechten Kaufmann, der Claire einst übel mitgespielt hat und ihr Kind verstieß – und nun glaubt, 45 Jahre hätten das schon irgendwie aus der Welt geschafft. Claire ist aber gekommen, um sich auf archaische Weise zu rächen: Sie bietet dem armen Dorf eine Milliarde Euro, wenn es Alfred tötet. Moralisch entrüstet beruft man sich in Güllen auf die europäischen Werte. Doch zu verführerisch ist das Schuldenmachen. Alfred selbst ahnt schon sehr früh, wo es hingeht – da baut Klaußner auf einmal auf visionäre Kraft in seinem tumben Charakter.
    Alfred: Du hast ja neue Schuhe? Gelbe neue Schuhe. Auch du Hofbauer, hast neue gelbe Schuhe. Hofbauer: Man kann doch nicht ewig in den alten rumlaufen. Alfred: Wie konntet ihr euch neue Schuhe kaufen? Hofbauer: Wir ließen es aufschreiben. Alfred: Aufschreiben? Wieso habt ihr auf einmal Kredit in den Geschäften? Womit wollt ihr zahlen? WOMIT?
    Martialische Kräfte
    Als das Geld lockt, weiten sich die Perspektiven in Güllen und auch das Bühnenbild: Hinter der Gefängniswand hängt ein riesiger eiserner Haken wie ein Menetekel herab. Immer martialischer ist bald jeder bewaffnet, gelb wie Tigertatzen leuchten die neuen Schuhe. Bedrohlich gurgelt immer wieder ein Raubtier im Off, und auch der Polizeihauptkommissar bewegt sich auf allen Vieren wie ein Panther durch die Wache – eine geschmeidige Clownsnummer. Ein wenig überstrapaziert wird die Raubtiermetapher an diesem Abend, die darauf hinweist, dass das wilde, reißende Tier in jedem steckt, wenn es nur monetär herausgekitzelt wird. Schön führen Frank Hoffmann und das bravourös und sehr witzig agierende Ensemble - vor, wie schnell die europäischen Werte und Worte umgewertet werden können in Barbarei – gleiches Etikett, neuer Inhalt. Denn einfach töten kann man Alfred natürlich nicht, ihn aber mit einem Psychokrieg, gemeinschaftlichen Gas-Lighting, zum Selbstmord für das Gemeinwohl treiben, das geht natürlich schon. Und so werden in Güllen eifrig und scheinheilig die Bedeutungen von Moral und Gerechtigkeit umgewertet, während Claire Zachanassia einfach entspannt abwartet wie eine Spinne im Netz.
    Schlimm hat er es getrieben mit der armen Frau Zachanassias. – Frau Else, wenn Ihr Mann hier irgendwelche Lügen herumerzählt, wir hätten was auf seinen Tod ausgesetzt oder so, die arme brave Frau Zachanassia, die hat weiß Gott genug erduldet…
    Auf der finalen Stadtsitzung, auf der auch die Zuschauer demokratisch über den Tod von Alfred abstimmen sollen, im Namen des Humanismus, versteht sich, wird nicht gespart mit heiteren Gewerkschaftsanspielungen für das illustre Eröffnungspublikum. Und als es ans Sterben geht, klirrt und rumpelt es, als säßen wir mit den Ruhrpottkumpels in der Grube – tatsächlich geht der Steinkohlebergbau hier ja auch in diesem Jahr zu Ende. Frank Hoffmann ist zum Abschied vom Ruhrgebiet ein großer Abend der gelungen, der zeigt, wie fragil die Werte des Abendlands sind – und wie schnell sie, im wahrsten Sinne des Wortes, ihre Bedeutung verlieren.