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Der Betrugsskandal um Freiburger

Am Ende der Prüfung war fast alles gut für die Universitätsklinik Freiburg. Im Mai 2009 legte eine Untersuchungskommission, die die Dopingpraktiken an der Kaderschmiede der deutschen Sportmedizin aufrollen sollte, einen Schlussbericht vor, mit dem die Verantwortlichen in und um diese Pharma-Tankstelle bestens leben konnten. Der Report legte nur die Spitze des Eisbergs bloß.

Von Thomas Kistner | 29.08.2010
    Der frühere Sozialrichter Hans-Joachim Schäfer, Leiter dieser sogenannten kleinen Kommission, der Kölner Laborchef Wilhelm Schänzer und Pharmakologe Ulrich Schwabe hatten 77 Zeugen befragt, sie werteten Quittungen und Kontobewegungen aus und tausende Blutproben. Dann war auch für sie klar: Im Telekom-Rennstall, wer hätte das gedacht, wurde von 1995 bis 2006 unter Regie der Sportärzte Andreas Schmid und Lothar Heinrich systematisch gedopt. Neben geständigen Sündern wie Patrik Sinkewitz belastet der 63-seitige Bericht die Profis Andreas Klöden und Matthias Kessler. Die Ärzte sollen Atteste gefälscht, Zahlungen verschleiert und Schlimmeres getrieben haben. Bei einer Transfusion für Sinkewitz hatte sich 2006 gar eine lebensgefährliche Blutverklumpung eingestellt. Damit, sagte ein Kommissionär, liefere man "dem Staatsanwalt und der Approbationsbehörde Argumente”, auch das sei Sinn dieser Arbeit. Nichts geschah. Die Staatsanwaltschaft selbst stieß auf die sport typische Mauer des Schweigens. Sie klagte, Zeugen würden "aus früheren Kollegenkreisen bedroht”.

    Im Sport, aber auch im Breisgau halten sie zusammen gegen die Aufklärer von außen. Zweifellos hat der Betrug in Freiburg weit umfassendere, Jahrzehnte alte Tradition, es geht nicht nur um zwei irregeleitete Sportärzte. Der Kommissionsbericht war eine Farce. Politische Mächte waren von Beginn an im Spiel, als die Uniklinik angesichts der Dopingenthüllungen um Jan Ullrich und das T-Mobile-Team glaubte, Prüf-Stäbe einsetzen zu müssen. Sie dürfte den Schritt längst bereuen, damals aber bewegte sich die Uni in der Exzellenzinitiative, und man wollte nicht die sportärztliche Abteilung als Betrugsinstitution gebrandmarkt sehen.

    Dabei dürfte für Szenekenner, für jeden klaren Verstand unstrittig sein, dass Freiburg seit den Siebzigerjahren ein nationaler Manipulationsherd war - seit dort der Doping-umwitterte Sportarzt Joseph Keul Heldenstatus erlangte.

    Schäfers Kommission indes fand nicht mal Belege gegen Jan Ullrich - den Mann, den jüngst das Landgericht Hamburg als Dopinglügner enttarnte. Auch hätten Heinrich und Schmid an der Uniklinik ohne Mitwisser gehandelt - dabei waren mindestens fünf weitere Ärzte und sonstige Helfer involviert. Klar, dass die braven Prüfer auch keine Hinweise auf eine aktive Rolle Keuls fanden. Dass dieser tiefgekühlte Dopinglieferungen an Radprofis abzeichnete, war ihnen so wenig Beweis wie Vorwürfe gedopter Athleten. So schrieb der Ex-Olympiaschwimmer Dirk Braunleder, er wisse noch gut, "als Sie, Professor Keul, mir im olympischen Dorf - nach Aufzeigen von Repressalien der Funktionärsgilde im Weigerungsfall - mit euphorischen Äußerungen ob der Wirkung die Spritze setzten."

    Die Wahrheit ist von flüchtiger Natur in Freiburg. Chefprüfer Schäfer war im April 2009 gar völlig perplex, als der "Spiegel" einen Zwischenbericht seines Abschlussreports veröffentlichte -"ich schreibe gerade zuhause daran”, sagte er auf Anfrage. Diese Indiskretion war entlarvend. Lanciert hatte das Papier ein Insider, aus Sorge, wie es intern hieß, es könne noch "dirigistischer Einfluss” auf den Endbericht genommen werden. Das richtete sich gegen die Universität. Deren Spitze hatte mit der Kommission Textteile erarbeitet.

    Wahrhaft "unabhängig” war die Kommission wohl nie. Die Uni hatte sogar eine Juristin für die Geschäftsführung delegiert, intern hieß es, zu Inhalten und Stoßrichtung der Prüfung habe nicht immer Einigkeit geherrscht. Vor allem zu Vorgängen um Keul, den 2000 verstorbenen Doyen, hätten die Prüfer nur begrenzt Zugang erhalten. Dabei ranken sich glasklare Fragen nicht nur um Keuls bizarre Doping-Nähe, sondern auch um die Finanzen seiner kaum bekannten Nenad-Keul-Stiftung.

    Keul wurde nie belangt, Jünger wie Schmid und Heinrich setzten sein Werk fort. Das Duo gab nicht nur Geld des Sponsors für Betrug und Feldforschung aus - auch aus Bundesmitteln sollen sie Hunderttausende abgezweigt haben. Geld, das für die Betrugsbekämpfung bestimmt war, fließt in Deutschland traditionell gern in angeblich vertrauenswürdige Ärztekanäle. So waren Keul und Co. auch an einer vom Innenministerium mit 300.000 D-Mark finanzierten Testosteron-Studie beteiligt, bei der Kaderathleten gespritzt wurden. Hierzulande ist es gar kein Problem, dass viele mit Spitzenathleten arbeitende Sportärzte zugleich Dopingstudien betreiben. Dabei kann dies neue, ständig verfeinerte Betrugswissen, das offiziell zur Dopingbekämpfung gesammelt wird, ebenso gut zur Anwendung genutzt werden. Schmid und Heinrich lassen grüßen.

    Doch es gibt ja noch eine große Kommission, die der politischen Dimension der Dopingvergabe in Freiburg nachgehen soll - sie kann die Büchse der Pandora noch öffnen.

    Dieser Expertenstab unter Leitung der Kriminalprofessorin Letizia Paoli ist gut beraten, wenn er nicht den chronischen Lügen der Drogen- und Sportindustrie glaubt, sondern Prinzipien der Strafrechtsverfolgung beherzigt: Folge dem Geld. Denn der moderne Spitzensport trägt - auch und gerade in Deutschland - die Züge eines typisch mafiösen Netzgewerbes.