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Der Buchhandel und die digitale Konkurrenz

Deutschland ist mit Abstand der größte Buchmarkt Europas. Doch die Anzahl der Buchhandlungen ist in den letzten zehn Jahren um rund 20 Prozent gesunken. Ein Teil des Buchhandels wird inzwischen im Netz abgewickelt. Bedrohen amerikanische Internethändler den europäischen Buchmarkt?

Von Cornelius Wüllenkemper | 11.09.2013
    Wie kann es sein, dass der Großkonzern Amazon E-Bücher in Europa geringer versteuert als dies geltendes Recht für europäische Unternehmen vorschreibt? Was wird angesichts des Trends zum digitalen Selbstverlag und zum Online-Handel aus klassischen Verlegern und Buchhändlern? Fragen, die nicht erst seit gestern gestellt werden, und deren Lösung Akteure auf den beiden wichtigsten europäischen Literaturmärkten Deutschland und Frankreich immer nachdrücklicher anmahnen. Matthieu de Montchalin, Präsident des französischen Buchhändlerverbandes, sieht neue Vertriebswege und Medien dabei keineswegs als Bedrohung der europäischen Buchkultur.

    "Ich sehe nicht, wieso ich meine Arbeit mit Büchern nicht mehr machen könnte, nur weil der Text auf einem E-Reader oder einem Tablett-Computer erscheint. Es ist doch der gleiche Text! Auch die Arbeit, um einen Autor zu entdecken, bleibt doch die gleiche! Dasselbe gilt auch für den Versandhandel: Wieso sollten das Buchhändler nicht auch machen können? Das Problem ist, dass wir es mit sehr verzerrten Wettbewerbsbedingungen zu tun haben. Es geht heute nicht darum, uns vor irgendwem zu schützen, sondern darum, gerechte Handelsbedingungen zu schaffen."

    Während deutsche und französische Händler auf E-Bücher den vollen Mehrwertsteuersatz zahlen, werden diese in Amerika steuerbegünstigt. Amazon, das sein Europageschäft vom steuergünstigen Luxemburg aus betreibt, profitiert auf dem alten Kontinent dabei ebenfalls von einem niedrigen Steuersatz. Das amerikanische Monopol-Unternehmen verlangt auch beim Segment gedruckter Bücher zusehends größere Einkaufsrabatte bei den Verlagen. In Frankreich bereitet man derzeit ein Hilfsprogramm für den Buchhandel vor, wie Nicolas Georges, Beauftragter für Buch und Lesen im Kulturministerium erklärt.

    "Wir arbeiten daran, dass die Mieten für Ladengeschäfte in der Innenstadt gedeckelt werden. Außerdem haben wir vor, dem Buchhandel günstige Kreditkonditionen zu verschaffen. Und wir werden eine Qualitätskontrolle für den Buchhandel einführen, bei der besonders wertvolle Buchhandlungen mit Steuervorteilen belohnt werden. Wir sorgen damit dafür, dass die Umsätze im französischen Buchhandel wieder auf dem Durchschnittsniveau des Einzelhandels liegen."

    Diese Form des Hineinregierens in den Markt ist dabei ein Alleinstellungsmerkmal der französischen Kulturpolitik. Den Mehrwertsteuersatz für E-Bücher hat man bereits gegen geltendes europäisches Recht gekürzt und hier sogar die Buchpreisbindung eingeführt. Und in Deutschland? Auf dem mit Abstand größten Buchmarkt Europas ging die Anzahl der Buchhandlungen in den letzten zehn Jahren um rund 20 Prozent zurück, 16 Prozent des Buchhandels werden heute im Netz abgewickelt, davon fallen geschätzte 40 Prozent auf Amazon. Julia Claren, Geschäftsführerin des Dussmann Kulturkaufhauses in Berlin, blickt dennoch gelassen in die Zukunft.

    "Dass wir einerseits ein extrem großes Repertoire anbieten, das ist ein Vorsprung gegenüber dem Logistikgeschäft, der ist vielen Menschen den Weg vom Computer weg in die Stadt wert. Und dann ist unser nächster Schritt natürlich dafür zu sorgen, dass dieser Weg belohnt wird mit perfekt kuratierten Produktwelten einerseits und andererseits mit einer guten Atmosphäre. Mit Menschen, die etwas verstehen von dem Fach, die Ansprechpartner sind, die kommunikativ und bereit sind, einzugehen auf einen Kunden."

    Thomas Hettche war einer der ersten deutschen Autoren, die sich um die Jahrtausendwende dem Lesen, Schreiben und Kommentieren auf Online-Plattformen verschrieb. Heute ist er kritisch. Das Recht des Lesers auf Isolation, die intime Beziehung zwischen Buch und Leser sei eine gewichtigere Freiheit als die der absoluten Transparenz und Verfügbarkeit für jeden auf Blogs und literarischen Online-Plattformen:

    "Weil die Menschen dort immer wissen, dass ihnen zugeschaut wird, weil sie immer im Dialog stehen, dass, was sie posten, immer sofort bewertet wird. Ich glaube, das schafft einen ganz anderen Umgang mit Texten. Ich glaube, dass zu einem Text die Erfahrung der Freiheit der Einsamkeit gehört. Und dass wir früher in unserer Kultur dafür Platz gelassen haben, den wir jetzt kassieren, weil es den digitalen Vermittlungsmaschinen es natürlich nicht primär um den literarischen Inhalt geht. Sondern es geht darum, dass Inhalt überhaupt produziert wird."

    Kurz danach traf beim deutsch-französischen Buchforum die Erregung der Literaturschaffenden auf die nüchterne Antwort aus der Europäischen Kommission. Die stellvertretende Kabinettschefin des Kommissars für Binnenmarkt und Dienstleistung, Kristin Schreiber, wies darauf hin, dass Steuersenkungen für E-Bücher Einstimmigkeit im Ministerrat erforderten und zu Zeiten der Staatsbankrotte einfach nicht durchzusetzen seien. Ist er das, der kulturelle Ausverkauf? Immerhin wird Amazon seine Steuern ab 2015 in dem Land bezahlen müssen, in dem es seine Bücher verkauft. Zuletzt munkelte man in der Branche gar, dass der extrem verschwiegene Konzern beim Buchverkauf in Deutschland im vergangenen Jahr Umsatzrückgänge von 15 bis 20 Prozent verzeichnen musste. Die kulturbeflissene Empörung über die Konkurrenz aus Übersee ist dennoch mehr als viel Lärm um Nichts.