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"Der Bund muss mit ins Boot"

Die Deutschen Studentenwerke schlagen Alarm: Weiterhin fehlten rund 25.000 Wohnheimplätze, sagt Präsident Dieter Timmermann und fordert ein Bund-Länder-Programm von 860 Millionen Euro. Die von der Kanzlerin ausgerufene "Bildungsrepublik" dürfe nicht nur in Sonntagsreden stattfinden.

Dieter Timmermann im Gespräch mit Jörg Biesler | 05.12.2012
    Jörg Biesler: 2,5 Millionen Studentinnen und Studenten gibt es aktuell in Deutschland – wir haben das gerade im Beitrag gehört. Das ist gut, aber die wollen natürlich nicht nur lernen, sondern auch essen und schlafen, die haben einen Beratungsbedarf und sie müssen ihr Studium finanziert kriegen. Dafür zuständig sind die Studentenwerke der Hochschulen, und die läuten heute die Glocke, weil sie nicht mehr nachkommen: Mit der Versorgung nicht und mit dem Bearbeiten von BAföG-Anträgen auch nicht. Dieter Timmermann ist der Präsident der Deutschen Studentenwerke – guten Tag, Herr Timmermann!

    Dieter Timmermann: Schönen guten Tag!

    Biesler: Wo liegen denn die Defizite?

    Timmermann: Ja, sie liegen einmal in dem Mangel an preisgünstigen zusätzlichen Wohnheimplätzen. Wir schätzen, dass etwa 25.000 Plätze fehlen, trotz der zurzeit im Bau befindlichen und auch in den letzten Wochen eingeweihten, es fehlen immer noch etwa 25.000, und dafür brauchen wir ein Bund-Länder-Programm. Die Länder alleine wären überfordert, deshalb muss der Bund mit ins Boot.

    Biesler: Ja, Bund-Länder-Programm sagen Sie so locker – 860 Millionen Euro, sagen Sie, brauchen Sie jetzt nicht nur allein fürs Wohnen, sondern auch für den Ausbau der Cafeterien, der Mensen, das ist eine Menge Geld.

    Timmermann: Das ist eine Menge Geld, zweifellos, aber wir sind ja der Meinung, dass die Hochschulen insgesamt unterfinanziert sind, und dass das auch für die Studentenwerke gilt. Und wenn wir ja einigermaßen vernünftige Versorgungsbedingungen herstellen wollen, dann müssen wir, beziehungsweise Bund und Länder, diese Summe aufbringen. Das ist nun mal so, und wir sehen ja, dass, wenn Not an anderen Männern ist sozusagen, ob es die Bankenkrise war oder wenn der Ramsauer mal eine Milliarde mehr für den Straßenbau haben will, dann scheint da die Tasche offen und locker zu sein, und wir hoffen, dass das auch für die Studierenden gilt, denn das ist die Zukunft Deutschlands.

    Biesler: Angela Merkel hat ja gestern auf dem CDU-Parteitag die Wichtigkeit der Bildung betont fürs Land und auch für die Zukunft des Landes, dennoch hat man ja so das Gefühl, dass Ihre Jahrespressekonferenzen eigentlich immer ziemlich ähnlich sind: Sie haben immer aktuelle Zahlen, aber es geht doch eigentlich immer darum, dass Sie viel zu wenig Geld haben. Haben Sie denn die Hoffnung, dass sich da irgendwas ändert? Vielleicht durch den Eingriff der Kanzlerin?

    Timmermann: Also die Kanzlerin hat ja auch die Bildungsrepublik ausgerufen, wir sehen aber mit Sorge, dass bisher wenig an Programmen in Gang gesetzt worden ist. Das heißt also, es sind immer wieder die Sonntagsreden oder die Parteitagsreden, die geschwungen werden. Nein, wir hoffen schon, dass die Einsicht in die Notwendigkeit dieser Investition sich langsam mal in die Köpfe bringt und dass dann auch tatsächlich ein Programm mal aufgelegt wird. Aber wir haben ja nur die einzige Chance, es immer wieder zu betonen. Sie sagen ja auch selber, dass das keine neue Forderung ist, dass wir das schon öfter und länger fordern, weil eben bisher nichts passiert ist, das ist ja der Grund. Und wenn in Zukunft nichts passieren wird, die Studierenden aber vor den Türen stehen, wohnen wollen, dann werden sie möglicherweise eines Tages wieder das tun, was sie können, nämlich protestieren, demonstrieren. Und möglicherweise muss es erst so weit kommen, bis Länder und Bund dann reagieren.

    Biesler: Vielleicht ist ja vor der Bundestagswahl jetzt noch eine ganz gute Gelegenheit, solche Forderungen aufzustellen, da passiert ja dann doch gelegentlich mal was, was ansonsten nicht so passiert. Wenn wir mal aufs BAföG schauen, dann ist die Situation da auch nicht so richtig gut. Wir haben gestern noch drüber berichtet, welche Schwierigkeiten es da gibt, auch bei der Antragsbearbeitung in den Ämtern, da fehlt Personal zum Teil. Sie haben aber jetzt darüber hinaus auch noch einen Zehn-Punkte-Plan aufgestellt für ein besseres BAföG. Was für Punkte sind das?

    Timmermann: Ja, das ist ein Punkte-Programm, Zehn-Punkte-Programm, das kurzfristige Verbesserungsvorschläge enthält, also beispielsweise die Anpassung der Bedarfssätze und Elternfreibeträge an die Entwicklung von Preis und Einkommen …

    Biesler: Also dass auch Menschen mit höherem Einkommen der Eltern noch BAföG bekommen können?

    Timmermann: Also wir vermuten ja immer, dass es so ein kleines Mittelstandsloch gibt, dass ein Teil von Studierenden beziehungsweise deren Eltern nicht in den Genuss des BAföG kommen, die so gerade rausfallen. Und wir sind der Meinung, lieber ein großzügiges BAföG als zu eng finanzieren, das ist das eine. Das Zweite ist Vorschusszahlung, also wenn die Anträge irgendwo stocken, sagen wir mal so, aufgebaut werden – Sie haben es eben schon erwähnt, nicht, dass ja im Zuge des kleinen Studentenberges, der so klein gar nicht ist, sich zeigt, die Beitragsbearbeitung dauert, weil ja die BAföG-Ämter bisher so gut wie nicht aufgestockt worden sind, dann dauert es, bis die Antragssummen bewilligt sind, und dann gibt es Vorschusszahlungen von heute 360 Euro. Und davon kann ein Student, eine Studentin nicht leben, vor allen Dingen, wenn sie noch ein Kind haben, was ja häufig der Fall ist.

    Biesler: Haben Sie denn da aus dem Bundesbildungsministerium schon Hinweise vielleicht von der Ministerin, dass die den Weg mitgeht? Die hat sich ja gerade sozusagen aufgestellt auch in der nächsten Legislaturperiode, noch Bundesbildungsministerin sein zu wollen, Annette Schavan, hat die sich dazu schon geäußert?

    Timmermann: Bisher konkret nicht, aber wir sind eingeladen ins BMBF, Anfang des nächsten Jahres, um über diese Punkte zu sprechen.

    Biesler: Ja, jetzt verstehen Sie sich auch als Vertretung der Studierenden, das heißt, Sie sprechen auch für die Interessen der Studentinnen und Studenten an den Hochschulen und kritisieren in dem Zusammenhang Bachelor und Master aber auch ganz grundsätzlich.

    Timmermann: Ja, wir haben heute einen wunderbaren Vortrag von Herrn Bode, das ist der frühere Generalsekretär des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, über Hochschule 2020. Und der hat mir also richtig aus dem Herzen gesprochen, er hat eben sehr stark doch kritisch analysiert die Art, wie die Umstellung, die Bologna-Umstellung an den deutschen Hochschulen erfolgt ist, also dieses Vollpfropfen eines dreijährigen Studiengangs mit Inhalten, jeder Kollege, Professor, Professorin, wollte sein Arbeitsgebiet dort vertreten sehen. Das ist ja in anderen Ländern zum Teil anders gelaufen, also weit weniger gepfropft, und wir würden es sehr begrüßen, wenn ein Bachelorstudium vier Jahre oder acht Semester dauern würde, so wie das in England oder auch in den USA, in Kanada üblich ist, um den Studierenden doch wieder mehr Zeit auch zum Nachdenken einzuräumen. Das heißt also, diese strikte Begrenzung auf fünf Jahre, zehn Semester, die haben eigentlich nur wir in Deutschland.

    Biesler: Dieter Timmermann ist der Präsident der deutschen Studentenwerke und – das kann man am Welttag des Ehrenamtes vielleicht auch sagen – er übt diese Funktion ehrenamtlich aus. Vielen Dank dafür, Herr Timmermann, und auch vielen Dank fürs Interview!

    Timmermann: Ja, danke!


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