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"Der Bundespräsident hat das getan, was er in seinem Amt tun konnte"

Jürgen Falter sagt, dass der Bundespräsident zu spät an die Öffentlichkeit gegangen sei. Dennoch sei seine Erklärung ohne das Wort Entschuldigung verwendet zu haben eine Form der Entschuldigung, so der Politikwissenschaftler.

Jürgen Falter im Gespräch mit Dirk Müller | 23.12.2011
    Dirk Müller: Ist er denn als reuiger Sünder vor die Öffentlichkeit getreten, der einstige Saubermann aus Hannover, wie ihn Oppositionspolitiker in Niedersachsen jetzt spöttisch genannt haben? Wohl kaum! Christian Wulff wirkte gestern verunsichert, leise, in seinem Amtssitz, im Schloss Bellevue. Zum Wort "Entschuldigung" konnte sich der Bundespräsident immer noch nicht durchringen. Immerhin: nach zehn Tagen Diskussion, Irrungen und Wirrungen hat er sich bereit erklärt, sich zu erklären - diesmal nicht über seine Anwälte, auch nicht über seinen Pressesprecher, der musste nämlich seinen Hut nehmen. Ein Opfer ist also zumindest gefunden. Mit seiner Stellungnahme ist die Diskussion um das Staatsoberhaupt noch nicht vom Tisch. Es gibt weitere Vorwürfe.
    Bei uns am Telefon begrüße ich nun den Mainzer Politikwissenschaftler Professor Jürgen Falter. Guten Tag!

    Jürgen Falter: Guten Tag!

    Müller: Herr Falter, war das gestern eine Abbitte nach Maß?

    Falter: Ich glaube, der Bundespräsident hat das getan, was er in seinem Amt tun konnte, was er mit seinem Amt verbinden konnte. Das verlangt auch eine gewisse Würde des Auftretens und das verbietet platte Entschuldigungen, das Eingehen auf diese Entschuldigungssymbolik, die wir uns immer stärker angewöhnt haben. Er hat gesagt, es tut ihm leid, und das sollte man vielleicht doch ernst nehmen.

    Müller: Es tut ihm leid, ist auch eine Entschuldigung?

    Falter: Das ist eine Form von Entschuldigung, ohne das Wort Entschuldigung zu verwenden.

    Müller: Warum ist das so schwer, das Wort Entschuldigung zu verwenden?

    Falter: Ich glaube, die Würde des Amtes des Bundespräsidenten verbietet es, auf jede Forderung der Öffentlichkeit und der Medien einzugehen. Bei wem soll er sich denn entschuldigen, um Gottes willen? Die Einzigen, bei denen er sich wirklich entschuldigen könnte, das sind vielleicht zwei Institutionen: Das ist nämlich erstens der niedersächsische Landtag und zweitens das niedersächsische Staatsvolk. Ansonsten gibt es doch keinen Adressaten einer Entschuldigung.

    Müller: Ich verstehe das nicht ganz mit der Würde, was Sie damit meinen. Das heißt, der Bundespräsident ist nicht würdig, sich auch wörtlich zu entschuldigen?

    Falter: Nein. Die Würde des Amtes verbietet es, dass man sich allen Forderungen unterwirft, denen man sich ausgesetzt sieht, und dazu gehört die Forderung, sich für etwas zu entschuldigen, von dem er glaubt, es sei gar nicht eine Entschuldigung wert, von dem er sagt, es tut ihm leid, dass er so gehandelt hat.

    Müller: Das ist auch aus Ihrer Sicht so, dass eine Entschuldigung die ganze Sache nicht wert sei?

    Falter: Ich halte Entschuldigungen dieser Art für einfach ein Ritual. Ich halte sie für in der Politik ziemlich verfehlt. Es ist ein Einzug des Puritanismus in die politische Debatte. Ich glaube nicht, dass das wirklich adäquat ist.

    Müller: Aber Entschuldigung ist doch ein geläufiges Wort, das versteht auch jeder. Es tut mir leid, versteht vielleicht auch jeder. Aber warum ist das so schwer, sich zu entschuldigen?

    Falter: Wenn besonders häufig das Wort Entschuldigung verwendet wird, verliert es völlig seinen Wert, und ich glaube, es tut mir leid, oder ich hätte das nicht tun sollen, ist die wesentlich bessere Entschuldigung, als zu sagen, ich entschuldige mich. Abgesehen davon ist das eine Form von Unterwürfigkeit, die meines Erachtens dem Bundespräsidenten, der ja nicht im Amt als Bundespräsident diese Fehler begangen hat, nicht steht.

    Müller: Aber ist er adäquat in diesem Amt als Bundespräsident mit seiner politischen Vergangenheit umgegangen?

    Falter: Er ist zumindest adäquat damit umgegangen, dass er ein Thema oder zwei Themen in den Vordergrund gestellt hat seiner gesamten Amtszeit, die einen ausgesprochen hohen Wert haben, nämlich dieser Zusammenklang von Integration und Zusammenhalt, höchst relevante Leitmotive, denen er versucht, auch gerecht zu werden. Und er hat etwas getan, was vor ihm keiner gemacht hat, was aber ungeheuer wichtig war, zu sagen, der Islam ist ein Teil Deutschlands, der deutschen Kultur in der Zwischenzeit. Dafür ist er geprügelt worden von den Leuten, die ihn gewählt haben, von den Konservativen, und hat den Beifall bekommen von der anderen Seite. Das war unbequem und das war durchaus wegweisend, finde ich.

    Müller: Und wenn man so weit politisch konzeptionell, wie Sie es gerade beschrieben haben, Herr Falter, gekommen ist, dann darf man auch einen besseren privilegierten Kredit in Anspruch nehmen?

    Falter: Den Kredit hat er als Ministerpräsident in Anspruch genommen, ...

    Müller: Ist ja auch schon ein Amt!

    Falter: ... , aber nur im Amte des Ministerpräsidenten. Er hat ihn als Privatmann in Anspruch genommen. Und jeder, der schon mal mit einer Bank zu tun hatte, weiß, dass es unterschiedliche Behandlungen von Kunden gibt. Ich selber habe auch schon mal zwei Prozentpunkte, zwei Zehntelprozentpunkte bessere Konditionen bekommen, weil man mich aus dem Fernsehen kannte, beispielsweise bei einem Baukredit.

    Müller: Ist das richtig?

    Falter: Das liegt in der Hand der Bank und es liegt in der Hand des Kunden. Wenn nicht damit verbunden ist ein Vorteil, den der Amtsinhaber dem Kreditgeber gewährt, wenn keine Vergünstigung damit verbunden ist für den Kreditgeber, dann scheint mir das in Ordnung zu sein. Es wäre nicht in Ordnung, wenn die BW-Bank dann tatsächlich irgendeine Form von Vergünstigung durch den niedersächsischen Ministerpräsidenten bekommen hätte.

    Müller: Gelten nicht für Ministerpräsidenten - Sie sind ja Politikwissenschaftler, das heißt Lehrstuhlinhaber; das ist vielleicht noch mal eine andere Kategorie, ohne das jetzt bewerten zu wollen und zu können -, gelten nicht für Ministerpräsidenten, für Regierungschefs andere Kriterien?

    Falter: Es gelten die rechtlichen Kriterien in erster Linie, und das niedersächsische Ministergesetz sagt ja sehr deutlich, solche Dinge sind verboten, wenn sie mit dem Amt verbunden sind, wenn eine Amtshandlung damit verbunden ist. So verstehe ich dieses Ministergesetz. Und das scheint mir, in der Tat nicht der Fall zu sein. Wenn das aber nachgewiesen werden sollte, dann würde es eng werden für Wulff.

    Müller: ... , was sehr schwierig ist, das nachzuweisen. Gibt es dort eine Grauzone, die wir immer akzeptieren müssen?

    Falter: Ich glaube, es gibt eine Grauzone, die wir akzeptieren sollten. Ich glaube, der Puritanismus in der Politik ist nicht die einzig wahre richtige Handlung. Wir sind nicht puritanisch, was die sexuellen Vorlieben angeht und was möglicherweise uneheliche Kinder angeht, da sind wir anders als die USA. Aber bei anderen Dingen sind wir doch sehr puritanisch geworden und politisch korrekt. Ich glaube, es muss den Graubereich weiter geben, sonst werden sie niemanden mehr finden, der tatsächlich von sich aus in die Politik geht. Der Stuhl des Heiligen Vaters ist bereits besetzt!

    Müller: Vergünstigung, Begünstigung - dazu hat sich Christian Wulff gestern Nachmittag im Schloss Bellevue auch geäußert. Wir hören das noch mal:

    Christian Wulff: "Zu keinem Zeitpunkt habe ich in einem meiner öffentlichen Ämter jemandem einen unberechtigten Vorteil gewährt. Persönliche Freundschaften sind mir gerade auch menschlich wichtig. Sie haben aber meine Amtsführung nicht beeinflusst. Dafür stehe ich."

    Müller: Und das glauben Sie ihm?

    Falter: Das nehme ich ihm zunächst einmal ab, denn ich habe keinerlei gegenteilige Evidenz, nichts, was dem widersprechen würde, und Sie haben es vermutlich auch nicht.

    Müller: Und wenn Wahrheiten scheibchenweise herauskommen, weil blockiert wird, weil nicht offen damit umgegangen wird, weil eine Antwort gegeben wird, die ganz anders in der Fragestellung gemeint war?

    Falter: Dann ist das ein grauenvoller taktischer Fehler, den wir bei sehr, sehr vielen Politikern leider beobachten können. Es ist eher ein Stilelement, es hat mit dem Inhalt zunächst einmal nichts zu tun. Allerdings macht es misstrauisch, und deswegen ist es ein solcher grauenvoller Fehler. Der Bundespräsident ist meines Erachtens zu spät an die Öffentlichkeit gegangen. Ich hätte ihm geraten, das früher zu tun, und wenn er es früher getan hätte, wäre vielleicht auch etwas weniger Porzellan zerschlagen worden.

    Müller: Der Mainzer Politikwissenschaftler Professor Jürgen Falter heute Mittag bei uns im Deutschlandfunk.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.