Dienstag, 16. April 2024


Der Comandante und der Clown

Wie ein Fels steht Comandante Roque auf dem obersten Deck. Seine Fähre bringt uns über die Bucht von Salvador da Bahia. Roque ist ein hochgewachsener älterer Herr, schweigsam zunächst, dann zunehmend aufgeknöpft.

Von Jörg-Christian Schillmöller mit Fotos von Dirk Gebhardt | 24.07.2013
    Er verlangt eine Genehmigung für das kurze Interview (die wir nicht haben) - antwortet dann aber sehr freundlich, als wir damit beginnen, ihm Fragen zu stellen.

    Es ist zwölf Uhr mittags in Brasilien. Das Wetter ist durchwachsen, denn hier im Nordosten (und nicht so weit entfernt vom Äquator) ist eigentlich gerade Winter. Es ist trotzdem heiß (knapp 30 Grad), und ab und an gibt es einen Regenguss. Das Nasswerden macht aber nichts, weil der Regen ganz warm ist. Comandante Roque erzählt von sich. Er ist 64 Jahre alt und seit neun Jahren frühpensioniert. Das wurde ihm aber schnell langweilig - und so beschloss er, wieder zur See zu fahren. Roque fährt immer zwei Tage lang, danach hat er zwei Tage frei. 3500 Reais verdient er im Monat, ungefähr 1500 Euro.

    650 Passagiere fasst die Fähre, die sich an riesigen Frachtern vorbei über die Bucht schiebt. Wie im Kinosaal sitzen die Menschen auf den Sitzreihen unter Deck, vorne läuft der Fernsehkanal "Globo" auf zwei Flachbildschirmen, aber niemand versteht bei dem Lärm der Schiffsmaschinen ein Wort. Mit der Fähre kommen morgens die Fischer von der anderen Seite in Itaparica herüber nach Salvador mit ihrem Fang - vor allem Meeresfrüchte. Oder Bauern, die ihr Maniokmehl verkaufen wollen. Mittags fahren sie dann wieder zurück über die Bucht, für knapp vier Reais pro Weg. Das ist gut 1,50 Euro. Comandante Roque lebt in Salvador. Und, sagt er, trotz der Probleme mit Sicherheit und Gewalt, geht es mir hier gut. Ich habe für mein Alter ausgesorgt, meint er und deutet ein Lächeln an.



    Noch eine Begegnung: Inmitten der Menschen tritt Mario auf. Er ist Clown und nennt sich "Palhaço Gugudada". Mario trägt eine rote Pappnase und brüllt seine Geschichten gegen den Maschinenlärm in den Saal. Sprechen tut er über alles, ab und an singt er auch. Jeder Mensch solle Kondome benutzen, ruft er. Und keinen Müll wegschmeißen. Kinder sollten ihre Eltern respektieren, und seine Tante sei die beste Tante von ganz Bahia. Zwischendurch baut er buntes Obst aus Luftballons, die er an Kinder verteilt. Die Leute unter Deck gehen mit, sie lachen, klatschen. Das umgedrehte Tamburin, mit dem Gugudada Geld sammelt, füllt sich mit Real-Scheinen.

    Die nächste Etappe: Nach der Fähre folgt jetzt der Bus, unklimatisiert, voll besetzt, mit schaukelnden dunkelblauen Vorhängen. Rechts und links der Straße lösen sich Hügel und Ebenen ab. Die Gegend ist grün, mit Wiesen und kleinen hellbraunen Rinderherden, dann wieder einzelne Palmen, Obstplantagen und alle Viertelstunde eine kleine Stadt. Endlich erreichen wir die Küstenstadt Valença (bekannt für ihre Meeresfrüchte) - und müssen kurz vor dem Ende unserer Reise ins Archipel noch einmal zwei Stunden warten: Das Schnellboot ist gerade ohne uns losgefahren, das nächste kommt erst um halb sechs.

    Es dämmert, als wir losfahren. Die Sonne geht hier jeden Tag gegen 18 Uhr unter. Wir sind 16 Menschen an Bord, mit Koffern, Rucksäcken und Einkaufstüten. Das Schnellboot zieht eine breite, kraftvolle Bugwelle hinter sich her und rauscht mit 50 Kilometern pro Stunde durch die breiten Süßwasserflüsse, die den Archipel vom Festland trennen. Kilometerlang sind die Mangrovensümpfe, an denen wir vorbeifahren. Wir haben Glück: Es ist Vollmond, und das Licht des Mondes tanzt auf dem "Rio Grande", während gegenüber die Silhouetten von Palmen und Mangroven schwarz vor dem orangefarbenen Himmel hervorstechen.



    19 Uhr: Vor uns tauchen Lichter auf, dann bunte Schiffe, kleine Häuser und ein Pier. Da liegt Boipeba vor uns, ganz still und ruhig, am Himmel über uns zahllose Sterne. Wir sind angekommen.

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    Karte von Boipeba

    Jörg-Christian Schillmöller
    ist seit 2001 Nachrichtenredakteur beim Deutschlandfunk. Er war mehrfach für den Sender im Ausland auf Reportage-Reisen - zuletzt 2012 mit Dirk Gebhardt im Iran. Brasilien hat er im vergangenen Jahr entdeckt.

    Dirk Gebhardt ist Fotograf und Professor für Bildjournalismus an der FH Dortmund. Er arbeitet seit Frühjahr 2012 an einer Langzeit-Dokumentation über den Sertão, eine Trockenwüste im Nordosten Brasiliens. Fotografiert hat er neben Südamerika auch in Afrika und auf dem Balkan.