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Der deutsche Chaplin

Selten wurde ein populärer Unterhaltungskünstler von Bildungsbürgern und Intellektuellen geschätzt wie Karl Valentin. Monika Dimpfl würdigt in ihrer Valentin-Lebensbeschreibung nicht nur den erfolgreichen Bühnenkünstler, sondern ausführlich auch den Schallplatten-, Radio- und Filmemacher Valentin, der sich im Experiment mit den jeweils neuen Medien immer wieder als Meister der Groteske entpuppte.

Von Michael Langer | 29.05.2007
    "Liebe Rundfunkhorcher und -horcherinnen! Wir erlauben uns anlässlich, aus der ähm, anlässlich aus des Um- des Ein- äh, des Umzuges des Einzuges des"

    "Geh, was reden's denn für einen Schmarrn zusammen!"

    "Ja, ich werd ja noch wissen, was ich red'!"

    Was er redete, wenn er so redete, wusste Karl der Komiker von der spindeldürren Gestalt freilich genau, und paradoxerweise auch dann, wenn er virtuos improvisierte. Je besser er war, desto umständlicher wurden seine umwerfenden Couplets, seine abgründigen Szenen, Monologe, Dialoge und aberwitzigen Mini-Dramen, die auch von solchen kuriosen Sätzen lebten: "Jetzt weiß ich nicht mehr, war es gestern oder im vierten Stock?"

    "Ich sing ihnen jetzt ein ganz mieses Couplet vor, das Lachen ist mir vergangen, kann nur noch gezwungen lachen, hahahahahahaha."

    Dass nach Jean Paul der Ernst die Bedingung des Scherzes ist, war dem Künstler als Lebenskünstler bald klar. Geboren wurde das Sonntagskind, das mit bürgerlichem Namen Valentin Fey hieß, am 4. Juni 1882; aufgewachsen ist es als gefürchteter Lausbub im kleinbürgerlichen Milieu der Münchener Vorstadt Au.

    Nach dem frühen Tod des Vaters war die elterliche Möbelspedition dahin. und Valentin hängte seinen erlernten Schreinerberuf gleichfalls an den Nagel, um wagemutigerweise Volkssänger zu werden. Es folgten entbehrungsreiche Wanderjahre als Musikclown Charles Fey, Engagements als Zitherspieler, Possenreißer und Grimassenschneider, ehe ihm unter dem Namen Karl Valentin auf Münchens besten Bühnen endlich, als er auch schon fast 30 war, der Durchbruch gelang.

    "Ein Lied mit Gesang , ah, jetzt fällt mir der Anfang nicht ein, da erzähl ich ihnen was Anderes."

    In ihrer faktenreichen und offensichtlich akribisch recherchierten Valentin-Biografie - die übrigens ganz ohne Fußnoten auskommt, was etwaigen wissenschaftlichen Ansprüchen keinen Abbruch tut, aber die angenehme Lektüre stützt - zeichnet Monika Dimpfl jenseits bekannter Valentin-Klischees etwa vom "Vorstadthypochonder" oder vom "skurrilen Original" das lebendige Bild eines exzentrischen Künstlers, der nicht wenig seines weiteren Erfolges einer Damenbekanntschaft verdankte: Im Jahr 1911 hatte der begnadete Komiker seine famose Bühnenpartnerin kennen gelernt: Elisabeth Wellano, genannt
    Liesl Karlstadt. Mit ihr machte er die Kleinkunst erst richtig groß. Pummelig und untersetzt stand sie neben dem langen Elend mit den viel zu großen Schuhen und brillierte, übrigens auch in absurdesten Hosenrollen. In einer ihrer berühmtesten Nummern stießen die beiden einmal nicht im Ding-an-sich auf die Tücke des Objekts, sondern entdeckten sozusagen im Knödel die Grammatik.

    München war bald zu klein für den Lokalmatador und seine fabelhafte Diseuse. Es folgten in den auch für Valentin goldenen Zwanzigern begeisternde Gastspiele in Zürich, Wien und Berlin.

    "Der Fremde ist nicht immer ein Fremder - Wie das? - Fremd ist der Fremde nur in der Fremde."

    Selten wurde ein populärer Unterhaltungskünstler in den Sphären der Hochkultur, von Bildungsbürgern und Intellektuellen derart geschätzt. Heinrich Mann war angetan, Carl Zuckmayer wollte gar alles von ihm sehen, Kurt Tucholsky zählte zu den treuesten Fans, Hermann Hesse war entzückt und Bertolt Brecht mochte ihn sowieso von Anfang an und nicht erst seitdem Valentin 1924 an den Münchener Kammerspielen seinen Zwei-Akter "Die Raubritter vor München" gegeben hatte.

    Auch dass ein Dramatiker wie Samuel Beckett, der Valentin auf der Bühne erlebte, "viel und herzlich" über ihn lachte, wundert einen nicht, hatte das "Original-Genie" doch erhebende Sprüche wie diesen zuhauf im Programm: "Zuerst wartete ich langsam, dann immer schneller."

    Monika Dimpfl würdigt in ihrer Valentin-Lebensbeschreibung nicht nur den erfolgreichen Bühnenkünstler, sondern ausführlich auch den Schallplatten-, Radio- und Filmemacher Valentin, der sich im Experiment mit den jeweils neuen Medien immer wieder als Meister der Groteske entpuppte. Als Schauspieler glänzte er unter anderem in Max Ophüls Spielfilm "Die verkaufte Braut", unter Wert musste er sich in den 30er Jahren in Erich Engels Filmkomödie "Kirschen in Nachbars Garten" verkaufen.

    Bei seinen eigenen, zum Teil selbst produzierten Filmen, die seinen internationalen Ruf als "Chaplin Deutschlands" begründeten, blieb der finanzielle Erfolg leider aus. 1936 wurde zudem Valentins derber, aber urkomischer und berührender Film "Die Erbschaft" wegen so genannter "Elendstendenzen" von der NS-Zensur kassiert. Der Film glossifiziere in unhaltbarer Weise "das Leben der ärmsten Volksgenossen".

    Seine Ironie und sein Humor taugten nicht mehr - weder für Durchhalteparolen noch für die Aufbruchsstimmung nach dem Krieg.
    "
    "Servus Valentin, wie geht's?"

    "Danke, bin zufrieden."

    "Und was machst im kommenden Winter?"

    "Ich friere!""

    Am Rosenmontag des Jahres 1948 starb verarmt, halb verhungert und vom Publikum so gut wie vergessen Karl Valentin. Was aber blieb und über die Jahre wuchs, ist sein Nachruhm.


    Monika Dimpfl: Karl Valentin. Biografie
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