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Der deutsche Händel

Eine Ausstellung in Halle beschäftigt sich mit der Musik und Politik zu Lebzeiten von Georg Friedrich Händel und der Händelrezeption in den deutschen Diktaturen. Er sei kein völkischer Komponist gewesen, sondern habe eigentlich für eine herrschende Klasse komponiert, sagt Clemens Birnbaum, Direktor des Händel-Hauses in Halle.

Clemens Birnbaum im Gespräch mit Michael Köhler | 23.02.2013
    Michael Köhler: Heute ist Geburtstag - Händel-Geburtstag. Nicht "Backhendl", sondern Georg Friedrich Händel. Der Barockkomponist wurde am 23. Februar 1685 in Halle geboren und das Händel-Haus in Halle hat deshalb seine neue Jahresausstellung eröffnet - heute. Die widmet sich unter der Frage "Händel als Staatskomponist?" der Musik und Politik zu Lebzeiten des Komponisten und in den deutschen Diktaturen, und deshalb habe ich den Direktor des Händel-Hauses, Clemens Birnbaum, gefragt, welches Bild hatten oder zeichneten denn die deutschen Diktaturen von Händel?

    Clemens Birnbaum: Ich weiß nicht, ob sie direkt ein Bild zeichneten, sondern sie haben sich ihr Bild zurechtgeschnitzt, sage ich mal eher, dass es gepasst hat. Das Wichtigste war erst mal gewesen für die Nationalsozialisten, dass er ein natürlich deutscher Komponist ist, der auch etwas Völkisches hat, und dann sind aus diesem Grunde erst mal Dinge zurechtgestutzt worden, nämlich die Dinge, dass er nach England emigriert ist, warum ist er das und warum ist er dann noch trotzdem deutsch geblieben, weil er keine Voraussetzungen hatte, in Deutschland groß und bekannt zu werden. Das war dann eine sehr banale, aber doch für die Nationalsozialisten eine folgerichtige Antwort.

    Das Zweite hat natürlich etwas zu tun mit der Musik von Händel selbst, die dazu auch eingeladen hat, mit ihrem durchaus staatstragenden Charakter – nicht in allen Werken, aber in vielen Werken – instrumentalisiert zu werden. Dass das "Halleluja" eines der Stücke ist, die weltweit gesungen werden zu besonderen Anlässen, ist bekannt, und dass das "Halleluja" natürlich auch bei der Eröffnung der Olympiade in Berlin in den 30er-Jahren erklungen ist, ist somit fast folgerichtig. Die großen Aufführungen von Oratorien in Massen, in mehreren Chören, gab es vorher. Es wurde, ich sage mal, von den Nationalsozialisten nur noch überspitzt, nur noch übertrieben, bis hin dazu, dass mehrere Bewegungschöre und Hauptchöre eine "Herakles"-Aufführung – Herakles umgemünzt von dem englischen Hercules – aufgeführt haben.

    Köhler: Was entdeckte die DDR in Händel, den neuen Menschen?

    Birnbaum: Man suchte den neuen Menschen. Man hat ihn als Ideal auch gesehen gegenüber der Aufklärung. Auch da musste man ihn sich etwas zurechtstutzen, denn Händel war ja nicht ein völkischer Komponist im Sinne von er hat nicht für das Volk komponiert, sondern eigentlich für eine herrschende Klasse.

    Köhler: Im Gegenteil: Es war höfische Musik?

    Birnbaum: Nicht direkt höfische Musik, weil er war am Hof nicht direkt angestellt gewesen. Er war selbst unternehmerisch, hat selbst die Opern komponiert, finanziert und ist auch manchmal insolvent gegangen mit seinen Kompanien. Aber er hat trotzdem Musik geschrieben gehabt, die für die Oberklasse, für die Oberschicht gedacht und auch entsprechend rezipiert worden ist.

    Köhler: Herr Birnbaum, Sie haben gerade zwei wichtige Dinge so beiläufig gesagt. Sie haben gesagt, es ist staatstragende Musik und er war Unternehmer. Erstens: Händels Musik erfüllte ja auch zu Lebzeiten schon so was die politischen Funktionen im 18. Jahrhundert. Da war es dann einfach, später für die Diktaturen anzuknüpfen. Er war aber auch so etwas wie ein Opernunternehmer und damit auch eigentlich so was wie ein Feind der Arbeiterklasse für die DDR?

    Birnbaum: Ja, und trotzdem hat man versucht, gerade die Oper in den Vordergrund zu stellen. Das hat etwas mit den 20er-Jahren zu tun, mit der Entdeckung der Oper, der Wiederentdeckung der Oper. Aber mit den Oratorien hatte man in der DDR-Zeit natürlich auch seine Probleme gehabt, übrigens auch in der nationalsozialistischen Zeit, denn zwei Dinge passten in beiden Ideologien nicht zusammen: bei den Nationalsozialisten nicht, dass ein Großteil der Oratorien Händels auf alttestamentarischen jüdischen Stoffen basiert. Es gab richtig Anfragen, haben wir in der Quellenforschung entdeckt, damals aus Weißenfels an die Parteiführung, ob man denn aus dem Grunde überhaupt noch händelsche Oratorien aufführen dürfte. Goebbels persönlich hat über die Reichsmusikkammer auch geäußert, ja, man könne es trotzdem. Nichtsdestotrotz gab es einige Menschen, die im blinden Gehorsam meinten, sie müssten händelsche Oratorien umtextieren: Aus Jephta wurde das Opfer, aus Judas Maccabaeus wurde Wilhelm von Nassau und ähnliche Umtextierungen, die es gegeben hat.

    Ein ähnliches Problem mit den Oratorien gab es auch zur DDR-Zeit, denn da war auf einmal die Frage des Religiösen. Komischerweise, merkwürdigerweise, ohne dass wir das miteinander gleichsetzen wollen, waren beide Antworten recht ähnlich gewesen, dass sie eigentlich keinen direkten Impetus hatten von Religion beziehungsweise biblisch und auch nicht jüdisch, sondern etwas Übermenschliches transportieren wollten, und damit begnügte man sich und hat sich herausgeredet.

    Köhler: Er hat staatstragende Musik gemacht, ist aber, glaube ich, doch auch in Westminster Abbey, also in London, beerdigt worden. Ich meine, da gibt es eine ganze Reihe von Brüchen, die gar nicht so dazu passen, ihn als Staatskomponisten zu vereinnahmen, oder?

    Birnbaum: Ja, und trotzdem hat er für das englische Königshaus staatstragende Musik geschrieben. Er hat für die Friedensfeier in Utrecht ein sehr staatstragendes Te Deum geschrieben, das Utrechter Te Deum und Jubilate, eben genau vor 300 Jahren, und er hat eines der Coronation Anthems schlechthin geschrieben, "Zadok the Priest", das sogar noch bei der letzten Krönung in Großbritannien von Queen Elisabeth immer noch gespielt worden ist und bis heute noch jedes Mal erklingt, wenn die UEFA-Champions League zu sehen ist. Auch Bach hat mit Pauken und Trompeten komponiert, aber so staatstragend, wie Händel mit Pauken und Trompeten umgegangen ist, ist kaum ein anderer Komponist umgegangen.

    Köhler: Musikunternehmer mit Oratorien, Krönungsmessen und Feuerwerksmusik als Staatsmusik – Clemens Birnbaum zur neuen Jahresausstellung im Händel-Haus Halle.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.